Feind in Sicht: Kommandant Bolithos Zweikampf im Atlantik - Kent Alexander (читать книги без txt) 📗
Es wurde zogernd an die Tur geklopft, und als Bolitho sich auf seinem Sessel umdrehte, sah er den neuen Midshipman unsicher auf der anderen Seite der Kajute stehen.
«Treten Sie naher, damit ich Sie sehen kann. «Bolitho hatte kaum die Zeit, den Neuling zu begru?en, aber aus eigener bitterer Erfahrung wu?te er, wie es war, neu auf ein Schiff zu kommen, ohne ein vertrautes Gesicht, das die ersten Knuffe und Reibungen milderte.
Der Junge kam naher und blieb kurz vor dem Schreibtisch stehen. Fur sein Alter war er gro?, schlank, mit dunklen Augen und ebenso schwarzem Haar wie dem Bolithos. Er wirkte wild und ruhelos und erinnerte Bolitho an ein noch nicht eingerittenes Fohlen.
Wortlos nahm er den dicken Umschlag aus der Hand des Mids-hipman entgegen und schlitzte ihn auf; vom Hafenadmiral in Ply-mouth kommend, bestatigte er in durren Worten die Abkommandierung auf die Hyperion. Der Name des Jungen war Adam Pascoe.
Bolitho blickte lachelnd auf.»Ein Landsmann aus Cornwall, also. Wie alt sind Sie, Mr. Pascoe?»
«Vierzehn, Sir. «Es klang angespannt und wachsam.
Bolitho betrachtete ihn. Pascoe hatte etwas Seltsames an sich, aber er vermochte es nicht einzuordnen. Er bemerkte die billige Qualitat seiner Uniform, die minderwertige Vergoldung an seinem
Dolch.
Pascoe verriet unter dem prufenden Blick keine Unsicherheit, sondern griff in seine Innentasche und zog einen weiteren Brief heraus. Schnell sagte er:»Dieser Brief ist fur Sie, Sir. Mir wurde gesagt, ich soll ihn niemand anderem geben.»
Bolitho schlitzte ihn auf und wendete sich etwas ab. Es war durchaus ublich, unter diesen Umstanden einen privaten Brief zu erhalten: Ein unerwunschter Sohn wurde zur See geschickt, um bevorzugte Behandlung wurde gebeten oder auch nur die eindringliche Bitte einer besorgten Mutter geau?ert, uber ihren Sohn zu wachen.
Das Papier knisterte zwischen seinen Fingern, als er es plotzlich fester packte. Denn der Brief kam von seinem Schwager Lewis Roxby, Grundherr und Friedensrichter in Falmouth und Ehemann von Bolithos jungerer Schwester. Die ausladende Handschrift schien zu verschwimmen, als er den mittleren Absatz zum zweiten Mal las:
Als der Junge zu mir kam und um meine Unterstutzung bat, war es naturlich notwendig, den Wert der Dokumente, die er mitbrachte, zu uberprufen. Es besteht kein Zweifel, da? die Forderungen, die seinethalben gestellt werden, berechtigt sind. Er ist der Sohn Deines verstorbenen Bruders Hugh. Es gibt Briefe von ihm an die Mutter des Jungen, die er anscheinend zu heiraten beabsichtigte, ehe er England verlie?. Selbstverstandlich hat der Junge seinen Vater nie gesehen und lebte bis vor kurzem bei seiner Mutter, die im Grunde kaum etwas anderes als eine gewohnliche Hure gewesen ist.
In dem Brief stand noch sehr viel mehr, doch waren das alles Ausfluchte und Grunde, weshalb Roxby den Jungen unverzuglich von Falmouth fortschaffen wollte.
Bolitho schluckte schwer. Er konnte sich die peinliche Besturzung, die das plotzliche Auftauchen des Jungen verursacht haben mu?te, gut vorstellen. Zwar mochte er Roxby nicht besonders gut leiden und hatte seine Schwester nie recht verstanden, da? sie sich ihn zum Ehemann gewahlt hatte. Roxby liebte ein gutes, uppiges Leben und kannte nichts anderes, als seine Tage mit Schie?en und Hetzjagden in Gesellschaft anderer, die er wohl als seinesgleichen ansah, auszufullen. Der Gedanke, in einen ortlichen Skandal hineingezogen zu werden, war fur ihn Grund genug gewesen, diesen Brief zu schreiben und den Jungen stehenden Fu?es zur See zu schicken.
Bolitho drehte sich wieder um und sah den jungen Midshipman an, beweiskraftige Dokumente hatte Roxby geschrieben. Doch ein einziger Blick auf den Jungen hatte genugen mussen. Kein Wunder, da? er ihm merkwurdig erschienen war: Es war, als ob er eine jungere Ausgabe seiner selbst sehe.
Pascoe hielt dem Blick mit einer Mischung aus Trotz und Beklemmung stand.
Bolitho fragte leise:»Was wei?t du von deinem Vater, mein Junge?»
«Er war Offizier und wurde in Amerika von einem durchgehenden Pferd getotet. Mutter hat ihn mir oft beschrieben. «Er zogerte, ehe er hinzufugte:»Als sie starb, sagte sie, ich solle nach Falmouth gehen und Ihre Familie aufsuchen, Sir. Ich — ich wu?te, da? meine
Mutter nicht mit ihm verheiratet gewesen war, Sir, habe es immer gewu?t, aber…«Er verstummte.
Bolitho nickte.»Ich verstehe. «So vieles blieb ungesagt: Wie es der Mutter gelungen war, dem Jungen Unterhalt und Kleidung zu beschaffen, ihn vor der Wahrheit zu bewahren, da? sein Vater von der Marine desertiert war und gegen sein eigenes Land gekampft hatte. Es veranla?te Bolitho zu sagen:»Wie du wissen mu?t, war dein Vater mein Bruder. «Er blickte zur Seite und fuhr schnell fort:»Und du hast in Penzance gewohnt?»
«Ja, Sir. Meine Mutter arbeitete manchmal als Haushalterin beim Squire. Als sie starb, bin ich nach Falmouth gewandert.»
Bolitho studierte nachdenklich das Gesicht des Jungen. Zwanzig Meilen weit zu Fu?, allein und ohne zu wissen, was in der fremden Stadt auf ihn wartete.
Plotzlich sagte der Junge:»Tante Nancy war sehr gro?zugig zu mir, Sir. Sie hat gut fur mich gesorgt. «Er senkte den Blick.»Als sie alles nachgepruft hatten.»
«Ja, das war von ihr zu erwarten. «Plotzlich sah Bolitho seine Schwester deutlich vor sich, wie sie ihn selbst gepflegt und bemuttert hatte, als er nach seiner Ruckkehr aus der Sudsee fast am Fieber gestorben ware. Sie wird fur den Jungen besser gesorgt haben als jeder andere, dachte er.
Merkwurdig, sich vorzustellen, da? der Junge all diese Jahre knapp zwanzig Meilen von Falmouth und Bolithos Haus entfernt gelebt hatte, das eines Tages sein Eigentum geworden ware, wenn das Schicksal nicht diese grausame Wendung genommen hatte.
Pascoe sagte leise:»Als ich in Falmouth war, Sir, bin ich in die Kirche gegangen und sah dort die Gedenkplatte fur meinen Vater. Neben all den anderen. «Er schluckte schwer.»Das hat mir gefallen, Sir.»
Es klopfte, und Midshipman Gascoigne trat behutsam ein. Gas-coigne war siebzehn und der dienstalteste Fahnrich auf dem Schiff. Als Inhaber des begehrten Postens des Signalfahnrichs war er als nachster an der Reihe, zum diensttuenden Leutnant ernannt zu werden. Er war auch der einzige, der schon vorher auf einem Kriegsschiff auf See gedient hatte.
Formlich meldete er:»Empfehlung von Mr. Inch, Sir, und das Boot mit dem Kommodore an Bord legt von der Indomitable ab.»
Sein Blick schweifte zu dem neuen Midshipman hinuber, aber er zuckte mit keiner Wimper.
Bolitho stand auf und griff nach seinem Sabel.»Gut, ich komme. «Scharfer fugte er hinzu:»Mr. Gascoigne, ich unterstelle Mr. Pascoe Ihrer Obhut. Sorgen Sie dafur, da? er einer Station zugewiesen wird, und uberwachen Sie sorgfaltig seine Fortschritte.»
«Sir?«Gascoignes Gesicht war undurchdringlich.
Bolitho ha?te Begunstigungen jeder Art und verabscheute alle, die Beziehungen aktiv oder passiv nutzten, um dadurch Beforderung oder eine besondere Behandlung zu erreichen. Doch das schien im Augenblick ohne Belang zu sein. Dieser arme, beklagenswerte Junge, der fur die Chance, sich zu bewahren, dankbar und vollig unschuldig an seinem Schicksal war, das ihm einen Vater und sogar seinen richtigen Namen vorenthalten hatte, befand sich jetzt auf seinem Schiff; und laut Roxbys Brief gab es auch keinen anderen Platz auf der Welt, wohin er gehen konnte.
Ruhig sagte er:»Mr. Pascoe ist mein Neffe.»
Als er dem Jungen wieder in die Augen sah, wu?te er, da? er richtig gehandelt hatte. Unfahig, die Qual in den dunklen Augen auch nur einen Augenblick langer zu ertragen, fugte er schroff hinzu:»Und nun fort mit Ihnen! Wir haben mehr als genug zu tun.»
Wenige Minuten spater, als Bolitho bei der Schanzpforte stand, um den Kommodore zu empfangen, uberraschte er sich bei dem Gedanken, was die Ankunft des Jungen noch alles bedeuten mochte. Fluchtig streifte er seine Offiziere mit einem Blick und fragte sich, wieviel sie wu?ten und was sie von dem Makel in der Familiengeschichte ihres Kommandanten hielten.