Nahkampf der Giganten: Flaggkapitan Bolitho bei der Blockade Frankreichs - Kent Alexander (читать книги онлайн регистрации .TXT) 📗
Langsam blickte er im Kreis der Gesichter umher, und dabei wurde ihm wieder einmal klar, da? sein Offizierskorps nicht nur zahlenma?ig kleiner geworden war, sondern auch wesentliche personelle Veranderungen erlitten hatte. Quarme und Dalby waren tot; die beiden Marine-Infanteristen und der junge Seton waren in St. Clar geblieben. Und die noch Anwesenden wirkten durch die unaufhorliche dienstliche Uberbeanspruchung mude und erschopft. Fast jeder Seemann schimpfte standig uber sein schweres Los; aber diese hier hatten auch allen Grund dazu. Der junge Piper zum Beispiel war gerade sechzehn, war mit dreizehn Jahren an Bord gekommen und hatte bis zu diesem Tag kaum jemals den Fu? an Land gesetzt, allenfalls hatte er mit seiner geliebten Jolle kleine Auftrage ausgefuhrt. Den meisten anderen in diesem uberfullten Schiff ging es ahnlich. Das harte Leben war bei der Marine etwas ganz Selbstverstandliches; und so brauchte man sich nicht zu wundern, da? die Landbewohner die Pre?kommandos [11] furchteten wie die Pest und schon beim blo?en Anblick einer Marineuniform Angst bekamen. Und doch waren diese Manner, die neben ihren Geschutzen lebten, sie jeden Tag sahen, sobald sie nur erwachten, unschlagbar im Gefecht, und anscheinend war auch ihr Kampfgeist nicht zu brechen. Oft genug mu?ten sie hungern, wenn der Kommandant ein Geizkragen, oder wurden ausgepeitscht wie Tiere, wenn er ein Tyrann war. Doch sobald sie zum Kampf gerufen wurden, versagten sie kaum jemals. Das konnte Bolitho nie ganz verstehen. Manche sagten, sie waren aus Angst so tapfer; andere meinten, Tradition und Disziplin der Marine seien die wirklichen Grunde. Er jedoch glaubte, da? die Ursachen tiefer lagen. Ein Kriegs-
schiff war eine Lebensgemeinschaft. Vaterland und Flagge standen oft genug erst an zweiter Stelle. Die Manner in den vollgestopften Decks kampften, um einander zu schutzen, um alte Kameraden zu rachen, und sie kampften um ihr Schiff.
Mit ruhiger Stimme begann er zu sprechen.»Ich habe Sie hergebeten, meine Herren, damit Sie die Schwierigkeiten, die auf uns zukommen, klar erkennen. Es kann Wochen dauern, bis wir zuruckgerufen werden. Niemand wei?, was die Franzosen planen und auszufuhren imstande sind. Aber angesichts dieser Umstande ist unser Platz die hohe See. Was der Feind auch fur Siege in Europa erringt, er kann den Krieg nicht gewinnen, solange unsere Schiffe bereit sind, ihn zu bekampfen. «Er bemerkte, da? Herrick sachlich nickte und der junge Caswell sich auf die Lippen bi?.»Wir werden taglich exerzieren. Aber wir mussen noch weitergehen. Versuchen Sie zu erreichen, da? die Leute sich nicht zu viel mit sich selbst beschaftigen. Arrangieren Sie Wettkampfe, ganz egal wie banal und unbetrachtlich; tun Sie Ihr Bestes, um ihnen Mut zu machen. Was vorher an Gutem oder Schlechtem unbemerkt geblieben ist, bricht hervor, wenn wir mit Langeweile und Einsamkeit nicht fertig werden. «Er hob sein Glas.»In diesem Sinne meine Herren, trinken wir auf unser Schiff. Gott segne es!»
Die Glaser klangen, und die Offiziere warteten darauf, da? Bo-litho weitersprach. Etwas scharfer fuhr er fort:»Da sich unsere Anzahl verringert hat, befordere ich Midshipman Gordon zum Vizeleutnant. Er wird Mr. Rooke bei der unteren Batterie assistieren.»
Er hielt inne, denn die anderen Midshipmen hieben Gordon auf die Schultern; dessen Gesicht, eine einzige Ansammlung von Sommersprossen, spaltete sich zu einem uberraschten Grinsen. Bolitho warf Rooke einen schnellen Blick zu; der sagte nichts, nickte aber. Es war eine wohldurchdachte Entscheidung, denn Gordon war bei der Ersturmung des Leuchtfeuers von St. Clar anscheinend sehr gut mit Rooke ausgekommen; vermutlich weil sie beide aus alter, einflu?reicher Familie stammten. Gordons Onkel war Konteradmiral, und wahrscheinlich hielt Rooke deswegen sein unangenehmes Temperament etwas im Zaum.
«Au?erdem«, fuhr Bolitho fort, und das Stimmengewirr erstarb,
«meine ich, einer der Steuermannsmaaten konnte als Wachoffizier Dienst tun, bis Mr. Fowler wieder gesund ist.»
Inch sah auf.»Darf ich Bunce vorschlagen, Sir? Ein sehr verla?licher Mann.»
«Sie durfen, Mr. Inch. Sagen Sie es ihm gleich nachher. «Inch nickte und nahm einen Zug aus seinem Glas. Er hatte sich vielleicht am meisten von allen verandert. Vom Funften und jungsten Offizier war er zum Vierten aufgestiegen, aber was noch wichtiger war, er hatte auch das dazugehorige Selbstvertrauen gewonnen.
Plotzlich richteten sich aller Augen auf das Skylight, denn von dort erklang ein gedampfter Ruf:»Halt! Mensch, was machst du denn, zum Teufel?«Es folgten das Gerausch rennender Fu?e und dann dieselbe Stimme, jedoch laut und schallend:»Achtung — Mann uber Bord!»
Die Offiziere eilten an Deck, und Gossett brullte:» Kreuzmarssegel back! Kutter zu Wasser!»
Das Achterdeck lag ganz im Finstern, kein Stern war durch die reglosen Wolken zu sehen. Dunkle Gestalten liefen die Decksgange entlang, und achtern horte Bolitho, wie die Manner der Kutterbesatzung, vom Alarmruf aufgeschreckt, sich gegenseitig umrannten.»Was ist los, Gossett?«rief Bolitho,»Wie war das moglich?»
Bunce, der untersetzte Steuermannsmaat, den Inch vorhin erwahnt hatte, schob sich durch die eilenden Manner.»Hab's gesehen, Sir«, erklarte er mit dienstlichem Gru?.»Ich stand am Ruder, weil einer meiner Leute gerade die Kompa?lampen auswechselte. «Er schauerte.»Als ich hochsehe, Sir, glotzt mich plotzlich sein Gesicht an! Herrgott, war das scheu?lich — ich bete zu meinem Schopfer, da? ich so was nicht noch mal sehen mu?!»
Das backgestellte Segel schlug donnernd, das Schiff rollte wie betrunken, und irgendwo jenseits der Kampanje horte Bolitho das Platschen von Riemen im Wasser und die Befehlsrufe des Bootsmanns im Kutter.»Mr. Fowler war's, Sir«, berichtete Bunce weiter.»Er hatte sich die Verbande abgerissen, hielt einen Spiegel in der Hand und weinte wie ein kleines Kind. Die ganze Zeit starrte er dabei sein Gesicht im Spiegel an!»
«Stimmt, Sir«, kam eine Stimme aus dem Dunkel.»Es war alles zerfetzt von den Augen bis zum Kinn, und uberhaupt keine Nase mehr!»
Langsam schritt Bolitho zu den Netzen. Der arme Fowler… Er war ein schmucker Leutnant gewesen, bis er, von einem Degenhieb gefallt, mit zerfetztem Gesicht neben ihm auf die Planken gesunken war.
«Ich wollt' ihn noch aufhalten, Sir«, sagte Bunce zu Herrick,»aber er war ja wie verruckt. Und beinahe nackt; ich konnt' ihn einfach nich' zu fassen kriegen. «Wieder uberlief ihn ein Schauer.»Rannte los und sprang uber Bord, ehe wir ihn erwischten.»
Bolitho sah das Boot auf dem ebenholzschwarzen Wasser tanzen, die Riemen zogen phosphoreszierendes Meeresleuchten nach.
«Kann nichts sehn, Sir«, schrie der Bootsmaat herauf, der aufrecht im Kutter stand.
«Rufen Sie das Boot zuruck, Mr. Herrick«, befahl Bolitho knapp.»Und nehmen Sie wieder Fahrt auf!»
Er ging an den stummen Gestalten vorbei, die ihn anstarrten, und sah noch, wie Inch den Midshipman Lory trostete, der mit Fowler eng befreundet gewesen war.»Mr. Inch«, sagte er,»Sie sind jetzt Dritter Offizier. Hoffentlich ist das fur einige Zeit die letzte Beforderung aus diesen Anlassen.»
Steifbeinig ging er in seine Kajute und starrte auf die herumstehenden Weinglaser. Er versuchte, den Stopsel aus einer Karaffe zu ziehen, aber er stak zu fest; und da er sie mit seinem verwundeten Arm nicht entkorken konnte, knallte er die Karaffe wutend auf den Tisch.»Gimlett!«brullte er. Angstvoll sturzte der Steward in die Kajute.»Ein Glas Wein, aber schnell!«Als er es an die Lippen setzte, zitterte seine Hand heftig, aber er konnte sie nicht beherrschen. Diesmal war es nicht das Fieber — Wut und Verzweiflung stiegen wie eine Flutwelle so hoch in ihm, da? er das leere Glas fast an die Wand geworfen hatte. Hatte er Fowler auf der brennenden Fairfax gelassen, wurde er jetzt als tapferer Seemann im Gedachtnis der Besatzung fortleben und nicht als armseliger, irrer Selbstmorder. Warum hatte er so ohne Wurde sterben mussen? Wie konnte es sein, da? ein Mann, den er kannte, dessen Gewohnheiten ihm so gelaufig waren wie seine eigenen, in Sekunden zu einer leeren Menschenhulle geworden war?
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Pressen nannte man die gewaltsame Rekrutierung zur Kriegsmarine.