Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
Dein verdammtes Problem, wie du hier rauskommst, dachte Bohrmann. Aber ich will, dass du hier rauskommst! Das ist meine Hohle, also verpiss dich!
»Verpiss dich!«
»Dr. Bohrmann?«
Der Hai wich weiter zuruck. Dann war er verschwunden.
Bohrmann lie? sich zuruckfallen. Seine Arme zuckten. Er stand derma?en unter Spannung, dass er einen Moment nicht wusste, wie er es schaffen sollte stillzuhalten. Plotzlich fuhlte er namenlose Erschopfung uber sich kommen und sank in die Knie.
»Dr. Bohrmann?«
»Gehen Sie mir nicht auf den Sack, van Maarten.« Er hustete. »Tun Sie irgendwas, um mich hier rauszuholen.«
»Wir werden die Roboter und die Manner unverzuglich losschicken.«
»Wozu der Roboter?«
»Wir bringen alles nach unten, was die Tiere angstigen und ablenken konnte.«
»Das sind keine Tiere. Das sind die Hullen von Tieren. Sie wissen, was ein Roboter ist. Sie wissen ganz genau, was wir hier tun.«
»Haie?«
Frost hatte van Maarten offenbar nicht alles erzahlt.
»Ja, Haie. Es sind ebenso wenig Haie, wie die Wale noch Wale sind. Etwas steuert sie. Die Manner sollen sich vorsehen.« Er musste erneut husten, diesmal heftiger. »Ich sehe nichts in der bloden Hohle. Was passiert da drau?en?«
Van Maarten schwieg einen Moment.
»Mein Gott«, sagte er.
»He! Reden Sie mit mir.«
»Es sind weitere Tiere aufgetaucht. Dutzende. Hunderte! Sie zertrummern die Scheinwerfer der Lichtinsel. Sie schlagen alles kurz und klein.«
Naturlich tun sie das, dachte Bohrmann. Darum geht es ja. Uns davon abzubringen, die Wurmer wegzusaugen. Nur darum geht es.
»Dann vergessen Sie’s.«
»Wie bitte?«
»Vergessen Sie Ihre Rettungsaktion, van Maarten.«
Es rauschte so sehr im Helm, dass van Maarten seine Antwort wiederholen musste.
»Aber die Manner sind bereit.«
»Sagen Sie denen, da unten erwarten sie intelligente Lebewesen. Diese Haie sind intelligent. Das Zeug in ihren Kopfen ist intelligent. Es wird nicht funktionieren mit zwei Tauchern und einem Blechkameraden. Denken Sie sich was anderes aus. Ich hab ja noch fur knapp zwei Tage Sauerstoff.«
Van Maarten zogerte.
»In Ordnung. Wir beobachten die Sache. Vielleicht ziehen sich die Tiere in den nachsten Stunden zuruck. Glauben Sie, dass Sie in Ihrer Hohle furs Erste sicher sind?«
»Was wei? denn ich? Vor gewohnlichen Haien bin ich sicher, aber der Einfallsreichtum unserer Freunde kennt keine Grenzen.«
»Wir holen Sie da raus, Gerhard! Bevor Ihnen die Luft ausgeht.«
»Ich bitte sehr darum.«
Allmahlich fiel wieder etwas Licht in den Spalt. Die Stromung am Vulkansockel trug die Sedimentpartikel mit sich fort. Wenn es stimmte, was van Maarten sagte, wurde das Licht bald erloschen.
Dann ware er allein in der finsteren See. Bis irgendwann jemand kam, um es mit ein paar Hundert Hammerhaien aufzunehmen.
Mit der fremden Intelligenz.
Kein Hai, der seine naturgegebenen Sinne beisammen hatte, ware je in das elektrische Feld geschwommen. Kein Hammerhai hatte zwei Taucher in Exosuits angegriffen, und falls doch, hatte er schnell wieder von ihnen abgelassen. Hammerhaie galten als potenziell gefahrlich und mitunter enervierend neugierig, meist aber machten sie einen Bogen um alles, was ihnen suspekt erschien.
Normalerweise schwammen sie auch nicht in Felsspalten.
Bohrmann kauerte in seiner Hohle, versehen mit Sauerstoff fur weitere 20 Stunden und einem nicht funktionierenden Haiabwehrsystem. Er hoffte, es wurde kein weiteres Gemetzel geben, wenn van Maartens Leute herunterkamen. Wann immer sie kamen.
Ein Gemetzel in lichtloser Finsternis.
Er schaltete den Scheinwerfer seines Trackhounds aus, um die Batterien zu schonen. Sofort umgab ihn tintige Schwarze. Nur sehr schwach drang Licht durch den Spalt. Es wurde zusehends schwacher.
Johanson fand keine Ruhe.
Er war im Welldeck gewesen, wo Lis Manner unter der Aufsicht Rubins soeben die Uberfuhrung der Gallertmasse in den Simulator vorbereiteten. Der Tank wurde komplett geleert und dekontaminiert. Die Pfisteria -verseuchten Krabben wanderten in flussigen Stickstoff. Alles geschah unter hochsten Sicherheitsvorkehrungen. Johanson und Oliviera waren ubereingekommen, mit den Phasentests zu beginnen, sobald sich die Masse im Tank befand. Wahrend Crowe und Shankar uber der Entschlusselung des zweiten Scratch-Signals zusammensa?en, besprachen sie sich und legten die Testfolge fest.
»Der Schrecken sitzt tief«, hatte Li in einer kurzen, improvisierten Ansprache gesagt. »Wir alle sind zutiefst betroffen. Man hat versucht, uns zu demoralisieren, zu vernichten. Aber davon durfen wir uns nicht lahmen lassen. Sie werden sich fragen, ob dieses Schiff noch sicher ist, und ich kann Ihnen antworten: Ja, es ist sicher! Solange wir dem Gegner keine Gelegenheit mehr geben einzudringen, haben wir an Bord der Independence nichts zu befurchten. — Aber dennoch ist Eile geboten. Wir durfen nicht nachlassen in unseren Bemuhungen, Kontakt herzustellen. Jetzt erst recht. Wir mussen die anderen davon uberzeugen, den Terror gegen die menschliche Rasse zu stoppen!«
Johanson ging hinauf aufs Flugdeck, wo der Bordservice damit befasst war, die Uberreste der abgebrochenen Party beiseite zu schaffen. Die Sonne stand wieder am Himmel, das Meer sah aus wie gewohnt. Kein blaues Leuchten, keine Blitze. Kein Traum aus Licht, der sich zum Alptraum wandelte.
Er kehrte zuruck zum Ausgangspunkt seiner Gedanken, bevor Li ihm den Rotwein gebracht und versucht hatte, ihn uber sein nachtliches Abenteuer auszuquetschen. Zweierlei hatte er sehr schnell begriffen. Erstens, Li wusste, was wirklich geschehen war. Zweitens, sie war nicht sicher, woran er sich erinnerte und ob er die Wahrheit sagte, und das bereitete ihr Sorgen.
Sie hatten ihn belogen. Er war nicht gesturzt.
Dabei hatte er kurz davor gestanden, es zu akzeptieren. Hatte Oliviera nicht auf der Rampe zu ihm gesagt, er habe in der vorangegangenen Nacht Rubin zu sehen geglaubt, wie er durch eine geheime Tur im Hangardeck ging, hatte er sich auch daran nicht mehr erinnert und sich folgsam mit der Erklarung zufrieden gegeben, die Angeli und die anderen ihm verordnet hatten. Aber Olivieras Bemerkung hatte etwas in Gang gesetzt. Sein Gehirn begann sich zu reprogrammieren. Ratselhafte Bilder entstanden und vergingen. Wahrend er die gleichformig bewegte See anstarrte, richtete er seinen Blick nach innen. Plotzlich sa? er wieder mit Oliviera auf der Kiste, sie tranken Wein, und er sah Rubin durch die Tur in der Hangarwand treten. Sie war ein Stuck weit weg gewesen, diese Tur, aber ein anderes Bild suggerierte ihm, dicht davor zu stehen — fur Johanson Beweis genug, dass es diesen ratselhaften Durchgang gab.
Aber was war danach geschehen?
Sie waren runter ins Labor gegangen. Dann war er zuruckgekehrt ins Hangardeck. Wozu? Hatte es etwas mit dieser Tur zu tun gehabt?
Oder bildete er sich alles nur ein?
Du konntest alt und wunderlich geworden sein, ohne es zu merken, dachte er. Das ware naturlich peinlich. Zu Li zu gehen und sie zur Rede zu stellen, um einsehen zu mussen, dass man sie nicht alle beieinander hatte. Keine erhebende Vorstellung.
Wahrend er noch daruber nachgrubelte, hatte das Schicksal ein Einsehen. Es schickte ihm Weaver. Johanson freute sich, als er ihre kleine, kompakte Silhouette uber das Deck zu sich heruberkommen sah. Sie hatten in letzter Zeit wenig Kontakt gehabt. War sie ihm zu Anfang als Verschworene erschienen, hatte er schnell einsehen mussen, dass sie keinen Ersatz fur Lund darstellte. Sie verstanden sich gut, aber eine tiefere Bindung war nicht aufgekommen, weder im Chateau noch auf der Independence. Vielleicht hatte er gehofft, etwas von dem an ihr gutmachen zu konnen, was Lund zugesto?en war. Inzwischen lagen die Dinge anders. Johanson war bei weitem nicht mehr sicher, ob er wirklich eine Schuld abzutragen hatte, und auch nicht, ob zwischen ihm und Weaver je etwas von der Vertrautheit herrschen wurde, die er mit Lund geteilt hatte. Derzeit kam es ihm eher so vor, als bahne sich etwas zwischen ihr und Anawak an, und eigentlich passten die beiden auch viel besser zusammen.