Bruderkampf: Richard Bolitho, Kapitan in Ketten - Kent Alexander (библиотека книг бесплатно без регистрации TXT) 📗
Au?erhalb des Lichtkreises warteten andere Verwundete, da? sie an die Reihe kamen. Manche stutzten sich auf die Ellenbogen, als konnten sie sich von dem grauenvollen Schauspiel nicht losrei?en. Andere stohnten und schluchzten im Schatten. Aus einigen sickerte das Leben heraus und ersparte ihnen die Qual von Sage und Messer. Die Luft war zum Schneiden dick vor Blut- und Rumgeruch, denn Rum war das einzige Betaubungsmittel.
Ellice schaute hoch, als der Mann wild um sich schlug und ohnmachtig wurde. Er sah Herricks verzerrtem Gesicht den Schrecken an und sagte mit dicker, trunkener Stimme:»Das ist ein Tag, Mr. Herrick. Ich nahe und flicke, ich sage und untersuche, aber trotzdem haben sie es eilig, zu ihren Gefahrten da oben zu kommen. «Seine feuchten Augen kehrten sich zum Himmel, und er nahm einen Schluck aus der Lederflasche.»Wollen Sie auch einen, Mr. Herrick?«Er hob die flache Lederflasche ins Licht.»Nein? Na gut, ich brauche jedenfalls eine kleine Starkung.»
Dann nickte er seinem Gehilfen kaum merklich zu, der seinerseits auf einen Mann an der gewolbten Schiffswand deutete. Der Mann wurde ohne Verzug gepackt und auf den Tisch geschleppt. Ellice wischte sich den Mund und ri? ihm, ohne die Schreie des armen Kerls zu beachten, das Hemd von dem zerfetzten Arm.
Herrick machte mit schwei?uberstromtem Gesicht kehrt, wahrend ihm die Schreie des Verwundeten in den Ohren gellten. Doch er blieb wie festgenagelt stehen, als er Bolitho dicht hinter sich sah. Der Kapitan ging langsam von einem Verwundeten zum anderen. Er sprach ihnen Mut zu, aber so leise, da? Herrick die Worte nicht verstehen konnte. Hier ergriff er die ausgestreckte Hand eines Mannes, die blind nach Trost suchte, dort druckte er einem Toten die Augen zu. Einmal blieb er kurz unter der schwankenden Laterne stehen und fragte:»Wieviele, Mr. Ellice? Wie hoch sind die Verluste?»
Ellice grunzte nur und gab seinen Gehilfen ein Zeichen, da? er mit der schlaffen Gestalt auf den Laken fertig war.»Zwanzig Tote, Kapitan. Zwanzig Schwerverwundete und drei?ig so halb und halb.»
In diesem Augenblick hatte Herrick Bolitho ohne Maske gesehen. Sein Gesicht spiegelte Schmerz und Verzweiflung wieder. Und sofort hatte er seinen Arger wegen der Bemerkungen, die der Kapitan auf dem Achterdeck fallen lie?, vergessen. Der Bolitho, den er an Deck seinen Degen schwingen sah, war der wahre. Genau wie der, den er bei den Verwundeten und Toten erlebte.
Herrick starrte auf die in Leinwand eingenahten Korper. Er versuchte vergeblich, den auf jedes Bundel gekrakelten Namen mit dem dazugehorigen Gesicht in Verbindung zu bringen. Doch die Gesichter waren bereits verweht wie der Rauch der Schlacht, in der die Manner gefallen waren.
Herrick fuhr hoch, als Leutnant Okes langsam uber das im Schatten liegende Hauptdeck herankam. Seit dem Gefecht hatte er Okes kaum gesehen.
Herrick erinnerte sich. Kurz nachdem der Knall des letzten Schusses im Pulverrauch verhallte, war Okes mit wild rollenden Augen, die zeigten, da? er die Herrschaft uber sich verloren hatte, durch einen Niedergang heraufgestolpert. Er schien vor Furcht und Schrecken au?er sich zu sein. Seine Augen irrten uber die rauchenden Mundungen — uber die Kanonen seiner Batterie, die er im Stich gelassen hatte.
Dann hatte er Herrick beim Arm gepackt und ungestum und verzweifelt hervorgesto?en:»Ich mu?te kurz nach unten, Thomas. Ich mu?te die Kerle suchen, die fortgerannt waren. Du glaubst mir doch, nicht wahr?»
Herricks Verachtung und Zorn schwanden, als ihm klar wurde, da? Okes vor Furcht halb verruckt war. Die Tatsache erfullte ihn teils mit Mitleid, teils mit Scham.»Leise, Mann!«Herrick sah sich nach Vibart um.»Verdammter Narr! Nimm dich zusammen!»
Jetzt blieb Okes kurz bei den Leichen stehen und ging dann weiter zum Heck. Auch er durchlebte nochmals sein Elend, war verstort uber seine Feigheit und Schande.
Herrick fragte sich, ob der Kapitan Okes' Verschwinden wahrend des Gefechts bemerkt hatte. Vielleicht nicht. Moglicherweise findet Okes wieder zu sich zuruck, uberlegte er grimmig.
Fahnrich Neale hastete uber das Hauptdeck heran. Herrick spurte Sympathie fur den Jungen, der wahrend des Gefechts nicht geschwankt hatte. Er hatte beobachtet, wie er mit Befehlen uber die Decks rannte, wie er den Mannern seiner Abteilung schrill etwas zurief oder auch nur mit weit aufgerissenen Augen auf seiner Station stand.
Herrick unterdruckte ein Lacheln, als der Junge scharf haltmachte und salutierte.»Mr. Herrick, Sir. Eine Empfehlung vom Kapitan, und Sie mochten die Vorbereitungen fur die Beisetzung ubernehmen. «Er rang nach Atem.»Es sind insgesamt drei?ig, Sir.»
Herrick ruckte seinen Hut zurecht und nickte.»Und wie fuhlen Sie sich, Fahnrich?»
Der Junge zuckte mit den Schultern.»Hungrig, Sir.»
Herrick grinste.»Masten Sie eine Ratte mit Bisquit, Mr. Neale. Schmeckt allemal so gut wie Kaninchen. «Er ging nach achtern. Neale starrte mit tief gerunzelter Stirn hinter dem Dritten her. Dann ging er langsam an den Buggeschutzen vorbei, tief in Gedanken versunken. Schlie?lich nickte er.»Ja, vielleicht versuche ich's mal«, sagte er leise.
Bolitho schwamm der Kopf. Er lie? sich gegen den Sessel zurucksinken und starrte auf die Berichte auf seinem Tisch. Das war geschafft. Er rieb sich die entzundeten Augen und stand auf.
Durch die gro?en Fenster sah er das Mondlicht auf dem schwarzen Wasser. Er konnte das leise Platschern am Ruder unter sich horen. Er fuhlte sich noch immer wie benommen. Zu viele Befehle hatte er erteilen mussen, zu viele Anforderungen waren auf ihn zugekommen.
Segel und Tauwerk waren auszubessern. Eine Reservespiere mu?te die Bramstenge ersetzen. Mehrere Boote waren beschadigt, ein Kutter vollig havariert. Immerhin, wenn er die Leute hart antrieb, wurde man die au?erlichen Schaden, die die Phalarope in dem Gefecht erlitten hatte, bald kaum noch bemerken. Doch die Narben bleiben im Herzen jedes Mannes, dachte er mude. Er rief sich das leere Deck zuruck, sah nochmals, wie er im schwindenden Licht vor den Toten stand, und horte sich die ublichen Worte der Begrabniszeremonie sprechen. Fahnrich Farquhar hatte die Laterne uber dem Buch gehalten. Seine Hand hatte nicht gebebt.
Er mochte Farquhar noch immer nicht leiden. Aber im Kampf hatte er sich als erstklassiger Offizier erwiesen. Das machte vieles weit. Als der letzte Tote ins Wasser klatschte, um die Reise in die Tiefe von zweitausend Faden anzutreten, drehte er sich um. Zu seiner Uberraschung sah er, da? sich das Deck in aller Stille gefullt hatte. Keiner der Leute sagte etwas. Nur hier und da ein schwaches Husteln, und einer der Jungeren schluchzte unbeherrscht.
Sollte er etwas sagen, sich ihnen mitteilen, so da? sie begriffen? Seine Augen glitten von Herrick, der neben dem Posten stand, zu Vibart, dessen Gestalt sich an der Reling des Achterdecks gegen den Himmel abzeichnete. Einige Sekunden lang waren sie eins gewesen, verknupft durch das Band von Leid und Verlust. Worte hatten den Augenblick verdorben. Jede Ansprache hatte billig geklungen. So war er aufs Achterdeck gegangen und am Ruder stehengeblieben.
«Kurs Sudsudwest liegt an, Sir«, meldete der Ruderganger.
Danach war er in die Kajute zuruckgekehrt: den einzigen Ort, an dem er allein sein konnte.
Er schaute argerlich hoch, als Stockdale hereinkam. Stockdale musterte ihn eindringlich.»Ich habe Ihrer Ordonnanz gesagt, da? sie das Abendbrot bringen soll, Kapitan. «Er blickte mi?billigend auf den Stapel Seekarten und Berichte.»Schweinefleisch, Sir. Schon aufgeschnitten und gut gebraten. Ich habe mir erlaubt, dazu eine Flasche von Ihrem Rotwein aufzumachen, Sir.»
Bolithos Spannung mu?te sich Luft machen.»Was schnatterst du da, zum Teufel?«Stockdale lie? sich nicht abschrecken.»Wenn Sie wollen, lassen Sie mich fur meine Worte auspeitschen, Sir, aber es war ein Sieg. Wir sind alle stolz auf Sie. Ich denke, Sie haben einen Schluck Wein verdient. »