Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
Sie schaltete zuruck nach Nanaimo und lauschte Johanson und Oliviera, die eben zu den Aufzugen gingen. Beide unterhielten sich uber die Arbeitsbedingungen im Hochsicherheitstrakt. Oliviera bemerkte, dass man die Sauredusche ohne den schutzenden Anzug als sauber gebleichtes Skelett verlassen wurde, und Johanson machte einen Witz daruber. Sie lachten und fuhren nach oben.
Warum sprach Johanson nicht mit irgendjemandem uber seine Theorie? Fast hatte er es getan. Auf seinem Zimmer im Gesprach mit Weaver, gleich nach dem gro?en Meeting. Aber dann hatte er sich doch wieder nur in Andeutungen ergangen.
Li fuhrte eine Reihe von Telefonaten, sprach kurz mit Peak in New York und sah auf die Uhr. Zeit fur Vanderbilts Report. Sie verlie? ihre Suite und ging den Flur entlang zu einem gesicherten Raum am Sudende des Chateaus. Er bildete ein Pendant des War Room im Wei?en Haus und war ebenso wie der Konferenzraum vollkommen abhorsicher. Drinnen erwarteten sie Vanderbilt und zwei seiner Leute. Der CIA-Direktor war eben mit dem Helikopter aus Nanaimo zuruckgekehrt und sah noch derangierter aus als sonst.
»Konnen wir Washington zuschalten?«, schlug sie vor, ohne zu gru?en.
»Konnten wir«, sagte Vanderbilt. »Aber es wurde nichts bringen …«
»Machen Sie es nicht so spannend, Jack.«
»… sofern Sie beabsichtigen, den Prasidenten auf Leitung zu legen. Der Prasident ist nicht mehr in Washington.«
Oliviera lief Fenwick und Anawak in der Vorhalle uber den Weg, als sie mit Johanson den Fahrstuhl verlie?.
»Wo kommt ihr denn her?«, fragte sie erstaunt.
»Wir waren spazieren.« Anawak zwinkerte ihr zu. »Hattet ihr noch Spa? im Labor?«
»Idiot.« Oliviera verzog das Gesicht. »Sieht so aus, als waren die Probleme Europas zu uns rubergeschwappt. Die Gallerte in den Krabben ist tatsachlich unser alter Bekannter. Au?erdem hat Roche einen Erreger isoliert, den die Krabben in sich trugen.«
»Pfiesteria?« fragte Anawak.
»So ahnlich«, sagte Johanson. »Sozusagen die Mutation der Mutation. Die neue Art ist unendlich viel toxischer als die europaische.«
»Wir mussten ein paar Mause opfern«, sagte Oliviera. »Wir haben sie zusammen mit einer toten Krabbe eingesperrt, und alle waren binnen weniger Minuten tot.«
Fenwick trat unwillkurlich einen Schritt zuruck.
»Ist dieses Gift eigentlich ansteckend?«
»Nein, du darfst mich knutschen. Es wird nicht von Mensch zu Mensch ubertragen. Wir haben es nicht mit Viren zu tun, sondern mit einer bakteriologischen Invasion. Aber es gelangt au?er Kontrolle, sobald die Pfiesterien ins Wasser gelangen, und sie vermehren sich exponentiell, wenn die Krabben schon lange hinuber sind. Bis auf eine waren alle krepiert, und die ist inzwischen auch von uns gegangen.«
»Kamikaze-Krabben«, sinnierte Anawak.
»Ihre Aufgabe ist es, Bakterien an Land zu bringen, so wie es die Aufgabe der Wurmer ist, Bakterien ins Eis zu tragen«, sagte Johanson. »Danach verrecken sie. Quallen, Muscheln, selbst diese Gallerte, nichts davon uberdauert sonderlich lange, aber alles erfullt seinen Zweck.«
»Der da ware, uns zu schadigen.«
»Richtig. Auch die Wale haben eher was von Selbstmordattentatern«, sagte Fenwick. »Angriffe sind gewohnlich Teil einer Uberlebensstrategie, ebenso wie Flucht. Aber nirgendwo wird eine solche Strategie ersichtlich.«
Johanson lachelte. Seine schwarzen Augen blitzten.
»Da ware ich mir nicht so sicher. Einer verfolgt hier ganz klar eine Uberlebensstrategie.«
Fenwick musterte ihn. »Sie klingen fast schon wie Vanderbilt.«
»Nein. Das scheint nur so. In einigem hat Vanderbilt Recht, ansonsten bin ich ganz anderer Meinung.« Johanson machte eine Pause. »Aber ich gehe jede Wette ein, Vanderbilt wird schon bald genauso klingen wie ich.«
»Was soll das hei?en?«, wollte Li wissen, wahrend sie sich setzte. »Wo ist der Prasident, wenn nicht in Washington?«
»Er ist auf dem Weg zur Offutt Air Force Base in Nebraska«, sagte Vanderbilt. »Es sind Krabbenschwarme in der Chesapeake Bay und im Potomac aufgetaucht. Offenbar treiben sie den Meerarm hoch. Bei Alexandria und unterhalb von Arlington sollen welche an Land gelangt sein, aber wir haben noch keine Bestatigung erhalten.«
»Und wer hat Offutt angeordnet?«
Vanderbilt zuckte die Achseln. »Der Stabschef im Wei?en Haus hegt Befurchtungen, die Hauptstadt konne das gleiche Schicksal wie New York erleiden«, sagte er. »Sie kennen ja den Prasidenten. Er hat sich mit Handen und Fu?en dagegen gewehrt. Am liebsten wurde er losziehen und den hasslichen Biestern personlich den Krieg erklaren, aber am Ende hat er eingewilligt ins gesunde Landleben.«
Li uberlegte. Offutt war der Sitz des Strategie Command, das uber die Atomwaffen der Vereinigten Staaten gebot. Der Stutzpunkt war ideal, um den Prasidenten zu schutzen. Er lag mitten im Landesinnern, weit weg von allen Gefahrdungen, die aus dem Meer kamen. Von dort konnte der Prasident uber eine abhorsichere Videoverbindung mit seinem Nationalen Sicherheitsrat telefonieren und seine volle Regierungsgewalt ausuben.
»Das ist schlampig gelaufen«, sagte sie mit Nachdruck. »So was will ich demnachst sofort erfahren, Jack. Wenn irgendwo irgendwas seinen Kopf aus dem Meer steckt, will ich es wissen. Nein, ich will es wissen, bevor es seinen Kopf aus dem Meer steckt.«
»Wir konnen das hinkriegen«, sagte Vanderbilt. »Wir konnten diplomatische Beziehungen zu den ortsansassigen Delphinen aufnehmen und …«
»Au?erdem will ich in Kenntnis gesetzt werden, wenn jemand auf die Idee kommt, den Prasidenten nach Offutt zu schicken.«
Vanderbilt lachelte jovial. »Wenn ich einen Vorschlag machen darf …«
»Und ich will Klarheit daruber, was in Washington passiert«, fiel ihm Li ins Wort. »Und zwar innerhalb der nachsten zwei Stunden. Falls sich die Meldung bestatigt, evakuieren wir die befallenen Gebiete und verwandeln Washington in eine Sperrzone wie New York.«
»Das ware mein Vorschlag gewesen«, sagte Vanderbilt milde.
»Dann sind wir uns einig. Was haben Sie sonst fur mich?«
»Einen Haufen Schei?e.«
»Das bin ich gewohnt.«
»Eben. Ich wollte Sie nicht entwohnen, also habe ich mich bemuht, moglichst viele schlechte Nachrichten zusammenzutragen. Beginnen wir damit, dass die NOAA am Kontinentalhang vor der Georges Bank versucht hat, zwei Roboter hinunterzulassen, um Wurmer zu weiteren Forschungszwecken heraufzuholen. Das … ahm … ist gelungen.«
Li hob die Brauen und lehnte sich abwartend zuruck.
»Also, es ist gelungen, die Tiere einzusammeln«, sagte Vanderbilt, indem er jedes Wort genusslich dehnte. »Aber nicht, sie an Bord zu bringen. Kaum waren sie im Korbchen, kam etwas und kappte die Verbindung. Wir haben beide Roboter verloren. Ahnliche Nachrichten erreichen uns aus Japan. Dort ist ein bemanntes Tauchboot verloren gegangen, irgendwo im Gebiet vor Honshu und Hokkaido. Auch sie sollten Wurmer mitbringen. Die Japaner sagen, es sind mehr geworden. Insgesamt hat die Sache eine neue Qualitat gewonnen. Bis jetzt sind nur Taucher angegriffen worden, aber noch keine Unterseeboote, Sonden oder Roboter.«
»Konnten wir irgendwas Verdachtiges erfassen?«
»Nicht direkt. Feindliche Sonden oder Tauchboote waren nicht aufzuspuren, aber das NOAA-Schiff hat in siebenhundert Metern Tiefe eine sich bewegende Flache von mehreren Kilometern Ausdehnung erfasst. Der Forschungsleiter meint, zu neunzig Prozent habe es sich um einen Planktonschwarm gehandelt, aber er wurde es nicht beschworen.«
Li nickte. Sie dachte an Johanson. Fast bedauerte sie, dass er nicht hier war, um Vanderbilts Ausfuhrungen zuzuhoren.
»Zweiter Punkt, Tiefseekabel. Weitere Verbindungen sind abgerissen, CANTAT-3 und einige TAT-Kabel. Alles wichtige Verbindungen uber den Atlantik. Im Pazifik haben wir offenbar PACRIM WEST verloren, eine unserer Hauptverbindungen nach Australien. — Es gab au?erdem in den letzten beiden Tagen mehr Schiffsunglucke denn je, und alle in dicht befahrenen Gebieten. Von den rund 200 maritimen Nadelohren, die wir kennen, sind rund die Halfte betroffen, insbesondere die Stra?e von Gibraltar, die Malakkastra?e und der englische Kanal, aber auch der Panama-Kanal hat was abgekriegt und … nun ja, es ist geschehen, aber wir sollten das vielleicht nicht uberbewerten: Es gab eine Karambolage in der Stra?e von Hormuz und eine weitere bei Khalij as-Suways, das ist … ahm …«