Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im ostlichen Mittelmeer - Kent Alexander (читать книги бесплатно полные версии TXT) 📗
«Zuruck!»
Der Ruf lief uber die blutigen Decks und mischte sich mit dem Hurra der Marine-Infanteristen, die auf dem Kluverbaum hockten und die Feinde wie Huhner abschossen. Hande streckten sich den Matrosen entgegen und zogen sie auf die Lysander zuruck, die Sekunden spater unter Krachen, Donnern und Splittern ganz aus dem Gewirr der zerfetzten Spieren und Wanten freikam und schwerfallig vor den Wind drehte. Aus dem unteren Batteriedeck feuerte noch eine letzte wutende Salve; die Zweiunddrei?igerKugeln schmetterten in den Rumpf des Feindes, dunne Blutstrome rannen aus den Speigatten uber die zerlocherte, splitternde Bordwand.
«Hurra! Hurra fur den Kommodore!«schrie Pascoe gellend.
Bolitho ging nach achtern, und ein bezopfter Matrose prasentierte ihm grinsend den Dreispitz, den er irgendwie aus dem Kampfgetummel gefischt hatte. Herrick begru?te ihn heiser; angstlich suchten seine Augen nach Wunden.
«Wo ist der andere?«fragte Bolitho.
Herrick deutete nach Backbord.»Halt sich klar, Sir.»
«Hab' ich mir fast gedacht.»
Bolitho blickte vom Vormast zum Achterdeck. Die Fockstenge war weg, mehrere Geschutze waren umgesturzt. Das Oberdeck hatte erhebliche Locher, und emsige Hammerschlage, das trubselige Janken der Pumpen verrieten ihm, da? die Schaden unter der Wasserlinie ebenfalls betrachtlich waren.
«Bringen Sie das Schiff wieder in Fahrt«, sagte er.
Neben einem sterbenden Seesoldaten kniete Pascoe, hielt seine Hand und blickte in das Gesicht, aus dem Verstehen und Bewu?tsein bereits schwanden.
Grubb studierte seinen Kompa?; seine neuen Rudergasten, die mit nackten Fu?en unsicher auf den von Blut glitschigen Planken standen, blickten starr in die killenden Segel und warteten darauf, da? die Lysander wieder auf das Ruder reagierte.
Die Marine-Infanteristen traten von den Finknetzen zuruck, entluden die Musketen und sahen jetzt, da der Kampf vorbei war, auf einmal todmude aus.
Midshipman Luce verband mit einer Signalflagge die furchtbare Wunde im Oberschenkel eines Matrosen. Der Mann starrte zu ihm auf und wiederholte immer wieder, wie im Gebet:»Versprechen Sie mir, da? ich nicht ins Orlopdeck [14] mu?, Mr. Luce!«Doch die Sanitatsgasten des Schiffsarztes kamen bereits in ihren blutigen Schurzen und schleppten ihn hinunter.
All das und noch mehr sah Bolitho. Wie so viele, war der Matrose, der das furchtbare Gefecht durchgestanden hatte, unfahig zu begreifen, weshalb er jetzt dem Messer des Chirurgen ausgeliefert wurde.
«Sie reagiert, Sir«, murmelte Grubb.
«Steuern Sie Nordost. «Der Wind fuhr in die locherigen Segel, und Bolitho sah hoch.»Signal an Harebell: Sie soll dichtauf bleiben. «Wie mochte sich Inch wohl als unbeteiligter Zuschauer vorgekommen sein?
Herrick kam nach achtern und fa?te an den Hut.»Wir haben sie geschlagen, Sir.»
Bolitho sah ihn an.»Ein Sieg war es nicht, Thomas. «Unter Deck schluchzte ein Mann wie ein Kind.»Aber jetzt wissen wir, was wir konnen. Und nachstes Mal machen wir es schon ein bi?chen besser. «Leroux kam mit seinem Sergeanten vorbei, und Bolitho nickte ihm zu.
Dann ging er zur Kampanjeleiter. Auf halbem Wege blieb er stehen, um nach den Feindschiffen auszuschauen. Mit ihren fehlenden Masten und Spieren, dem nachschleppenden Gewirr des zerschossenen Riggs boten sie einen traurigen Anblick.
Die Mannschaft der Lysander hatte sich in ihrem ersten Gefecht bewahrt. Aber den Kampf noch weiterzufuhren, um vielleicht noch mehr herauszuholen, hatte eine Katastrophe gebracht. Die Lust dazu war ihn gleichwohl angekommen.
Allday trat zu ihm.»Komisches Gefuhl, Sir.»
Bolitho sah ihn an. Allday hatte ganz recht. Nach einem Seegefecht hatten sie sonst nie Zeit gehabt fur Zweifel und bose Reue — uberhaupt keine Zeit zum Nachdenken. Jetzt ging es Herrick so, dem Kommandanten. Dem Mann, auf den es nach der Schlacht am meisten ankam.
Allday seufzte.»Aber sie haben gut gekampft, trotz allem. Jetzt ist eine andere Luft im Schiff.»
Langsam ging Bolitho zur Heckreling und lie? sich den Wind durch die blutverschmierte Uniform, um die schmerzenden Glieder wehen. Es war wie erfrischende Medizin. An Backbord kreuzte die Harebell heran, sehr hell, sehr sauber im Sonnenschein.
Er zog seine Uhr. Das ganze Gefecht hatte weniger als zwei Stunden gedauert. Ein paar Tote trieben noch in der See, die Gesichter sehr bleich im blauen Wasser; sie mochten wohl Franzosen sein, die beim Entern gefallen waren. Und seine eigene Verlustliste? Wie viele lagen im Sterben oder warteten bereits auf Bestattung?
Zwei Matrosen rannten die Kampanje entlang; sie hatten Marlspieker in Handen und hielten Ausschau nach Tauwerk, das gesplei?t werden mu?te. Fur sie war es vorbei. Fur diesmal. Sie schwatzten miteinander, dankbar, weil sie heil und gesund waren, weil sie noch lebten.
Still sah Bolitho ihnen nach. Vielleicht hatte Herrick recht gehabt mit dem, was er uber die Zivilisten in England gesagt hatte, die fur solche Manner keinen Gedanken ubrig hatten.
Er nickte den beiden zu. Schlimm genug, wenn dem so ware, dachte er. Denn solche Manner waren sehr wohl ihrer aller Gedanken wert, und noch viel mehr als das.
VIII Nachwirkungen
Joshua Moffitt, personlicher Schreiber des Kommodore, tippte sich mit der Feder an die Zahne und wartete. Bolitho hatte sich im Schreibtischsessel zuruckgelehnt und trank einen Schluck Kaffee.
Er lie? die starke Flussigkeit in den Magen rinnen und versuchte, sich auf den Bericht an den Admiral zu konzentrieren, den er eben diktierte. Nur fur den Fall, da? er jemals abgesandt und auch gelesen wurde.
Er wu?te, da? Moffitt ihn beobachtete, doch im Lauf der Zeit hatte er sich einigerma?en an dieses merkwurdige, glaserne Starren gewohnt. In der Schlafkajute nebenan machte Ozzard, der Kajutsteward, das Bett zurecht; er bewegte sich so leise, da? seine Fu?e kaum auf den Planken zu horen waren. Was fur ein seltsames Schicksal diese beiden Manner in ihre gegenwartigen Lebensstellungen gebracht hatte! Ozzard, der sich um Bolithos tagliche Bedurfnisse kummerte, vom Rasierwasser bis zum frischen Hemd, sollte angeblich Anwaltsschreiber gewesen sein. Jedenfalls war er gebildeter als mancher Offizier. Moffitt dagegen, zu dessen Pflichten das sorgfaltige Niederschreiben jeder Order und Depesche, das Registrieren der personlichen Signale Bolithos und das Ausschreiben der Instruktionen fur die Kommandanten des Geschwaders umfa?ten, war ein Produkt der Slums. Er hatte strahniges, graues Haar und glasern starre Augen, die aus seinem pergamenthautigen Schadel spahten wie die eines Halbtoten. Oder, wie es Allday einmal recht unfreundlich ausgedruckt hatte:»Ich habe schon manchen Schurken am Galgen baumeln sehen, der besser aussah!»
Bolitho hatte nur wenig uber Moffitt erfahren konnen. Er sollte im Schuldgefangnis auf seinen Abtransport nach der neuen Strafkolonie in der Botany Bay [15] gewartet haben. Ein hoffnungsvoller Leutnant mit einem gerichtlichen Patent zur Anwerbung von Rekruten fur Seiner Majestat Kriegsflotte war in diesem Gefangnis erschienen; und mit mehreren anderen hatte Moffitt ein neues Leben begonnen. Sein erstes Schiff war ein Achtzig-Kanonen-Zweidecker gewesen; in einem kurzen Scharmutzel vor Ushant [16] war der Kapitansschreiber von einer verirrten Musketenkugel getotet worden. Moffitt hatte die Gelegenheit genutzt und durch Ubernahme von dessen Pflichten einen weiteren Wechsel in seinen Le-bensumstanden bewirkt. In Spithead wurde er auf die Lysander versetzt und hatte sich bereitwillig als Kommodore-Schreiber angeboten, bis sich ein Geeigneterer fand. Bei dem hektischen Betrieb angesichts der Neuausrustung und Reparatur konnte Moffitt unauffallig in seine neue Rolle schlupfen.
14
Deck unter der Wasserlinie, wo der Schiffsarzt die Verwundeten behandelte.
15
an der australischen Ostkuste, sudlich von Sydney
16
Insel nordwestlich von Brest; franzosische Schreibweise Ouessant