Feind in Sicht: Kommandant Bolithos Zweikampf im Atlantik - Kent Alexander (читать книги без txt) 📗
Bolitho strich sich mit der Hand uber die Stirn. Die Strapazen der vergangenen Tage forderten ihren Preis, und er mu?te sich sorgfaltig jedes Wort uberlegen.
«Aber warum hast du die Identitat dieses anderen Mannes angenommen?«Er spurte, wie ihm der Schwei? uber die Brust rann.»Du mu?test doch wissen, da? du fruher oder spater wieder auf ein Schiff des Konigs kommen wurdest.»
Hugh nickte. Die Geste war gleichzeitig vertraut und dennoch fremd.
«Stimmt. Aber ich hatte es satt zu fliehen, Dick. Dauernd einen anderen Namen anzunehmen und immer uber die Schulter zu blik-ken. Wo konnte ich mich besser verbergen als auf einem Schiff des Konigs?«Er lachelte erschopft.»Aber anscheinend habe ich mich getauscht.»
An Deck ertonte eine Glocke, und Fu?e scharrten um das Skylight. Jeden Augenblick konnte jemand eintreten.
Bolitho sagte schroff:»Du hattest doch wissen mussen, da? dir jemand aus der Vergangenheit begegnen wurde.»
«Ich suchte eine vertraute Umgebung, wo ich mich verstecken und warten konnte, bis das Schiff England erreichte. «Er nickte schwermutig.»Ich wollte nur noch einmal nach Hause. Sonst war mir nichts mehr wichtig. «Plotzlich stand er auf und stellte das Glas weg.»Das Ganze tut mir mehr leid, als ich sagen kann. Ich wei?, da? du deine Pflicht tun mu?t. Das Gluck hat mich verlassen. Ich kann dir keinen Vorwurf machen, wenn du mich jetzt bis zu meinem Proze? in Eisen legen la?t.»
Er wich einen Schritt zuruck, als jemand an die Tur klopfte.
Bolitho spurte den Blick seines Bruder, als er:»Herein!«rief.
Midshipman Pascoe trat in die Kabine, ein Teleskop unter dem Arm.»Mr. Roths Respekt, Sir, und er bittet um Erlaubnis fur ein zweites Reff. Der Wind frischt von Nordost auf, Sir.»
Bolitho wendete sich ab. Die Stimme des Jungen hallte in seinem Kopf wider wie ein anderer Teil seines Traums.
«Sehr gut, Mr. Pascoe. Ich komme sofort selbst. «Er hielt Pascoe zuruck, als der sich wieder zur Tur wendete.»Dies ist Mr. Selby, Steuermannsmaat. «Er sah seinen Bruder unbewegt an.»Mr. Pas-coe hat sich bei unserem jungsten Unternehmen in hohem Ma? ausgezeichnet.»
Als die Tur sich hinter dem Midshipman geschlossen hatte, fugte er hinzu:»Dieser Junge hat in seinem Leben mehr erdulden mussen, als du ahnst. Sein Vater hat Schande uber ihn gebracht, und jetzt sucht er bei mir Stutze und Vertrauen, und ich bin stolz, da? ich ihm beides bieten kann.»
«Das verstehe ich nicht.»
«Ich will den Jungen nicht vollig verstoren, indem ich den Mann festsetze, den er fur tot halt. Dessen Namen neben dem meines Vaters in der Kirche in Falmouth steht. «Er sah seinen Bruder wanken, konnte aber seine Worte nicht zuruckhalten.»Er ist quer durch ganz Cornwall gewandert, allein und ohne Hilfe, nur um diesen Namen zu lesen. Deinen Namen.»
Hughs Stimme war heiser.»Das wu?te ich nicht. «Er sah auf, sein Blick war plotzlich verzweifelt.»Und seine Mutter?»
«Ist tot. Sie mu?te sich sogar irgendeinem verdammten Grundbesitzer hingeben, um ihren Sohn ernahren und kleiden zu konnen.»
«Das habe ich wirklich nicht gewu?t. «In seiner Stimme lag keine Kraft mehr.»Du mu?t es mir glauben.»
Bolitho fuhr herum, seine Augen funkelten.»Es ist mir gleichgultig, was du wu?test oder nicht, verstehst du? Ich bin der Kommandant dieses Schiffes, und du bist Mr. Selby, Steuermannsmaat der
Backbordwache!«Er sah, da? sein Bruder unter der Sonnenbraune bla? wurde.»Wenn du dir eingebildet hast, du konntest deiner Vergangenheit entfliehen, dann hast du dich geirrt. Der Mann, der die Fregatte Spartan befehligt, war fruher dein Gefangener. Mein Zweiter Offizier und mehrere Leute der Besatzung stammen auch aus Cornwall. «Er schuttelte den Kopf.»Du bist uberall von deiner Vergangenheit umgeben, genau wie ich.»
«Danke, da? du mir die Chance gibst, mich…«Er verstummte.
Bolitho trat an die Heckfenster und blickte starr auf die langsam segelnde Hermes hinaus.
«Ich habe gar keine Wahl. Wenn wir beide England heil erreichen, will ich sehen, was getan werden kann, aber ich verspreche nichts. Denk daran. «Er machte eine Handbewegung zur Tur.»Gehe an deinen Dienst und melde dich beim Steuermann. «In der spiegelnden Scheibe des nachsten Fensters sah er die gebeugte Gestalt seines Bruders. Ruhig fugte er hinzu:»Und wenn du dem Jungen gegenuber auch nur die geringste Andeutung machen solltest, sorge ich personlich dafur, da? du gehangt wirst.»
Die Tur schlo? sich, und Bolitho lie? sich schwer in einen Sessel fallen. Wie war das nur geschehen? Ihre Mission konnte noch viele Monate dauern, sogar Jahre. Es war ebenso unertraglich wie unfair.
Die Tur offnete sich wieder, und Inch fragte besorgt:»Hat Mr. Pascoe Ihnen die Bitte um Erlaubnis, ein zweites Reff zu stecken, vorgetragen, Sir?»
Bolitho stand auf. Er spurte, da? ihm Arme und Beine zitterten, trotz seiner angestrengten Bemuhungen, es zu unterdrucken.
«Ja, danke. Ich komme hinauf.»
Inch ging neben ihm zum Achterdeck.»Hat Mr. Selby Ihnen brauchbare Informationen geben konnen, Sir?»
Bolitho starrte ihn uberrascht und verstandnislos an.»Informationen? Was fur Informationen?»
«Verzeihung, Sir. Ich dachte nur. «Unter Bolithos scharfem Blick verstummte er.
«Ach so. Ich verstehe. «Bolitho ging nach Luv und blickte zu den prall stehenden Segeln auf.»Nur sehr wenige.»
Als die Pfeifen schrillten und die neue Wache aufenterte, stand Bolitho immer noch ohne etwas zu sehen, und spielte mit dem kleinen Medaillon unter seinem Hemd.
Als sich die Dunkelheit uber das Schiff senkte und die kleinen Hecklaternen sich wie Gluhwurmchen im bewegten Wasser spiegelten, stand er weiterhin an derselben Stelle und starrte mit umwolkten Augen in die Finsternis und noch weit uber sie hinaus.
Erst als Gossett mit schweren Schritten und einer starken Rumfahne an Deck kam, um nach dem Kompa? zu sehen und mit den Rudergangern zu sprechen, schien sich der Bann zu losen. Wortlos ging Bolitho an allen vorbei und zog sich in seine Kajute zuruck.
Gossett blickte ihm nach und rieb sich in plotzlich aufkommendem Unbehagen das kraftige Kinn. Dann sah er zu den gerefften Marssegeln hinauf und klopfte mit einem dicken Finger gegen das Stundenglas.
Der neue Tag wurde die Erinnerung an den Kampf vertreiben, dachte er. Es gab kaum etwas, das ein Wechsel von Wind und Wetter nicht andern konnte.
XIII Ruckkehr der Spartan
Am Mittag des folgenden Tages stand das erschopfte Geschwader einhundertundzwanzig Meilen ostlich von Las Mercedes und segelte — au?er Sichtweite der Kuste — mit starker Schlagseite hart an einem frischen Nordostwind anliegend. Der Himmel war wolkenlos und die Hitze — trotz des Windes — kaum zu ertragen, so da? die Manner, die nicht gerade eine Arbeit zu erledigen hatten, unter Deck gingen oder sonstwo einen schattigen Platz zum Ausruhen suchten.
Bolitho trat zur Leiter, die zur Schanz hinauffuhrte, kletterte ein paar Stufen hoch und beobachtete die Hermes, die sich etwa zwei Kabellangen hinter ihnen vorwarts walzte. Sie hatte ihre Rahen so hart angebra?t, wie es uberhaupt ging, und bei dem von Backbord vorn einfallenden Wind standen alle Segel voll und druckten das Schiff so stark auf die Steuerbordseite, da? die See fast uber ihre Bordwand schlug.
Er hatte gerade die neu gewonnenen Seeleute begru?t und war ermudet und entmutigt nach achtern gekommen. Wahrend er zu ihnen sprach, hatte er versucht, ihre Reaktion auf seine Worte herauszuspuren, irgend etwas wie einen Funken der Begeisterung oder der Ablehnung. Wenn uberhaupt etwas, war es eher das letztere gewesen, was er spurte. Die erste Welle der Freude uber ihre Errettung aus ungerechter Einkerkerung hatte sich in Ungewi?heit, wenn nicht gar Furcht verwandelt. Ihnen stand jetzt der Dienst auf einem Schiff des Konigs bevor, vielleicht fur die Dauer von Jahren, und mancher von ihnen wurde vielleicht nie wieder im Leben etwas anderes kennenlernen.