Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
Einer der Haie drehte seinen flachen, breiten Kopf und schwamm ein Stuck abseits.
»Obwohl, ganz Unrecht hast du nicht«, sinnierte Frost. »Was mich stutzig macht, ist die Tiefe. Gro?e Hammerhaie sind nie tiefer als 80 Meter beobachtet worden. Ich frage mich, was sie hier …«
Der Hai drehte um. Einen Moment stand er still, den Kopf leicht angehoben, den Rucken nach oben gewolbt, die klassische Drohstellung. Dann schlug er mehrmals heftig mit dem Schwanz und raste pfeilgerade auf Frost zu. Der Vulkanologe war so uberrascht, dass er nicht einmal den Versuch einer Abwehr unternahm. Das Tier baumte sich kurz und heftig auf, dann schwamm es in das Feld und rammte Frost mit der Breitseite seines Korpers.
Frost drehte sich wie ein Kreisel um seine Achse, Arme und Beine gespreizt.
»He!« Die Konsole entfiel seinem Greifer. »Was zum Donnerwetter …«
Uber dem Gestange tauchte wie aus dem Nichts ein dritter Korper auf. Er schnellte uber die obere Reihe der Scheinwerfer mit unheimlicher Eleganz. Dunkel, hohe Ruckenflosse, hammerformiger Kopf.
»Stan!«, schrie Bohrmann.
Der Neuankommling war riesig, weit gro?er als die beiden anderen Haie. Sein Hammer klappte nach oben, als er die Zahnreihen vorstulpte und den Rachen weit aufriss. Er packte Frosts rechten Oberarm und begann daran zu rutteln.
»Schei?e«, zeterte Frost. »Was ist das denn fur ein Vieh? Ausgeburt der Holle! Lasst du mich wohl los, du …«
Der Hammerhai schuttelte wild seinen gro?en, eckigen Kopf, wobei er mit der Schwanzflosse gegensteuerte. Er musste zwischen sechs und sieben Meter messen. Frost wurde hin-und hergewirbelt wie ein Blatt. Sein gepanzerter Arm war bis zur Schulter im Maul des Hais verschwunden.
»Hau ab!«, schrie er.
»Um Gottes willen, Stan«, rief van Maarten. »Schlag ihm auf die Kiemen. Versuch, seine Augen zu erreichen.«
Naturlich, dachte Bohrmann. Oben sehen sie zu. Sie sehen alles!
Er hatte sich mitunter gefragt, wie es ware, einem solchen Riesen zu begegnen, von ihm angegriffen zu werden oder mitzuerleben, wie jemand anderer angegriffen wurde. Die Vorstellung versagte an der Wirklichkeit. Weder war Bohrmann ausgesprochen mutig noch besonders angstlich. Manche fanden, er sei ein Abenteurer. Sich selber hatte er als couragiert beschrieben, als jemanden, der Risiken nicht scheute, aber auch nicht herausforderte. Aber wie immer die Charakterisierung in der Vergangenheit ausgefallen war, nichts davon galt mehr in diesem Moment, angesichts des kolossalen Angreifers.
Bohrmann floh nicht, er schwamm darauf zu.
Einer der kleineren Haie naherte sich ihm von der Seite. Seine Augen zuckten, die Kiefer blahten sich krampfartig. Offenbar kostete es ihn gro?e Uberwindung, in das elektrische Feld zu schwimmen. Dennoch beschleunigte er und rempelte Bohrmann an.
Es war, als kollidiere man mit einem heranrasenden Auto.
Bohrmann wurde auf die Seite geschleudert. Er trieb auf die Lichtinsel zu. Sein einziger Gedanke war, dass er die Konsole nicht loslassen durfte, ganz gleich, was passierte. Der Trackhound war seine Ruckfahrkarte. Ohne die Kursprogrammierung wurde er in der Dunkelheit umherirren, bis seine Sauerstof fres erven verbraucht waren. Sofern er lange genug lebte.
Plotzlicher Wasserdruck erfasste ihn und druckte ihn in die Tiefe. Der Schwanz des gro?en Hais peitschte uber ihn hinweg. Bohrmann versuchte, die Kontrolle uber seine Bewegungen zuruckzuerlangen, und sah die beiden kleineren Haie gemeinsam herankommen. Ihre Kiefer schnappten auf und zu. Sie waren der Lichtinsel nun so nahe, dass im ozeanischen Blau ihre naturliche Farbung zu sehen war. Uber dem wei?lichen Bauch spannte sich ein bronzefarbener Rucken. Zahnfleisch und Racheninneres leuchteten rosaorange wie frisch aufgeschnittenes Lachsfleisch, bestuckt mit den charakteristischen dreieckigen Dolchen im Oberkiefer und spitzeren Fangzahnen unten. Funf hintereinander liegende, stahlharte Reihen, bereit, alles zu zerkleinern, was zwischen sie geriet.
»Gaarrraaad!«, schrie Frost.
Bohrmann sah gegen das Licht der Halogenleuchten, wie Frost mit dem freien Greifer auf den Kopf des gro?en Hammerhais einschlug. Dann plotzlich riss der Hai mit einer einzigen Kopfbewegung den gepanzerten Arm des Exosuit aus der Schulterhalterung und schleuderte ihn von sich. Sauerstoff wirbelte in dicken Blasen aus der Offnung hervor. Die Kiefer klappten auseinander, schlossen sich um Frosts ungeschutzten Arm und bissen ihn unterhalb des Schultergelenks ab.
Eine Wolke von Blut breitete sich dunkel aus, vermischt mit Blasen. Unglaublich viel Blut, das von den peitschenden Bewegungen des Hais sofort verteilt wurde. Frost schrie keine Worte mehr, nur noch unartikuliert und schrill, dann wurde ein Gurgeln daraus, als das Meerwasser in seinen Anzug schoss und ihn ausfullte. Das Schreien verstummte. Die kleineren Haie verloren augenblicklich das Interesse an Bohrmann. Was immer sie steuerte, kurzzeitig ubernahm der naturliche Fressrausch das Kommando uber ihr Verhalten. Sie sturzten sich in den schaumenden Wirbel, verbissen sich im leblosen Korper des Vulkanologen, wirbelten ihn herum und versuchten, die Panzerung zu durchbei?en.
Auch van Maartens schrie, uberlagert von Storgerauschen.
Bohrmanns Gedanken uberschlugen sich. Er fuhlte den lahmenden Schock. Zugleich arbeitete ein Teil seines Verstandes glasklar und sagte ihm, dass er nicht auf die Instinkte der Tiere vertrauen durfte. Ihre Kraft und Fresslust wurden manipuliert. Es ging nicht ums Fressen. Der Instinkt brach sich Bahn, aber dem Zeug, das in ihren Kopfen sitzen musste, war einzig daran gelegen, die Menschen hier unten zu toten.
Er musste zuruck zur Felswand.
Sein linker Greifer schlug gegen das Tastenfeld der Konsole. Wenn er jetzt den falschen Schalter erwischte, wurde er die Programmierung aktivieren, die ihn rauf zur Heerema brachte. Dann ware er verloren, nachdem das POD-Feld die Haie nicht mehr abhielt. Aber er druckte die richtige Taste. Der Propeller schnurrte los. Hastig bewegte er den Joystick so, dass ihn der Hund von der Lichtinsel weg— und auf die Felswand zuzog. Er spurte die Beschleunigung, doch im Gegensatz zum Abstieg, als ihm der kleine Roboter wendig und schnell vorgekommen war, schien er nun unertraglich langsam dahinzudumpeln.
Bohrmann schlug mit den Flossen und glitt ins Blaue, der Terrasse entgegen. Es gab nicht viel, was man in einer solchen Situation tun konnte, aber eine der Regeln fur Taucher besagte, dass Felsen Ruckendeckung gaben. Bohrmann trieb auf die schwarze Lavawand zu. Unmittelbar davor drehte er bei und starrte hoch zur Lichtinsel. Die Blutwolke hatte sich ausgebreitet, zuckende Schwanze und Flossen darin, schaumende Wirbel. Teile von Frosts Anzug sanken herab. Der Anblick war grauenhaft, aber was ihn wirklich entsetzte, war nicht das Gemetzel selber. Es war die Tatsache, dass nur noch zwei Haie daran beteiligt waren.
Der gro?e fehlte.
Lahmende Furcht uberkam Bohrmann. Er schaltete den Propeller aus und schaute sich um.
Der gro?e Hammerhai stie? aus der Sedimentwolke hervor, das Maul weit gedehnt. Mit atemberaubender Geschwindigkeit glitt er heran. Diesmal setzte Bohrmanns Verstand aus. Er verfing sich in der Frage, ob er den Trackhound wieder einschalten sollte oder nicht, da prallte der keilformige Kopf auch schon mit Gewalt gegen ihn. Der Aufprall schleuderte Bohrmann gegen die Felswand. Mit hohlem Krachen landete er auf dem Gestein. Der Hai schwamm weiter, beschrieb einen engen Bogen und kehrte im Tempo eines Rennwagens zuruck. Bohrmann schrie auf. Die Welt verwandelte sich in einen Abgrund aus Rachen und Zahnen, dann verschwand seine komplette linke Seite in dem klaffenden Maul, von der Schulter bis zur Hufte.
Das war’s, dachte er.
Ohne innezuhalten, glitt der Hai uber den Hang und schob ihn durchs Wasser. Es rauschte und drohnte in seinen Kopfhorern. Auf der Titaniumhulle des Exosuits knirschten vernehmlich die Zahne. Der Kopf des Hais pendelte hin und her, sodass der Helm mehrfach gegen den Felsen schlug und daran entlangschrammte. Alles drehte sich. Die Titaniumlegierung war robust genug, solche Schlage eine Zeit lang wegzustecken, aber dafur knallte Bohrmanns Kopf im Innern gegen die Innenseiten, dass ihm Horen und Sehen verging. Er war absolut hilflos, sein Schicksal besiegelt. Er wurde zersabelt und zerlegt werden. Sein Leben war keinen Atemzug mehr wert.