Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im ostlichen Mittelmeer - Kent Alexander (читать книги бесплатно полные версии TXT) 📗
Bolitho schaute in seinen Becher. Es ware nur zu leicht gewesen, Ozzard nach frischem Kaffee zu schicken. Kaffee war eine seiner Schwachen. Aber er wollte sich an seine Regeln halten und seinen Vorrat so lange wie moglich strecken.
Er horte das beharrliche Klopfen der Hammer. Die Reparaturarbeiten gingen pausenlos weiter. Dies war der vierte Morgen nach dem Gefecht. Die Lysander, gefolgt von der Schaluppe und der Prise, war langsam weiter nordostwarts gekrochen; die Leute arbe i-teten, bis es dunkel wurde, damit das Schiff fur den Notfall wieder kampfbereit war.
Noch einmal vergegenwartigte er sich die Karte, die er vor seinem frugalen Fruhstuck studiert hatte. Sie waren gezwungen, sehr langsam zu segeln. Zerfetzte Leinwand mu?te von den Rahen genommen und geflickt oder ersetzt werden. Der Kluverbaum mu?te nach der Kollision mit dem franzosischen Vierundsiebziger fast ganz neugetakelt werden; Bolitho war durchaus mit Herrick einverstanden, der in seinem Bericht den Schiffszimmermann Tuke wegen Flei?es und sauberer Arbeit gelobt hatte.
Mit Recht hatte Herrick auch uber Leutnant Veitch sehr Gunstiges geschrieben. Der Dritte Offizier hatte wahrend des ganzen Gefechts die Batterien befehligt; und daruber hinaus hatte er selbstandig, ohne um Rat oder Erlaubnis zu fragen, seine Geschutze doppelt laden lassen, um den Karronadenbeschu? zu unterstutzen. Doppelte Ladung war schon unter besten Bedingungen und mit erfahrenen Mannschaften eine riskante Sache. Und doch hatte
Veitch einen genugend klaren Kopf bewahrt, um die richtigen Manner aus den gerade nicht beschaftigten Geschutzbedienungen herauszusuchen. Auch Midshipman Luce, Bootsmann Yeo und Major Leroux waren, Bolithos Zustimmung vorausgesetzt, im Bericht des Kommandanten lobend erwahnt worden. Jedoch die Kehrseite der Medaille: Dreizehn Mann der Lysander waren in der Schlacht gefallen oder spater an ihren Verletzungen gestorben. Der Schiffsarzt hatte noch funf gemeldet, die jeden Moment sterben konnten, und zehn andere, die mit einigem Gluck wieder dienstfahig werden wurden.
Die Verluste des Feindes waren vermutlich weit hoher; dazu kam noch die Blamage, von einem einzelnen Schiff in die Flucht geschlagen worden zu sein. Doch wo es sich um Menschen handelte, war das ein geringer Trost. Man mu?te noch Wochen, vielleicht noch Monate, ohne Ersatz auskommen. Muskeln und Knochen waren wesentlicher als Hanf und Eichenholz; die Menschen selber waren fur das Schiff schlechthin lebenswichtig.
Bolitho versuchte, nicht an seinen eigenen Bericht zu denken, der noch unvollendet neben Moffitts knochigem Ellbogen lag.
«Fahren wir fort, Sir?«fragte der Schreiber. Seine Stimme war wie der ganze Mann dunn und kratzig. Laut Musterrolle war er achtunddrei?ig, doch sah er eher wie sechzig aus.
Bolitho musterte ihn nachdenklich.»Wie weit sind wir?»
Die Feder glitt ubers Papier: «Wahrend der ganzen Aktion war das Schiff standig unter Kontrolle, und nur als es im Rigg des zwe i-ten franzosischen Schiffes verstrickt war, ist es etwas abgetrieben.«Die glasernen Augen hoben sich.»Sir?»
Bolitho stand auf und ging zur Heckgalerie, die Hande auf dem Rucken. Er konnte Herricks Gesicht nicht aus seinen Gedanken verdrangen, wie es wahrend des Gefechts, in dem Moment, als die Kollision sich als unvermeidlich erwies, ausgesehen hatte. Das war der entscheidende Augenblick gewesen. Es war starker als der Kanonendonner, die furchtbaren Schreie, das zuckende Scharlachrot beim Ruder: in diesen entscheidenden Minuten hatte Herrick gezogert. Noch schlimmer: als die Franzosen die Initiative an sich gerissen hatten und das Schiff von beiden Seiten angreifen konnten, hatte Herrick die falsche Entscheidung getroffen. Bolitho war, als hore er wieder seine Stimme hier in der Kajute: die Angst, mit der er Gilchrist befohlen hatte, die Enterer abzuwehren. Eben das war falsch gewesen. Eine Defensivma?nahme in diesem Stadium hatte den Kampfeswillen der Mannschaft erstickt; ebensogut hatte man die Flagge der Lysander vor ihren Augen streichen konnen.
Er zwang sich dazu, Herrick als den Kommandanten der Lysan-der zu betrachten und nicht als Thomas Herrick, seinen Freund. Fruher hatte er jeden hoheren Offizier verachtet, der aus Freundschaft Versagen oder Unfahigkeit deckte. Doch jetzt wu?te er, Entscheidungen fielen nicht so leicht und auch nicht so frei von Vorurteil. Herrick hatte ihn beinahe beschworen, auf dem Achterdeck zu bleiben und sich nicht am Kampf zu beteiligen. War das reine Freundschaft, oder weil er Bolithos Rat und Entschlu?kraft nicht entbehren konnte? Bolitho hatte bemerkt, wenn auch erst viel spater, da? der franzosische Kommandant achtern geblieben war, wahrend sich seine Manner, die die Lysander geentert hatten, auf blutigem Pfad vorwartskampften. Wie ware der Kampf verlaufen, uberlegte Bolitho, wenn der franzosische Kommandant an der Spitze seiner Manner in vorderster Front gekampft hatte, unter Gefahr fur Leib und Leben, wahrend sein britischer Gegenpart sich herausgehalten hatte und in verhaltnisma?iger Sicherheit geblieben ware?
Er stutzte sich auf das Sull unter dem salzfleckigen Fenster. Herrick war kein Feigling und konnte ebensowenig unloyal handeln wie seine Schwester verraten. Aber auf dem Achterdeck, als er am allernotigsten gebraucht wurde, hatte er versagt.
«Ich diktiere spater zu Ende, Moffitt«, sagte Bolitho kurz. Er wandte sich ab und glaubte, in den Augen des Schreibers einen Funken Neugier aufglanzen zu sehen.»Sie konnen schon ins reine schreiben, was wir bisher erledigt haben. «Damit war Moffitt zunachst einmal beschaftigt, und Bolitho konnte den Abschlu? des Berichts noch etwas aufschieben.
Es klopfte, und Herrick trat ein.»Ich dachte, Sie wurden es sofort wissen wollen, Sir: Die Harebell hat signalisiert, da? sie im Osten zwei Segel gesichtet hat. «Seine blauen Augen streiften Moffitt.»Hochstwahrscheinlich ist es das Geschwader. «Bitter fugte er hinzu:»Diesmal!»
Bolitho sah, da? sein Blick auf den Bericht fiel, und verspurte ein gewisses Schuldgefuhl; als hatte Herrick seine Gedanken gelesen, seine bitteren Zweifel.»Danke. Wie ist unsere Position?»
Herrick runzelte die Stirn.»Bei acht Glasen waren wir vierzig Meilen nordlich der Insel Mallorca. Bei der langsamen Fahrt, die wir machen, und den Schaden an Segeln und Ruder will sich selbst der Master nicht genauer festlegen.»
«Sie konnen gehen, Moffitt«, sagte Bolitho. Er horte, wie Ozzard aus der Schlafkajute direkt auf den Gang hinaustrat.
«Ihre Befehle, Sir?«fragte Herrick.
«Wenn wir wieder zum Geschwader sto?en, will ich eine Kommandantenbesprechung abhalten. «Bolitho trat ans Fenster und sah Herricks Spiegelbild in dem dicken Glas.»Sobald mir Captain Farquhar erklart hat, warum er mit dem Rendezvous bis jetzt gewartet hat, werde ich darlegen, wie ich mir unser weiteres Vorgehen denke. Als Flaggkapitan mussen Sie dafur sorgen, da? jedes Schiff, von der Lysander bis zur Harebell, meine Dienstanweisungen genau versteht. Fur mich ist Initiative ein durchaus brauchbarer Ersatz fur blinden Gehorsam. Aber ich wunsche keine Manover auf eigene Faust, und noch weniger dulde ich blanken Ungehorsam.»
«Ich verstehe, Sir«, erwiderte Herrick.
Bolitho wandte sich um und sah ihm ins Gesicht.»Was denken Sie, Thomas? «Er wartete gespannt. Herrick sollte sich aussprechen.»Was denken Sie wirklich?»
Herrick hob die Schulter.»Ich glaube, Farquhar ist eigennutzig, er giert nach Beforderung und wird, so oft er nur kann, nach eigenem Ermessen und zu eigenem Nutzen handeln.»
«Aha.»
Bolitho trat an sein Weinkabinett und fuhr mit dem Finger uber das Holz. Er sah sie noch vor sich, wie sie ihn anlachelte, hatte noch ihr ansteckendes Lachen im Ohr, als sie sah, wie sehr er sich uber das Geschenk freute. Ihre Liebe war so warm, so gro?herzig gewesen. Und rucksichtslos war sie jedem uber den Mund gefahren, der es gewagt hatte, sich uber ihre Affare kritisch zu au?ern.