Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
Vanderbilt verschrankte zornig die Arme uber seinem Bauch. Er sah aus wie ein schmollender Buddha.
»Ich habe da einen Vorschlag herausgehort«, sagte Li langsam.
»Namlich?«
»Mit den Knilchen zu reden. Kontakt aufzunehmen.«
Der Prasident legte die Fingerspitzen aufeinander. Dann sagte er bedachtig: »Dies ist eine Prufung. Eine Prufung fur die menschliche Rasse. Vielleicht hat Gott diesen Planeten fur zwei Rassen bestimmt. Vielleicht hat aber die Bibel Recht, wenn sie vom Tier spricht, das aus dem Meer steigt. Gott sagt, macht euch die Erde untenan, und er hat es nicht zu irgendwelchen Wesen im Meer gesagt.«
»Nein, absolut nicht«, murmelte Vanderbilt. »Er hat es zu den Amerikanern gesagt.«
»Vielleicht ist dies der Kampf gegen das Bose, die oft vorausgesagte gro?e Schlacht.« Der Prasident richtete sich ein Stuck auf. »Und wir sind auserkoren, sie zu schlagen und zu gewinnen.«
»Vielleicht«, griff Li den Gedanken auf, »wird, wer diese Schlacht gewinnt, die Welt gewinnen.«
Peak sah sie von der Seite her an und schwieg.
»Wir sollten Johansons Theorie offen mit den Regierungen der NATO-Staaten und der EU erortern«, schlug die Au?enministerin vor. »Dann sollten wir die Vereinten Nationen einbeziehen.«
»Und ihnen zugleich klar machen, dass sie kaum in der Lage sein werden, eine solche Operation durchzufuhren«, sagte Li schnell. »Ich meine, nutzen wir ruhig das Knowhow und die Kreativitat ihrer besten Kopfe. Ich schlage vor, auch befreundete arabische und asiatische Staaten einzubinden. Das macht auf alle Falle einen guten Eindruck. Aber zugleich wird es Zeit, dass wir die Gelegenheit wahrnehmen, uns an die Spitze der Weltengemeinschaft zu stellen. — Dies ist kein Meteoriteneinschlag, der uns alle vorn Angesicht der Erde fegen wird. Es ist eine schreckliche Bedrohung, derer wir Herr werden konnen, wenn wir jetzt keinen Fehler machen.«
»Greifen Ihre Gegenma?nahmen?«, fragte der Sicherheitsberater.
»Uberall auf der Welt laufen die Forschungen nach einem Immunstoff auf Hochtouren. Wir versuchen, etwas gegen das Eindringen der Krabben und gegen die Angriffe durch Wale zu unternehmen und diese Wurmer einzufangen, was sich schwierig gestaltet. Wir tun eine ganze Menge, um die Risiken einzudammen, aber es wird nicht reichen, wenn wir weiter konventionell verfahren. Der Stopp des Golfstroms verdammt uns zur Hilflosigkeit. Der Methan-GAU ist nicht aufzuhalten. Selbst wenn es uns gelingt, Millionen dieser Wurmer aus dem Meer zu fischen, konnen wir nicht sehen, wo sie sich angesiedelt haben, und es werden neue kommen. Nachdem es unmoglich geworden ist, Roboter, Sonden und Tauchboote nach unten zu schicken, sind wir blind geworden. Wir haben nicht die geringste Ahnung, was da unten vorgeht. Heute Nachmittag horte ich, dass wir vor der Georges Bank zwei riesige Schleppnetze verloren haben. Zu drei Trawlern, die in Hohe des Laurentiusgrabens unterwegs waren, um den Grund abzuweiden, haben wir jeden Kontakt verloren. Suchflugzeuge sind unterwegs, aber das ist schwieriges Terrain. Ostlich davon liegen die Banke von Neufundland. Eine Zone permanenten Nebels, und seit zwei Tagen tobt dort ein ziemlicher Sturm.« Sie machte eine Pause. »Das sind zwei Beispiele von tausenden. Fast alle Meldungen spiegeln unser Versagen wider. Die Drohnenaufklarung arbeitet gut, mehrfach konnten wir Krabbenheere mit Flammenwerfern eindammen, aber dafur kommen sie dann anderswo rausgekrochen. Wir mussen einsehen, dass wir auf dem Meer wenig zu melden haben. Es war schon wenig genug, als von dort noch keine Gefahr ausging, aber jetzt …«
»Und die Sonarattacken?«
»Wir setzen sie fort, aber sie versprechen keinen wirklichen Erfolg. Es funktioniert nur, wenn wir die Tiere toten. Die Wale fliehen nicht vor dem Larm, wie es jedes Tier tun wurde, das seine Instinkte beisammen hat. Ich schatze, dass sie furchterlich leiden, aber sie sind fremdgesteuert. Der Terror geht weiter.«
»Da Sie von Planung sprechen, Jude«, sagte der Verteidigungsminister. »Erkennen Sie eine Strategie hinter alldem?«
»Ich denke schon. Funfstufig und verzahnt. Schritt eins ist die Vertreibung des Menschen von der Meeresoberflache und aus den Meerestiefen. — Schritt zwei gipfelt in der Vernichtung und Vertreibung der Kustenpopulationen. Siehe Nordeuropa. — Schritt drei umfasst die Vernichtung unserer Infrastruktur. Ebenfalls Nordeuropa, wo die Offshore-Industrie empfindlich getroffen wurde. Das Lahmlegen des Fischfangs wird uns zudem ein gewaltiges Ernahrungsproblem bescheren, speziell der Dritten Welt. — Schritt vier, Vernichtung der Stutzpfeiler unserer Zivilisation, der Gro?stadte, durch Tsunamis, bakteriologische Vergiftung, Zuruckdrangen der Bevolkerung ins Landesinnere. — Und schlie?lich der funfte und letzte Schritt: Das Klima kippt, die Erde wird fur Menschen unbewohnbar. Sie vereist oder ertrinkt, wird aufgeheizt oder abgekuhlt oder beides — das wissen wir noch nicht im Einzelnen.«
Eine Weile herrschte beklommenes Schweigen.
»Aber wird die Erde dann nicht auch unbewohnbar fur die gesamte Tierwelt?«, fragte der Sicherheitsberater.
»An der Oberflache — ja. Oder sagen wir, ein gro?er Teil der Tierwelt durfte dabei hopsgehen. Aber ich habe mir sagen lassen, so was sei vor 55 Millionen Jahren schon mal passiert, und im Endeffekt hat es nur dazu gefuhrt, dass eine Menge Tiere und Pflanzen ausstarben und Platz fur neue Arten machten. Ich denke, diese Wesen werden sich sehr genau uberlegt haben, wie sie selber eine solche Katastrophe unbeschadet uberstehen.«
»Eine derartige Vernichtungsschlacht, das ist …« Der Minister fur Heimatschutz rang nach Worten. »Das ist unverhaltnisma?ig, unmenschlich …«
»Es sind keine Menschen«, sagte Li geduldig.
»Aber wie konnen wir sie dann stoppen?«
»Indem wir herausfinden, wer sie sind«, sagte Vanderbilt.
Li wandte ihm den Kopf zu. »Hore ich da spate Einsicht?«
»Mein Standpunkt bleibt derselbe«, sagte Vanderbilt gleichmutig. »Erkenne den Zweck einer Handlung, und du wei?t, wer sie vollbringt. In diesem Fall gestehe ich zu, dass Ihre Funf-Stufen-Strategie augenblicklich die einleuchtendste ist. Also mussen wir den nachsten Schritt gehen. Wer sind sie, wo sind sie, wie denken sie?«
»Was kann man gegen sie tun«, fugte der Verteidigungsminister hinzu.
»Das Bose«, sagte der Prasident mit stark zusammen gekniffenen Lidern. »Wie kann man das Bose besiegen?«
»Reden wir mit ihnen«, sagte Li.
»Kontaktaufnahme?«
»Man kann auch mit dem Teufel verhandeln. Ich sehe augenblicklich keinen anderen Weg. Johanson vertritt die These, dass sie uns auf Trab halten, um uns daran zu hindern, Losungen zu finden. So viel Zeit durfen wir ihnen nicht geben. Noch sind wir handlungsfahig, also sollten wir sie suchen und Kontakt aufnehmen. — Dann schlagen wir zu.«
»Gegen Tiefseewesen?« Der Minister fur Heimatschutz schuttelte den Kopf. »Du lieber Himmel.«
»Sind wir eigentlich alle der Ansicht, dass an der Theorie was dran ist?«, fragte der CIA-Direktor in die Runde. »Ich meine, wir reden daruber, als seien samtliche Zweifel ausgeraumt. Wollen wir uns ernsthaft auf den Gedanken einlassen, dass wir die Erde mit einer zweiten intelligenten Rasse teilen?«
»Es gibt nur eine gottliche Rasse«, betonte der Prasident entschieden. »Und das ist die Menschheit. Wie intelligent diese Lebensform im Meer ist, steht auf einem anderen Blatt. Ob sie das Recht hat, diesen Planeten ebenso zu beanspruchen wie wir, darf zutiefst bezweifelt werden. Die Schopfungsgeschichte sieht solche Wesen nicht vor. Die Erde ist die Welt der Menschen, sie wurde fur die Menschen geschaffen, und Gottes Plan ist unser Plan. — Aber dass eine fremdartige Lebensform fur all dies verantwortlich ist, scheint mir akzeptabel.«
»Nochmal«, wollte die Au?enministerin wissen. »Was sagen wir der Welt?« »Es ist zu fruh, der Welt etwas zu sagen.« »Sie wird Fragen haben.«