Feind in Sicht: Kommandant Bolithos Zweikampf im Atlantik - Kent Alexander (читать книги без txt) 📗
«Was halten Sie davon, Sir?«Inch sah Bolitho an, als erwarte er eine sofortige Erklarung.»Die konnen sich doch unmoglich vor einem einzelnen Schiff furchten?»
«Das meine ich auch, Mr. Inch.»
Bolitho sah zu den Mannern auf den Rahen der Hyperion hinauf, die erst vor wenigen Minuten die Segel festgemacht und sich darauf vorbereitet hatten, dem Tod in einem letzten hoffnungslosen Kampf ins Auge zu sehen. Jetzt jubelten sie, und manche schuttelten die Faust gegen die ankernden franzosischen Schiffe, schrieen Schimpfworte und Verhohnungen; aus ihren Stimmen sprach Verachtung, aber auch Erleichterung uber diesen unerwarteten Aufschub. Das war alles sehr seltsam. Bolitho wandte sich von seinen diskutierenden Offizieren ab und sah zur nachsten Landzunge hinuber. Vielleicht holten die Franzosen schon von anderswo Hilfe herbei, etwa schwere Artillerie aus Tochefort? Diesen Gedanken gab er sofort wieder auf. Bis dahin waren es annahernd drei?ig Meilen uber Land, und ehe die Geschutze an einem Ort in Stellung gebracht worden waren, von wo aus sie die vor Anker liegende Hyperion hatten treffen konnen, hatte alles mogliche geschehen konnen. Der Wind mochte drehen, auch konnte der franzosische Admiral nicht wissen, welche Krafte bereits unterwegs sein mochten, um dem einzelnen Schiff zu helfen, das seinen Fluchtweg blockierte. Nein, was er auch unternehmen wollte, er mu?te es schnell tun.
Bolitho sagte:»Schicken Sie zusatzliche Leute in den Ausguck, Mr. Inch. Vielleicht konnen sie seewarts Segel ausmachen. Ob fremde oder eigene, ich will es sofort wissen. «Er hielt kurz inne.»Und befehlen Sie unseren Leuten, leise zu sein. Was hier vorgeht, durchschaue ich nicht, aber die Situation gefallt mir nicht. Das Schiff mu? jederzeit gefechtsbereit sein.»
Eine halbe Stunde verstrich, die ankernden Schiffe schwojten sanft in der Dunung, durch eine uber zwei Meilen breite Wasserflache voneinander getrennt, die im grellen Licht wie zerknittertes Silber glanzte.
«An Deck!«Die Stimme des Ausgucks lie? alle zusammenzuk-ken.»Ein Boot legt vom franzosischen Flaggschiff ab.»
Bolitho beobachtete das Boot prufend durchs Glas und sagte dann:»Ein Parlamentar, Mr. Inch. Halten Sie sich bereit, das Boot zu empfangen, wenn es langsseit kommt, aber seien Sie auf Tricks gefa?t. «Es war nur eine kleine Gig, und als sie sich schnell der Hyperion naherte, horte Bolitho uberraschte Ausrufe von der Bugwache und einigen Marinesoldaten, die das Boot im Visier einer mit Schrapnell geladenen Drehbasse hielten.
Inch kam nach achtern gelaufen.»Sir, in dem Boot sitzt ein britischer Offizier, und auch die Rudergasten sind unsere Leute.»
Bolitho bi? die Zahne zusammen, um seine Beunruhigung zu verbergen.»Gut. Seien Sie auf der Hut.»
Die Gig hakte an der Kette an, und die Matrosen an der Schanzkleidpforte traten zuruck, als ein Leutnant in zerrissener, von Pulverqualm geschwarzten Uniform an Deck kletterte und ohne einen Blick nach rechts oder links zum Achterdeck ging. Er erblickte Bolitho und legte die letzten Schritte mit schleppenden Fu?en zuruck, als konnten seine Beine kaum noch das Gewicht seines Korpers tragen. Als er sprach, klang seine Stimme stumpf und leblos.»Leutnant Roberts, Sir. «Er versuchte, die Schultern zu recken, als er erganzte:»Von seiner Britannischen Majestat Fregatte Ithuriel.»
Bolitho antwortete ruhig:»Kommen Sie in meine Kajute, Mr. Roberts, wenn Sie eine Nachricht fur mich haben.»
Aber der Leutnant schuttelte den Kopf.»Tut mir leid, Sir, dazu haben wir keine Zeit. Ich wurde auf Ehrenwort beurlaubt, um mit Ihnen zu sprechen und dann unverzuglich zuruckzukehren. «Er schwankte und war nahe daran, zusammenzubrechen.»Die Ithuriel wurde von der Fregatte gekapert, die Sie eben versenkt haben. Wir untersuchten gerade ein paar Kustenlugger, als sie uns von See her uberraschte. Es war eine raffinierte Falle, denn auch die Lugger waren voll Bewaffneter. Wir wurden entmastet und innerhalb einer Stunde geentert. Unser Kommandant fiel. «Er hob die Schultern.»Ich gab Befehl, die Flagge zu streichen. Mir schien, ich hatte keine andere Wahl. «Seine Augen verrieten plotzlich Verzweiflung und Zorn.»Wenn ich geahnt hatte, was dann kommen sollte, hatte ich meine Leute lieber im Kampf sterben lassen. «Er zitterte heftig, Tranen rannen ihm uber das schmutzbedeckte Gesicht, als er mit fast versagender Stimme hinzufugte:»Der franzosische Admiral verlangt von mir, da? ich Ihnen mitteile, falls Sie nicht unverzuglich Anker lichten und verschwinden. «Er brach ab, wurde sich plotzlich der beobachtenden Gesichter bewu?t.»Er la?t jeden einzelnen von der Besatzung der Ithuriel auf der Stelle aufhangen.»
Inch stohnte:»Mein Gott, das ist doch nicht moglich!»
Der Leutnant starrte ihn mit vor Erschopfung und Schock truben Augen an.»Aber es stimmt, Sir. Der Admiral hei?t Lequiller, und er tut, was er sagt. Glauben Sie mir.»
Ein Kanonenschu? drohnte dumpf uber die Flu?mundung; als sofort darauf zwei zuckende, verzweifelt strampelnde Gestalten zur Gro?rah des franzosischen Flaggschiffs hinaufgezogen wurden, schien der Rumpf der Hyperion unter einem einzigen lauten entsetzten Aufstohnen der Matrosen und Marinesoldaten zu erbeben.
Der Leutnant schrie verzweifelt:»Er la?t alle zehn Minuten zwei Mann hangen, Sir!«Schluchzend packte er Bolithos Arm.»Um Gottes willen, Sir, Lequiller hat zweihundert britische Gefangene in seiner Gewalt!»
Bolitho befreite seinen Arm und versuchte noch einmal, seine Gefuhle vor den Umstehenden zu verbergen. Die eiskalte Unmenschlichkeit, das furchtbare Ultimatum des Admirals erfullten ihn mit ohnmachtigem Zorn und ratloser Verzweiflung. Er blickte auf das dichtgefullte Oberdeck hinab, wo seine Leute von den Geschutzen zuruckgetreten waren und gebannt zu ihm hinaufsahen oder sich gegenseitig anstarrten, als waren sie zu benommen, um sich zu bewegen. Sie waren darauf vorbereitet gewesen, kampfend zu sterben, aber dazustehen und der langsamen, unbarmherzigen Hinrichtung wehrloser Gefangener zuzusehen, das hatte ihren Kampfgeist weit wirksamer gebrochen, als es die schwerste Breitseite vermocht hatte.
«Und wenn ich seiner Forderung nachkomme?«Bolitho zwang sich, die Jammergestalt des Leutnants anzusehen.
«Dann will er die Leute von der Ithuriel an Land setzen und unter Bewachung nach Bordeaux bringen lassen, Sir.»
Wieder hallte ein Schu? uber das Wasser, wurde vom Echo zuruckgeworfen, und Bolitho drehte sich um, um das Bild aufzunehmen und im Gedachtnis zu bewahren, damit er es nie vergessen wurde: zwei kleine, zappelnde Gestalten. Was mu?ten diese Manner empfunden haben, als sie mit dem Strick um den Hals warteten? Die Hyperion war das letzte, was sie auf dieser Welt sahen.
Bolitho packte den Leutnant am Arm und schob ihn auf den Niedergang zu.»Fahren Sie zum Flaggschiff zuruck, Mr. Roberts.»
Der Leutnant starrte ihn mit tranenblinden Augen an.»Hei?t das, Sie ziehen ab, Sir?«Anscheinend glaubte er, nicht richtig verstanden zu haben, denn er versuchte, die Hand zu heben, als er im gleichen gebrochenen Ton fortfuhr:»Sie wollen sich um unserer Leute willen zuruckziehen?»
Bolitho wandte sich ab.»Bringen Sie ihn zu seiner Gig, Mr. Inch. Und lassen Sie das Ankerspill besetzen und das Schiff zum Segelsetzen fertig machen.»
Er bemerkte Gossett, dessen Gesicht Anteilnahme und Verstandnis verriet.»Legen Sie bitte einen Kurs fest, der uns von der Landzunge fortfuhrt. «Bolitho konnte ihn nicht ansehen, noch konnte er Inch ins Gesicht blicken, als er sich rasch wieder seinem Platz an der Reling zuwendete.
Die Manner mu?ten auf ihre Stationen getrieben werden, als waren sie von dem Geschehen betaubt worden. Die Alteren und Erfahreneren konnten nur nach achtern auf die schlanke Gestalt ihres Kommandanten starren, der zwar von anderen umgeben, aber dennoch allein dastand und die franzosischen Schiffe beobachtete; denn sie verstanden die Ungeheuerlichkeit seiner Entscheidung und ihre Tragweite. Doch Bolitho nahm keinen von ihnen wahr und war sich kaum des Durcheinanders und der gebellten Befehle bewu?t, als Matrosen das Gangspill besetzten und uber die Webeleinen aufenterten. Manche trugen noch die Entermesser im Gurtel, mit denen sie bereit gewesen waren, zu kampfen und zu sterben.