Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
Peak starrte sie an.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich will wissen, ob Sie etwas hatten tun konnen!«
Peaks Ausdruck blieb ohne Regung. Er heftete seinen Blick unverwandt auf Weaver. Es war unangenehm still geworden.
»Wir haben es falsch eingeschatzt«, sagte er schlie?lich.
Li kannte solche Situationen zur Genuge. Peak wurde keine andere Wahl bleiben, als das Versagen der Luftaufklarung teilweise einzugestehen. Tatsachlich hatten sie eine Zunahme von Blowouts vor Norwegen registriert, aber eben auch alles Mogliche andere. Von Wurmern hatten sie nichts gewusst.
Sie erhob sich. Es wurde Zeit, Peak Beistand zu leisten.
»Wir hatten uberhaupt nichts tun konnen«, sagte sie ruhig. »Ich mochte Sie im Ubrigen bitten, den Ausfuhrungen des Majors zuzuhoren, anstatt Urteile zu fallen. Vielleicht darf ich Sie daran erinnern, dass die wissenschaftlichen Berater hier im Raum unter zwei Gesichtspunkten ausgesucht wurden: Fachkompetenz und Erfahrung. Einige von Ihnen waren in die Geschehnisse unmittelbar verwickelt. Was hatte Dr. Bohrmann verhindern konnen? Dr. Johanson? Statoil? Was hatten Sie verhindern konnen, Miss Weaver? Glauben Sie wirklich, der Blick aus dem Orbit gehe einher mit einer omniprasenten Task Force, die sofort zur Stelle ist und die Betroffenen raushaut, egal was passiert? Sollen wir lieber wegsehen?«
Die Journalistin runzelte die Stirn.
»Wir sind nicht hier, um uns gegenseitig Vorwurfe zu machen«, sagte Li mit Nachdruck, bevor Weaver etwas erwidern konnte. »Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein. So habe ich es gelernt. So steht es in der Bibel, und die Bibel hat in vielen Dingen Recht. Wir sind hier, um zu verhindern, dass noch mehr passiert. Sind wir uns einig?«
»Halleluja«, murmelte Weaver.
Li lie? ein kurzes Schweigen verstreichen.
Dann lachelte sie unvermittelt. Zeit fur Zuckerbrot.
»Wir sind alle sehr aufgewuhlt«, sagte sie. »Ich habe jedes Verstandnis fur Sie, Miss Weaver. Major Peak, bitte fahren Sie fort.«
Peak war vorubergehend mulmig geworden. Soldaten au?erten Kritik oder Bedenken nicht auf diese Weise. Er hatte nichts gegen Bedenken und Kritik, aber er hasste es, vorgefuhrt zu werden, ohne mit einem knappen Befehl die Verhaltnisse wieder herstellen zu konnen. Plotzlich verspurte er dumpfen Hass auf die Journalistin. Er fragte sich, wie er mit diesem Haufen Wissenschaftler je zurechtkommen sollte.
»Was Sie eben gesehen haben«, sagte er, »war die Freisetzung einer gro?eren Menge Methan. So sehr ich den Tod der Seeleute bedaure, stellt uns das freigesetzte Gas vor weit gro?ere Probleme. Infolge der Rutschung ist ein Millionenfaches dessen, was zum Untergang der Juno gefuhrt hat, in die Atmosphare gelangt. Es gibt Szenarien fur den Fall, dass alles Methan weltweit auf gleiche Art entweicht. Das Resultat kommt einem Todesurteil gleich. Die Atmosphare wurde kippen.«
Er schwieg einen Moment. Peak war hartgesotten, aber was er nun zu verkunden hatte, bereitete auch ihm eine Hollenangst.
»Ich muss Sie daruber in Kenntnis setzen«, sagte er bedachtig, »dass die Wurmer sowohl im Atlantik als auch im Pazifischen Ozean aufgetaucht sind. Explizit hat man die Spezies an den Kontinentalabhangen vor Nord— und Sudamerika, vor der kanadischen Westkuste und vor Japan entdeckt.«
Atemlose Stille.
»Das war die schlechte Nachricht.«
Jemand hustelte. Es klang wie eine kleine Explosion.
»Die gute ist, dass der Befall bei weitem nicht die Ausma?e erreicht wie vor Norwegen. Die Organismen besiedeln nur vereinzelte Flachen. Definitiv sind sie nicht in der Lage, in diesen Konzentrationen ernsthaften Schaden anzurichten. Aber wir mussen davon ausgehen, dass sie sich verstarken werden, auf welche Weise auch immer. Offenbar sind vor Norwegen schon im letzten Jahr kleinere Populationen verzeichnet worden, in einem Gebiet, das Statoil zur Erprobung neuartiger Fabriken ausgesucht hatte.«
»Unsere Regierung kann das nicht bestatigen«, sagte ein norwegischer Diplomat in der letzten Reihe.
»Das ist mir klar«, sagte Peak spottisch. »Praktischerweise scheint so gut wie jeder, der mit dem Projekt befasst war, tot zu sein. Unsere Quellen beschranken sich also auf Dr. Johanson und die Forschungsgruppe aus Kiel. Nun, wir haben Aufschub erhalten. Wir sollten ihn nutzen, um moglichst rasch etwas gegen die Schei?viecher zu unternehmen.«
Er stockte. Schei?viecher. Zu emotional. Das war nicht gut. Er hatte sich sozusagen auf den letzten Metern hinrei?en lassen.
»Schei?viecher sind es, bei Gott, dem Allmachtigen!«, drohnte eine Stimme.
Ein Mann von bemerkenswertem Au?eren hatte sich erhoben. Wie ein Fels ragte er in die Hohe, gro? und massig, mit einem orangefarbenen Overall angetan. Unter einer Baseballkappe ringelten sich drahtige, schwarze Locken nach allen Seiten. Eine getonte, uberdimensionale Brille hielt sich muhsam auf der viel zu kleinen Nase, die sich trotzig gegen den froschartig breiten Mund behauptete, indem sie spitz hervorstach. Wann immer sich dieser Mund offnete und das kolossale Kinn nach unten druckte, fuhlte man sich auf fatale Weise an die Muppet Show erinnert.
Dr. Stanley Frost stand auf dem Namensschild des Riesen, Vulkanologe.
»Ich habe mir die Unterlagen im Vorfeld angesehen«, sagte Frost. Es klang, als predige er das Evangelium. »Und sie treffen keineswegs meinen Geschmack. Wir konzentrieren uns da auf Kontinentalabhange im Umfeld dicht besiedelter Zonen.«
»Ja, weil es dem norwegischen Muster entspricht. Zuerst wenige Tiere, dann uber Nacht ganze Horden.«
»Wir sollten uns nicht allein darauf konzentrieren.«
»Wollen Sie ein zweites Nordeuropa?«
»Major Peak! Sagte ich, wir sollten die Hange au?er Acht lassen? Das habe ich nicht gesagt! Ich sprach von der alleinigen Konzentration darauf, was — der Herr sei mein Zeuge — von gewaltiger Dummheit kundet. Mir ist das zu augenfallig. Der Teufel plant auf anderen Wegen.«
Peak kratzte sich den Schadel.
»Konnten Sie Ihre Ausfuhrungen prazisieren, Dr. Frost?«
Der Vulkanologe holte tief Luft. Sein Brustkorb spannte sich. »Nein«, sagte er.
»Habe ich Sie richtig verstanden?«
»Das will ich doch hoffen. Sollen wir Pferde scheu machen? Ich muss erst Klarheit haben. Denken Sie an meine Worte.«
Er sah entschlossen in die Runde, das riesige Kinn vorgereckt, und setzte sich wieder.
Na wunderbar, dachte Peak. Erst dieser Idiot, und jetzt der nachste.
Vanderbilt walzte seine Massen zum Pult. Li verfolgte ihn mit zusammengekniffenen Lidern. Sie sah zu, wie der Stellvertretende Direktor der CIA eine lacherlich kleine Brille auf seine Nase nestelte, was sie mit einer Mischung aus Belustigung und Widerwillen erfullte.
»Schei?viecher ist durchaus der richtige Begriff, Sal«, sagte Vanderbilt gut gelaunt. Er strahlte in die Runde, als habe er die Frohe Botschaft zu verkunden. »Aber wir werden den kleinen Schei?ern Feuer machen, dass ihnen der Arsch gluht. Ich versprech’s euch. — Gut, kommen wir zu dem, was wir vermuten. Viel ist es nicht. Das liebe Ol, von dem wir alle so abhangig sind, dass wir’s am liebsten saufen wurden, kaputschnik! In Wirtschaftsparametern ausgedruckt hei?t das, wir konnen einen erheblichen Teil der weltweiten Produktion abschreiben. Fur die Kameltreiber von der OPEC eine feine Sache. Die internationale Schifffahrt schlagt sich mit immer neuen Tricks der Natur herum, sie lahm zu legen, wie Peak wortreich demonstrieren konnte. Und der Terror zeigt Wirkung! Ich meine, unter uns — Wal— und Haiattacken, mal ehrlich, so was ist im Grunde Kinderkacke, hoherer Blodsinn. Ich meine, es ist argerlich, wenn eine anstandige amerikanische Familie nicht mehr raus zum Angeln kann, der Menschheit im Ganzen geht es am Arsch vorbei. Auch dass der kleine Fischer in Entwicklungshausen, von dessen taglicher Sardelle siebzehn Kinder und sechs Frauen leben mussen, mit hohlem Blick am Strand sitzt, weil er auf See befurchten muss, gefressen zu werden, ist unschon, sehr beschissen. Geschuttelt von aufrichtigem Bedauern konnen wir rein gar nichts tun. Die Menschheit hat andere Sorgen. Reiche Lander sind betroffen. Die bosen Fische lassen sich uberhaupt nicht mehr fangen und schicken stattdessen mutierte Giftschleudern in die Netze, oder sie bringen Trawler zum Kentern. Auch wenn es Einzelfalle sind, es sind leider verdammt viele Einzelfalle. Und das ist blode fur Entwicklungshausen, weil sie nun gar nichts mehr von uns abbekommen.«