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Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗

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»Erfinden Sie Antworten. Dafur sind Sie Diplomatin. Wenn wir der Welt damit kommen, im Meer wohne eine zweite Menschheit, wird sie schon am Schock eingehen.«

»Ubrigens«, sagte der CIA-Direktor an Li gewandt. »Wie sollen wir diese kranken Hirne im Ozean uberhaupt nennen?«

Li lachelte. »Johanson hatte einen Vorschlag: Yrr.«

»Yrr?«

»Y und zwei r. Es ist ein zufalliger Name. Das Resultat unbewusster Fingerarbeit auf dem Laptop.«

»Albern.«

»Er meint, der Name sei so gut wie jeder andere, und da gebe ich ihm Recht. Ich finde, wir sollten sie Yrr nennen.«

»Gut, Li.« Der Prasident nickte. »Wir werden sehen, was an dieser Theorie dran ist. Wir mussen alle Optionen in Erwagung ziehen, alle Moglichkeiten. Aber wenn wir am Ende wirklich feststellen, dass wir eine Schlacht gegen Wesen zu schlagen haben, die wir meinethalben Yrr nennen wollen, werden wir eben die Yrr besiegen. Dann gibt es Krieg gegen die Yrr.« Er sah in die Runde. »Dies ist eine Chance. Eine sehr gro?e Chance. Ich will, dass sie genutzt wird.«

»Mit Gottes Hilfe«, sagte Li.

»Amen«, nuschelte Vanderbilt.

Weaver

Zu den Vorzugen des Chateaus in Zeiten der Belagerung gehorte, dass alles durchgehend geoffnet hatte. Niemand hier ging den Gewohnheiten der ublichen Gasteschaft nach. Li hatte geltend gemacht, dass insbesondere die Wissenschaftler Tag und Nacht wurden arbeiten mussen und moglicherweise morgens um vier Lust auf T-Bone-Steak bekamen. Als Folge gab es rund um die Uhr warme Mahlzeiten, Restaurants, Bar und Aufenthaltsraume waren besetzt, und samtliche Sportanlagen inklusive Sauna und Schwimmbad hatten vierundzwanzig Stunden geoffnet.

Weaver hatte eine halbe Stunde lang im Pool ihre Bahnen gezogen. Mittlerweile war es nach eins. Barfu? und mit nassen Haaren, in einen weichen Bademantel gehullt, durchquerte sie die Lobby zu den Aufzugen, als sie aus dem Augenwinkel Leon Anawak bemerkte. Er sa? am Tresen der Hotelbar, ein Platz, wo er ihrer Meinung nach am allerwenigsten hinpasste. Verloren hockte er vor einer unangetasteten Cola und einer Schale Erdnusse, pickte alle paar Sekunden eine heraus, sah sie an und lie? sie zuruckfallen.

Sie zogerte.

Seit der abgebrochenen Unterhaltung vom Vormittag hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Vielleicht wollte er ungestort sein. Immer noch herrschte Geschaftigkeit in der Halle und den angrenzenden Raumen, nur die Bar war nahezu leer. In einer Ecke sa?en zwei Manner in dunklen Anzugen, in gedampfte Unterhaltung vertieft. Ein Stuck weiter starrte eine Frau im Drillich konzentriert in ihren Laptop. Leise Westcoastmusik wob die Szene in Belanglosigkeit.

Anawak sah nicht eben glucklich aus.

Wahrend sie noch uberlegte, ihre Suite aufzusuchen, betrat sie schon die Bar. Ihre Fu?e patschten leicht auf dem Parkett. Sie ging ans Ende des Tresens, wo er sa?, und sagte:

»Hi.«

Anawak drehte den Kopf. Sein Blick war vollkommen leer.

Unwillkurlich blieb sie stehen. Man konnte die Intimsphare eines Menschen schneller verletzen, als es einem auffiel, und dann hatte man fur alle Zeiten den Ruf weg, aufdringlich zu sein. Sie lehnte sich gegen den Tresen und zog den Bademantel enger um die Schultern. Zwei Barhocker standen zwischen ihnen.

»Hi«, sagte Anawak. Sein Blick flackerte. Erst jetzt schien er sie richtig wahrzunehmen.

Sie lachelte.

»Was … ahm, machen Sie?« Blode Frage. Was machte er? Er sa? an einer Theke und spielte mit Erdnussen rum. »Sie waren plotzlich verschwunden heute Morgen.«

»Ja. Tut mir Leid.«

»Nein, muss es nicht«, sagte sie eilig. »Ich meine, ich wollte nicht storen, es ist nur, dass ich Sie hier sitzen sah und dachte …«

Irgendetwas stimmte nicht. Am besten, sie machte sich schleunigst wieder davon.

Anawak schien vollstandig aus seiner Starre zu erwachen. Er griff nach seinem Glas, hob es hoch und stellte es wieder ab. Sein Blick fiel auf den Barhocker neben ihm.

»Lust, was zu trinken?«, fragte er.

»Store ich Sie wirklich nicht?«

»Nein, uberhaupt nicht.« Er zogerte. »Ich hei?e ubrigens Leon. Wir sollten uns duzen, oder?«

»Gut, dann … Ich hei?e Karen, und … Baileys auf Eis, bitte.«

Anawak winkte den Barmann heran und gab die Bestellung auf. Sie trat naher, ohne sich zu setzen. Tropfen kalten Wassers liefen aus ihren Haaren den Hals hinunter und sammelten sich zwischen ihren Brusten.

Im Allgemeinen hatte sie keine Probleme damit, halb nackt herumzulaufen, aber plotzlich fuhlte sie sich unbehaglich.

Sie sollte austrinken und schnell wieder verschwinden.

»Und wie geht’s dir?«, fragte sie, wahrend sie an der cremigen Flussigkeit nippte.

Anawak legte die Stirn in Falten. »Ich wei? es nicht.«

»Du wei?t es nicht?«

»Nein.« Er griff nach einer Erdnuss, legte sie vor sich hin und schnippte sie weg. »Mein Vater ist gestorben.«

Ach du Schei?e.

Sie hatte es gewusst. Sie hatte nicht hineingehen sollen. Jetzt stand sie hier und trank Baileys mit jemandem, der sich derma?en ostentativ ans hintere Ende der Bar verzogen hatte, dass er ebenso gut ein Schild hatte aufstellen konnen mit dem Hinweis, sich fern zu halten.

»Woran?«, fragte sie vorsichtig.

»Keine Ahnung.«

»Die Arzte wissen es noch nicht?«

»Ich wei? es noch nicht.« Er schuttelte den Kopf. »Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es wissen will.«

Er schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Ich bin heute Nachmittag durch die Walder gelaufen. Stundenlang. Manchmal geschlichen, dann wieder gerannt wie ein Wahnsinniger. Auf der Suche nach einer … Empfindung. Ich dachte, es muss doch irgendeinen Gefuhlszustand geben, der zur Situation passt, aber ich habe mir die ganze Zeit uber nur selber Leid getan.« Er sah sie an. »Kennst du das? Wo immer du gerade bist, willst du sofort wieder weg. Alles scheint dich zu bedrangen, und plotzlich merkst du, dass es gar nicht an dir selber liegt. Du bist es nicht, der weg will. Es sind die Orte, die dich loswerden wollen. Sie scheinen dich abzusto?en, dir zu sagen, dass du da nicht hingehorst. Aber keiner erklart dir, wo du hingehorst, und du rennst und rennst …«

»Klingt komisch.« Sie dachte daruber nach. »Ich kenne so was Ahnliches vom Betrunkensein. Wenn du derma?en voll bist, dass dir in jeder Lage kotzubel wird, egal wie du dich drehst und legst und wendest.« Sie stockte. »Entschuldige. Dumme Antwort.«

»Nein, gar nicht! Du hast Recht. Dir geht’s erst besser, wenn du gekotzt hast. Genau so fuhle ich mich. Ich musste wahrscheinlich kotzen, aber ich wei? nicht, wie.«

Sie fuhr mit dem Finger uber den Rand ihres Glases. Die Musik dudelte unablassig vor sich hin. »Hattest du kein gutes Verhaltnis zu deinem Vater?« »Ich hatte gar kein Verhaltnis zu ihm.«

»Tatsachlich?« Weaver runzelte die Stirn. »Gibt es das? Kann man gar kein Verhaltnis zu jemandem haben, den man kennt?«

Anawak zuckte die Achseln.

»Und du?«, fragte er. »Was machen deine Eltern?«

»Sie sind tot.«

»Das … oh. Das tut mir Leid.«

»Schon in Ordnung. Ist ja nichts dabei. Ich meine, Menschen sterben, auch Eltern. Meine sind gestorben, als ich zehn war. Tauchunfall vor Australien. Ich war im Hotel, als es passierte. Starke Bodenstromung. Eine Weile ist alles ruhig, und plotzlich wirst du fortgerissen und ins offene Meer gezogen. An sich waren sie vorsichtig und erfahren, aber … na ja.« Sie zuckte die Achseln. »Das Meer ist immer anders.«

»Hat man sie gefunden?«, fragte Anawak leise.

»Nein.«

»Und du? Wie bist du damit zurechtgekommen?«

»Eine Zeit lang war es ziemlich hart. Ich hatte eine wunderbare Kindheit, wei?t du. Wir sind standig nur gereist. Sie waren beide Lehrer und fasziniert vom Wasser. Alles haben wir gemacht, Segeln auf den Malediven, Tauchen im Roten Meer, Hohlentauchen in Yucatan. Sogar vor Schottland und Island sind wir runter. Naturlich blieben sie naher an der Oberflache, wenn ich dabei war, aber ich hab trotzdem alles gesehen. Nur auf die gefahrlichen Tauchgange haben sie mich nicht mitgenommen. — Und den einen haben sie dann auch nicht uberlebt.« Sie lachelte. »Aber du siehst ja, es ist noch was aus mir geworden.«

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