Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
Und genau diese Hilflosigkeit entfachte seine Wut.
Noch atmete er.
Noch konnte er sich wehren!
Uber ihm erstreckte sich die gerade Kontur der Hammers. Die Kopfbreite des Hais bema? sich auf uber ein Viertel seiner Korperlange, sodass die seitlichen Auswolbungen weit auseinander standen. Bohrmann sah nur die Kante, kein Auge und kein Nasenloch. Er begann, mit der Konsole darauf einzuprugeln. Damit schien er keinen gro?en Eindruck auf das Tier zu machen. Der Hai stie? ihn weiter voran, der Lichtgrenze zu, dort, wo sie die Explosion abgewartet hatten. Wenn sie einmal im schwarzen Wasser waren, wurde er das Tier nicht einmal mehr sehen konnen.
Sie durften das Licht nicht verlassen.
Bohrmanns Wut wuchs ins Ma?lose. Sein linker Arm, der im Rachen steckte, fuhr hoch und schlug gegen die Gaumenplatte. Eigentlich konnte er von Gluck sagen, dass der Hai gleich seine ganze Seite verschluckt hatte. Hatte er nur einen Arm oder ein Bein gepackt, ware es ihm langst ergangen wie Frost, aber der Panzer um die Korpermitte wies keinerlei Schwachstellen wie Gelenkringe auf. Er war zu gro? und zu massiv, um ihn einfach durchzubei?en, selbst fur diesen Koloss. Auch der Hai schien das begriffen zu haben. Er schuttelte seinen Kopf noch starker. Bohrmann war kurz davor, die Besinnung zu verlieren. Wahrscheinlich hatte er schon mehrere Rippenbruche zu beklagen, aber je wilder ihn das Tier herumwirbelte, desto wutender wurde er. Er bog den rechten Arm nach hinten, wo der Hammerkopf endete, holte aus und lie? die Konsole mehrfach darauf niederkrachen …
Plotzlich war er frei.
Der Hai hatte ihn ausgespuckt. Offenbar hatte er eine empfindliche Stelle getroffen, ein Auge oder ein Nasenloch. Der riesige Korper schnellte aufwarts an ihm vorbei und schleuderte ihn gegen den Felsen. Fur einen Moment sah es tatsachlich so aus, als ergreife der Hai die Flucht. Bohrmann uberlegte fieberhaft, wie er die Situation nutzen konnte. Er gab sich keinen Illusionen daruber hin, was den Aufstieg zur Heerema betraf. Vorubergehend hatte er das Tier von sich abgebracht, aber ihm blieben allenfalls ein paar Sekunden. Hastig zog er den Trackhound zu sich heran und umklammerte die schlanke Rohre mit beiden Armen.
Um keinen Preis durfte er ihn verlieren.
Der Hai verschwand in der Dunkelheit und kam ein Stuck weiter entfernt wieder daraus hervor, ein blauer Schemen.
Bohrmann sah gehetzt zu Wand.
Da war der Hohlenspalt!
In einiger Entfernung glitt der gewaltige Leib des Hammerhais tiefer in die offene See. Bohrmann schob sich entlang der Wand auf den Spalt zu. Unterhalb der Lichtinsel sah er die beiden anderen Haie immer noch um Frosts Uberreste kampfen. Die Gruppe sank abwarts, aus der beleuchteten Zone hinaus. Er fragte sich, wann sie von dem zerfetzten Korper ablassen und heruberschwimmen wurden, und dann fragte er sich gar nichts mehr. Im Zwielicht vollzog der gro?e Hai eine unglaublich schnelle Kehrtwendung und kam zuruck.
Bohrmann schob sich in den Spalt.
Es war eng darin. Der Anzug mit den im Ruckenteil verankerten Flaschen behinderte ihn, sodass er kaum hineinkam. Schraubstockartig wurden seine Arme an die Seiten gedruckt. Er versuchte, sich tiefer in die Hohle zu quetschen, und da war der Hai auch schon heran.
Die Knochenplatte des Hammers krachte gegen die Felsrander. Das Tier prallte zuruck. Sein Kopf war zu breit, um hineinzugelangen. Es schwamm einen Kreis, der so eng war, dass es aussah, als verfolge es seinen eigenen Schwanz, und stie? ein weiteres Mal vor.
Lavabrockchen losten sich in Wolken vom Hohleneingang und trubten die Sicht. Bohrmann presste die Arme noch dichter an den Korper. Er hatte keine Ahnung, wie weit der Spalt ins Gestein reichte. Der Hai wutete drau?en am Felsen und wirbelte Sediment und Splitter auf. Die Wolke umhullte Bohrmann in seiner Hohle. Das blaue, hereinscheinende Licht der Insel verschwand fast vollig.
»Dr. Bohrmann?«
Van Maarten. Sehr schwach.
»Bohrmann, um Himmels willen, antworten Sie!«
»Ich bin hier.«
Van Maarten stie? ein Gerausch aus, vielleicht einen Seufzer der Erleichterung. Er war kaum zu verstehen im Getose, das der Hai veranstaltete. Larm unter Wasser war etwas vollig anderes als an der Luft, ein dumpfes, hohl polterndes Gebrau aus allen moglichen, einander uberlagernden Schwingungen. Bohrmann begann zu zittern, und plotzlich horte der Ansturm auf. Er klemmte in seiner Spalte, blind im schwarzen Partikelnebel. Das Licht der Insel war nur zu ahnen.
»Ich stecke in einer Felsritze«, sagte er.
»Wir schicken die Roboter nach unten«, sagte van Maarten. »Und zwei Manner. Wir haben noch zwei Anzuge.«
»Vergessen Sie’s. Das POD funktioniert nicht.«
»Ich wei?. Wir haben gesehen, was mit Frost …« Van Maartens Stimme versagte. »Die Manner kommen trotzdem, sie haben Harpunen mit Explosivgeschossen dabei und …«
»Explosivgeschosse? Was fur eine glanzende Idee!«, sagte Bohrmann mit atzender Stimme.
»Frost war uberzeugt, dass ihr so was nicht braucht.«
»Nein. Schon klar.«
»Das POD hat immer einwandfrei …«
Etwas rammte Bohrmann frontal und stie? ihn mit Wucht tiefer ins Innere des Spalts. Er war derma?en uberrascht, dass er zu schreien verga?. Im truben Restlicht sah er den Hammer. Er war senkrecht gegen ihn geprallt. Der Hai versuchte, auf der Seite liegend in die Hohle zu schwimmen.
Cleveres Kerlchen, dachte er grimmig. Sein Herz schlug ihm bis zum Halse. Aber das wird dir schlecht bekommen.
Er drosch auf den Hammer ein, bemuht, den Hund nicht loszulassen. Undeutlich sah er die Kiefer darunter auf— und zuklappen. Haie konnten nicht ruckwarts schwimmen. Der eckige Kopf schlug auf und nieder, aber die Kiefer erreichten ihn nicht. Das Auge im oberen Ende rollte wild hin und her. Bohrmann hob den Greifer mit der Konsole und lie? sie darauf niedersausen.
Der Hammer zuckte zuruck.
Allein wird er hier nicht rauskommen, dachte Bohrmann. Er begann, den Trackhound mit aller Kraft gegen den Schadel zu drucken. So tief konnte der Hai noch nicht eingedrungen sein. Wie weit ging die Kontrolle der Gallerte? Sie steuerte das Verhalten der Tiere, aber konnte sie einen Hai auch dazu bringen, ruckwarts zu schwimmen?
Offenbar ja, denn der Hammer verschwand aus der Hohle.
Es war das gro?e Tier gewesen.
Bohrmann wartete.
Wieder stie? etwas aus der Wolke. Dieser Hammer kam waagerecht herangesaust. Eines der kleineren Tiere. Sein Kopf donnerte gegen das gewolbte Sichtfenster des Helms. Die Kiefer klappten auseinander, Zahnreihen schrammten uber das Plexiglas. Der Hai verdunkelte die Offnung des Spalts so sehr, dass Bohrmann jetzt so gut wie gar nichts mehr sah, aber das bisschen reichte ihm. Er versuchte, sich noch weiter ins Innere des Spalts zu drucken, und plotzlich schienen die Wande nachzugeben. Er sturzte ruckwarts ins Nichts.
Pechschwarze Finsternis.
Fahrig bewegte er den linken Greifer uber die Konsole. Der Schalter fur die Lampe des Trackhounds lag oberhalb der Programmiertasten. Eben hatte er doch noch …
Wo war die verdammte Taste?
Da!
Der Scheinwerfer flammte auf. Im wandernden Licht erkannte er, dass sich der Spalt zu einer geraumigen Hohle geoffnet hatte. Er richtete den Lichtkegel auf die Offnung und sah den Kopf des Hais darin auftauchen. Der Hammer schwenkte hin und her, aber das Tier kam nicht weiter ins Innere.
Was ist los?, dachte Bohrmann.
Dann begriff er.
Der Hai steckte fest.
Er holte aus und schlug wie wahnsinnig auf den kastenformigen Schadel ein. Wahrscheinlich hing das Tier schon zur Halfte im Spalt. Plotzlich wurde ihm bewusst, dass es keine gute Idee war, den Hai so sehr zu verletzen, dass er blutete, und er druckte mit seinem ganzen Korpergewicht dagegen. Unter Wasser war es damit nicht weit her, also stie? er sich ab und lie? sich gegen den schnappenden Kopf fallen, mit Brustkorb, Schultern und Armen, immer wieder, bis der Hai langsam zuruckwich. Der Lichtkegel des Trackhounds zuckte hin und her, erhellte den rosa Schlund mit den pulsierenden Kiemenoffnungen.