Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander (читать книги полностью без сокращений бесплатно txt) 📗
Bolitho tastete sich durch den bereits in tiefem Dunkel liegenden Gang zu Pears Kabine.
Der sa? an seinem Tisch und betrachtete mit grimmiger Konzentration eine vor ihm stehende Weinflasche.
«Setzen Sie sich!«befahl er.
Bolitho horte das Stampfen nackter Fu?e uber seinem Kopf und fragte sich, wie sie wohl mit dem Manover zurechtkamen, ohne da? der Kommandant an seinem gewohnten Platz an der Querreling stand.
Er setzte sich.
Die Kajute wirkte behaglich. Bolitho fuhlte sich plotzlich mude, als sei alle Kraft aus ihm gerieselt wie Sand aus einem Stundenglas.
Pears verkundete langsam:»Wir bekommen gleich neuen Bordeaux.»
Bolitho leckte sich die Lippen.»Danke, Sir. «Er wartete ratlos. Erst Cairns, jetzt Pears, was hatten sie blo??
«Kapitan Viney von der Kittiwake brachte Befehle vom Flaggschiff aus Antigua. Mr. Frowd ist mit sofortiger Wirkung auf die Maid of Norfolk versetzt worden. Ein bewaffneter Transporter.»
«Aber sein Bein, Sir?»
«Ich wei?. Der Arzt hat ihn notdurftig wieder zurechtgeflickt. «Sein Blick traf den Bolithos.»Was wunscht er sich am meisten?»
«Ein Schiff, Sir. Vielleicht eines Tages ein eigenes Kommando.»
Er sah im Geiste Frowds Gesicht an Bord der Yawl vor sich. Wahrscheinlich hatte er sogar dort an nichts anderes gedacht: ein Schiff, selbst ein bewaffneter Transporter, wurde ihm fur den Anfang genugen.
«Ich stimme mit Ihnen uberein. Wenn er hier herumliegt, wird es zu spat. Wenn er dann nach Antigua zuruckkommt — «, er hob die Schultern,»- kann sich sein Gluck vielleicht schon gewendet haben.»
Bolitho blickte Pears an, fasziniert von seinem Sachverstand und Einfuhlungsvermogen. Er hatte in Schlachten gekampft, fuhr mit seinem Schiff jetzt Gott wei? welchen Unternehmungen in Jamaika entgegen und fand doch die Zeit, sich uber Frowds Verwendung Gedanken zu machen.
«Dann ist da noch Mr. Quinn. «Pears offnete die Flasche, wobei er sich zur Seite neigte, um die Bewegung des Schiffes auszugleichen.»Er ist nicht vergessen worden.»
Bolitho wartete und versuchte, Pears wahre Gefuhle zu erraten.
«Er wird nach Antigua zuruckkehren und dort eine Passage nach England bekommen. Den Rest wissen wir schon. Ich habe einen Brief an seinen Vater geschrieben, auch wenn das nicht viel helfen wird. Er soll aber verstehen, da? sein Sohn nur eine bestimmte Menge Mut besa?, und als ihn dieser verlie?, war er hilflos wie Frowd mit seinem Bein. «Pears schob mit der Flasche einen dicken Briefumschlag in die Mitte des Tisches.»Aber er hat es versucht, und wenn mehr junge Leute wenigstens das taten, statt bequem zu Hause zu sitzen, sahe es besser bei uns aus.»
Bolitho blickte auf den dicken Brief: Quinns Leben.
Pears wurde beinahe lebhaft.»Aber genug jetzt davon. Ich habe anderes zu tun, Befehle zu diktieren.»
Er schenkte zwei gro?e Glaser Bordeaux ein und schob sie uber den Tisch, bis Bolitho eines davon nahm. Das Schiff holte so stark uber, da? sie beinahe vom Tisch gerutscht waren.
Seltsam, da? sonst niemand anwesend war. Bolitho hatte d'Esterre erwartet oder vielleicht Cairns, sobald dieser mit dem Manover an Deck fertig war.
Pears hob sein Glas und sagte:»Ich nehme an, dies wird eine lange Nacht fur Sie werden. Aber glauben Sie mir, es gibt noch langere.»
Das erhobene Glas wirkte in seiner gewaltigen Faust wie ein Fingerhut.
«Ich wunsche Ihnen Gluck, Mr. Bolitho, und, wie unser Master sagen wurde, segeln Sie mit Gott.»
Bolitho starrte ihn an, sein Wein war noch unberuhrt.
«Ich ubertrage Ihnen hiermit das Kommando uber die White Hills. Wir werden die Prisenbesatzung morgen fruh einteilen, wenn es hell genug ist, und die Verwundeten hinuberbringen.»
Bolitho versuchte, seines Erstaunens Herr zu werden. Er stotterte:»Der Erste Offizier, Sir, mit allem Respekt.»
Pears hielt sein Glas hoch. Es war leer, wie Probyns einst zu sein pflegte.
«Ich wollte ihn hinuberschicken. Zwar brauche ich ihn hier an
Bord, mehr denn je, aber er verdient langst ein eigenes Kommando, und wenn es auch erst nur eine Prise ware. Aber er tat dasselbe wie Sie bei Konteradmiral Coutts und wies meinen Vorschlag zuruck. «Er lachelte ernst» So liegen also die Dinge.»
Bolitho sah, da? auch sein Glas wieder gefullt wurde, und sagte verwirrt:»Ich danke Ihnen, Sir!»
Pears zog eine Grimasse.»Also kippen Sie Ihren Bordeaux hinunter und gehen Sie sich verabschieden. Von nun an konnen Sie jemand anderem Ihre Meinung sagen!»
Bolitho stand drau?en vor der Kajute neben dem bewegungslosen Posten, als ware alles nur ein Traum gewesen.
Er fand Cairns noch an Deck, gegen das Luvwant gelehnt und zu den Lichtern der Brigg hinuberblickend.
Bevor Bolitho den Mund offnen konnte, sagte Cairns energisch:»Du gehst morgen als Prisenkommandant hinuber, das ist beschlossene Sache, und wenn ich dich in Eisen hinschaffen lassen mu?.»
Bolitho stand neben ihm und nahm fast unbewu?t die verschiedenen Gerausche wahr, das Knarren des Ruders, das Schlagen des Tauwerks gegen Mast, Stagen und Segel.
Ich nehme an, dies wird eine lange Nacht fur Sie werden.
«Was war denn los, Neu?»
Er fuhlte sich diesem ruhigen Schotten mit seiner weichen Sprache sehr nahe.
«Der Kommandant hat einen Brief bekommen. Ich wei? nicht, von wem, es ist nicht sein Stil, sich zu beklagen. Es war eine „freundliche" Mitteilung, wenn man es so nennen will, aus der Kapitan Pears erfuhr, da? er bei der Beforderung zum Flaggoffizier ubergangen wurde. Kapitan wird er bleiben. «Er blickte zu den Sternen uber der dunklen Takelage auf.»Und wenn die Trojan einmal au?er Dienst gestellt wird, dann ist das das Ende seiner Laufbahn. Coutts ist nach London zur Admiralitat beordert worden, um sich dort zu verantworten. «Cairns konnte seinen Arger, seinen Schmerz nicht verbergen.»Aber er hat Vermogen und eine gesellschaftliche Stellung. Pears dagegen hat nur sein Schiff.»
«Ich danke dir, da? du mir das alles erzahlt hast.»
Cairns Zahne leuchteten sehr wei? in dem schwachen Licht.»Weg mit dir, Mann! Los, pack deine Kiste!»
Als Bolitho sich zum Gehen wandte, fugte er leise hinzu:»Aber du verstehst? Ich konnte ihn doch jetzt nicht verlassen.»
Fruh am nachsten Morgen lagen beide Schiffe beigedreht, und die Boote der Trojan begannen, die Verwundeten auf die Brigg hinuberzuschaffen. Auf der Ruckfahrt brachten sie nach und nach die Besatzung der White Hills heruber in Gefangenschaft. Es mu?te eines der kurzesten Kommandos der Seegeschichte gewesen sein, dachte Bolitho.
Noch immer erschien ihm alles unwirklich, und er ertappte sich dabei, verschiedene wichtige Dinge vergessen, andere dafur mehrmals getan zu haben.
Jedes Mal, wenn er an Deck ging, mu?te er zu der Brigg hinuberblicken, die in der steilen See heftig stampfte. Einmal unter Segel, konnte sie jedoch fliegen, wenn es erforderlich wurde. Der Anblick war noch zu frisch in seiner Erinnerung.
Cairns hatte ihm mitgeteilt, da? Pears ihm gestatte, seine Prisenbesatzung selbst auszuwahlen, und zwar genug Leute, um die Brigg in Sicherheit zu bringen oder einem schweren Sturm oder machtigen Gegner davonzusegeln.
Stockdale brauchte er nicht erst zu fragen, der wartete bereits mit einem gepackten kleinen Seesack, seiner weltlichen Habe. Pears hatte Bolitho auch aufgetragen, den schwerverwundeten Kapitan Tracy nach Antigua mitzunehmen. Sein Zustand war so ernst, da? man ihn nicht mit den anderen Gefangenen zusammen abtransportieren konnte; andererseits wurde er wenig Muhe verursachen.
Als die Zeit der Trennung naher ruckte, spurte Bolitho, wie bewegt er war. Kleine Ereignisse aus den letzten zweieinhalb Jahren kamen ihm schlagartig in den Sinn. Es schien unglaubhaft, da? er die Trojan jetzt verlassen und sich zur Verfugung des Kommandierenden Admirals in Antigua halten sollte. Es war wie der Beginn eines neuen Lebens mit anderen Gesichtern, unbekannter Umgebung.