Mauern aus Holz, Manner aus Eisen: Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung - Kent Alexander (читать книги без регистрации .txt) 📗
Bolitho warf dem Veteran einige Goldmunzen in die Schale.»Gott schutze Sie. Was Sie taten, war nicht umsonst. «Unglaubig starrte der Mann auf die Goldmunzen hinab.»Ihr Mut und Ihre Erinnerungen werden Ihnen weiterhelfen.»
Bolitho drehte sich um. Da stand seine Kutsche. Catherine offnete den Schlag, und er sprang hinein.»Ich dachte immer, ich kenne mich mit Menschen aus«, sagte er, als die Kutsche anfuhr.»Aber jetzt bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Eigentlich verstehe ich nur noch dich ganz.»
Catherine sah aus dem Fenster. Sie wu?te, Herrick war in die Admiralitat gegangen und sicherlich Bolitho begegnet. Alles weitere, auch den Zwischenfall mit dem jungen Dandy, brauchte ihr keiner zu erklaren. Sanft sagte sie:»Dann wollen wir das Beste daraus machen.»
Tom Ozzard lehnte sich an eine steinerne Balustrade, um sich kurz auszuruhen. Er war seit Stunden unterwegs und hatte ofter die Orientierung verloren, doch sein Ziel stets vor Augen gehabt. Nun holte er tief Atem.
Jetzt war er in dem schabigen Teil Londons, wo er lange gelebt hatte, dem Viertel am Flu?. Die Giebel der Hauser beruhrten sich fast uber der Stra?e und lie?en kaum Licht nach unten. Es stank nach Pferdemist und offenen Abwassergraben. Der Larm war kaum zu ertragen.
Ihm gegenuber bot ein Mann brullend frische Austern an. Drei Matrosen probierten sie und spulten sie mit dunklem Bier hinunter. Der Flu? war allgegenwartig. Von der London Bridge bis zur Isle of Dogs lagen Handelschiffe Rumpf an Rumpf, ihre Masten und Rahen schwankten in der Stromung wie entlaubte Baume.
In der Kneipe neben dem Austernverkaufer vergnugten sich Matrosen mit grell geschminkten Hafenhuren und betranken sich mit Bier und Genever. Die verrottende Leiche eines Piraten, der in Ketten am Galgen des Execution Docks hing, schien niemanden au?er Ozzard zu storen.
Dies war seine Gasse. Damals war sie noch von ehrbaren Handwerkern und Handlern bewohnt gewesen und von ihm, dem Schreiber. Tagsuber hatte er bei einem Anwalt gearbeitet, abends fur die Nachbarn.
Eigentlich war er verruckt, hierher zuruckzukehren.
Wahrscheinlich lebten hier noch Menschen, die sich an ihn erinnerten. Aber die Gasse, das Haus und die schreckliche Szene hatten ihn so oft bis in seine Traume hinein verfolgt, da? er den Ort seiner Tat wenigstens noch einmal sehen mu?te. Er musterte das Haus, sein ehemaliges Haus. An jenem blutigen Nachmittag hatte ihn der Anwalt fruher heimgehen lassen, als Ausgleich fur viele Uberstunden. Schon seit Monaten mu?te seine Frau ihm Horner aufgesetzt haben. Sobald er ins Kontor nach Billingsgate aufgebrochen war, mu?te ihr Liebhaber ins Haus geschlupft sein. Warum hatte ihm kein Nachbar etwas davon gesagt, warum hatten alle geschwiegen?
Ihm wurde jetzt noch schlecht, wenn er an das Bild bei seiner Heimkehr dachte. Da lag seine Frau, so jung, so begehrenswert schon, nackt in den Armen ihres Liebhabers. Es war ein sonniger Tag wie der heutige gewesen. Er hatte die Kuchenaxt genommen und auf die nackten Glieder eingeschlagen. Sie schrie, der Mann schrie, und als es in der Schlafkammer so aussah wie spater im Gefecht auf den Schiffen Bolithos, hatte er die Axt fallen gelassen und war geflohen — mit blutbeschmierten Handen.
«Halt! Stehenbleiben!»
Ozzard hatte die schweren Schritte und das Klirren von Waffen nicht naherkommen gehort. Jetzt blockierte ihm ein Pre?kommando den Fluchtweg. Die Werber waren, anders als in den Dorfern an der Kuste, bis an die Zahne bewaffnet. Ein Stuckmeister baute sich, einen Knuppel in der Faust und ein Entermesser locker im Gurtel, vor Ozzard auf.»Was haben wir denn hier?»
Er starrte Ozzards blaue Jacke mit den glanzenden Knopfen an und musterte auch seine Schnallenschuhe, die sich Seeleute gern leisteten, wenn sie genugend Geld gespart hatten.»Du bist doch kein Seemann, Freundchen!«Der Riese drehte den kleinen Ozzard einmal um sich selbst.
«Aber ich diene doch. «beteuerte Ozzard klaglich.
«Zur Seite!«Der Leutnant bahnte sich einen Weg durch seine Manner und musterte Ozzard neugierig.»Rede, mein Freund. Die Flotte braucht Manner. Wenn du dienst, dann sag uns, wo!»
«Ich bin Diener bei Sir Richard Bolitho. «Ozzard sah den Leutnant an, ohne mit der Wimper zu zucken.»Er ist Vizeadmiral der Heimatflotte und zur Zeit in London.»
«Die Hyperion war doch sein letztes Schiff?«Der Leutnant sprach schon sehr viel freundlicher, und Ozzard nickte.»Dies ist keine Gegend fur Bolithos Leute. Also weg von hier!»
Der Stuckmeister sah den Leutnant fragend an, erntete Zustimmung und druckte Ozzard ein paar Munzen in die Hand.»Hier, trink ein Glaschen. Das hast du ja wohl verdient nach allem, was ihr auf der Hyperion durchgemacht habt.»
Was hatten die Werber wohl gesagt, hatte er ihnen erzahlt, wie er damals den langen Weg nach Tower Hill gelaufen war, um auf ein Pre?kommando zu treffen und in die Navy zu fluchten? Damals lauerten dort immer Kommandos auf der Suche nach Opfern. Ozzard starrte sein Haus an. Die Fenster spiegelten das Rot der untergehenden Sonne wie Blut. Er zitterte.
Das Pre?kommando war verschwunden. Weiter weg rannten Fu?e, ein Schrei erklang — dann wurde es still. Die Werber hatten wohl ein Opfer gefunden, das morgen mit blutigem Kopf auf einem Wachschiff auf der Themse aufwachen wurde. Achtlos lie? Ozzard die Munzen fallen und machte sich auf den langen Ruckweg zu Lord Brownes Stadthaus. Die engen Gassen schluckten seine Gestalt schnell. Hinter ihm blieb das Haus drohend und dunkel zuruck.
Ein paar Meilen flu?aufwarts half Bolitho Catherine aus der Gig, die sie uber den Flu? gebracht hatte. Der wolkenlose Himmel hatte in der fruhen Dunkelheit zahllose Sterne aufgesetzt, passend zu dem verzauberten Abend, den Catherine ihm versprochen hatte.
Bolitho belohnte den Bootsfuhrer mit einem guten Trinkgeld, denn er sollte sie spater wieder uber den Flu? zuruck rudern. Er hatte Catherine unverhohlen bewundert, und Bolitho konnte ihm das nicht ubelnehmen. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid aus Seide, deren Grun bei jeder Bewegung ins Schwarze changierte. Sie hatte ihr Haar hochgesteckt und sich mit den Ohrringen geschmuckt, die ihr Bolitho geschenkt hatte, als sie sich zum erstenmal liebten. Sie hatte sie durchs Gefangnis gebracht, indem sie sie im Saum ihres Kleides einnahte.
«Ich warte druben mit dem Boot, bis Sie mich brauchen, Admiral. «Die Gig glitt schnell uber den Flu? zuruck.
«Woran hat der Mann mich erkannt?«Bolitho trug einen einfachen blauen Rock, den ihm der Schneider in Falmouth genaht hatte, dessen Vorfahren schon seit langem allen Bolithos und unzahligen anderen Marineoffizieren Uniformen angemessen hatten.
Catherine entfaltete ihren neuen Facher, ihre Augen glanzten im Licht der Laternen.»Dich und mich kennen mehr Leute, als du glaubst. Aber jetzt vergi? deine Probleme und la? dich uberraschen.»
Hier in Vauxhall lag der beruhmteste aller Lustgarten Londons. Lauben mit Laternen, Hecken aus wilden Rosen und frohliches Vogelgezwitscher luden zum Verweilen ein. Bolitho bezahlte zweimal eine halbe Krone Eintrittsgeld und schritt dann neben Catherine den Grand Walk entlang, die breite Promenade, von Linden gesaumt und versteckten Grotten mit platschernden Springbrunnen.
«Dies ist mein London, und dir gefallt es auch, das spure ich!«Catherine druckte seinen Arm. Sie gingen weiter an geschmuckten Lauben vorbei, in denen laute Gesellschaften frohlich tafelten. Von uberall her erklang Musik, das Klirren der Glaser, das Knallen von Champagnerkorken.»Hier gibt's die besten Musiker Londons. Sie verdienen sich so ihr Geld, bis die Konzertsaison wieder beginnt.»
Bolitho nahm den Hut ab und trug ihn in der Hand. Der Weg war voller Menschen. Parfumduft mischte sich mit dem der Heckenrosen und dem Dunst des nahen Flusses. Catherine hatte den Schal um Schultern und Hals abgenommen, ihre Haut strahlte hell im Schein der Laternen. Immer wieder tauchten Uniformen auf, meist rote mit den blauen Biesen der Koniglichen Leibregimenter. Ab und zu lie? sich auch ein Marineoffizier sehen, dessen Schiff vermutlich weiter flu?abwarts vor Anker lag.