Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander (читать книги полностью без сокращений бесплатно txt) 📗
«Auf Riemen!«Bolitho hob den Arm, um Schweigen zu gebieten.
Wieder war er sich der Weite der See und ihrer Einsamkeit bewu?t, als die Riemen bewegungslos und tropfend auf dem Dollbord lagen. Er horte das Gurgeln des Wassers um das Ruder herum, als das Boot in der Dunung noch langsame Fahrt machte. Dann das Klatschen eines weiteren Fisches, das schwere Atmen der Ruderer.
Schlie?lich flusterte Quinn:»Ich hore den anderen Kutter, Sir!»
Bolitho nickte und wandte das Gesicht nach Steuerbord. Nun horte auch er das gedampfte Quietschen von Riemen in ihren Dollen. Sparke hatte etwa die gleiche Schlagzahl und war auf einer Hohe mit ihnen. Also kommandierte er leise:»Ruder an!»
Couzens neben ihm hustete nervos und fragte:»Wie — wie viele Mann wird der Feind haben, Sir?»
«Das kommt darauf an. Wenn sie schon eine oder gar mehrere Prisen gekapert haben, werden es nicht allzu viele sein. Wenn nicht, haben wir etwa die doppelte Anzahl gegen uns — oder auch mehr.»
«Verstehe, Sir.»
Bolitho wandte sich ab, Couzens verstand es bestimmt nicht, aber er war imstande, wie ein Veteran daruber zu reden.
Er fuhlte den Nebel in seinem Gesicht wie einen kalten Hauch. Bewegte er sich rascher als vorher? Vor ihm erstand eine Vision aufkommenden Windes, der den Nebel wegtreiben und sie hilflos den Kanonen des Schoners ausliefern wurde. Schon eines der kleinen Schwenkgeschutze konnte die Besatzung zerfetzen, noch bevor es zum Handgemenge kam.
Er blickte langsam uber die Reihen der sich abmuhenden Ruderer und uber die anderen im Boot, die auf ihren Einsatz warteten. Wie viele von ihnen wurden die Seite wechseln und uberlaufen, wenn das geschahe? Es war schon oft genug vorgekommen, wenn britische Seeleute auf Kaperschiffen gefangengehalten wurden. Die Trojan hatte einige Leute in ihrer Besatzung, die wahrend der letzten zwei Jahre gefangengenommen worden waren, sei es an Land oder auf See. Sie hatten es vorgezogen, auf sehen des Feindes zu kampfen, als das Risiko von Krankheit oder moglichem Tod auf einem Gefangenenschiff einzugehen. Wo Leben war, gab es immer Hoffnung.
Er rieb seine Narbe, die so stark schmerzte, als wolle sie wieder aufplatzen.
Stockdale offnete die Klappe seiner Laterne ein wenig und blickte auf den Kompa?.
«Kurs liegt an, Sir«, sagte er. Es schien ihn zu amusieren.
Weiter und weiter ging es, die Leute an den Riemen wurden ausgewechselt, alles lauschte auf die Gerausche von Sparkes Kutter oder auf irgendein Zeichen von Gefahr.
Bolitho uberlegte, da? der Schonerkapitan mit seiner Kenntnis der ortlichen Verhaltnisse rechtzeitig mehr Segel gesetzt und somit den Nebel ausgesegelt haben konnte, da? er jetzt, schon Meilen entfernt, sich ins Faustchen lachte, wahrend sie langsam und qualvoll pullten, bis sie an irgendeiner Stelle von Neuenglands Kuste landeten.
Er malte sich aus, was danach sehr rasch Wirklichkeit werden konnte: Sie kamen vielleicht unbemerkt an Land und wurden versuchen, ein kleines Schiff zu stehlen und sich unter Segel davonzumachen. Aber was dann?
Baileines heiserer Ruf ertonte:»So etwas wie ein Lichtschimmer voraus, Sir!»
Bolitho stolperte nach vorn, alles andere war vergessen.»Dort, Sir.»
Bolitho strengte seine Augen an und starrte in die Dunkelheit. Ein Schimmer, das war die richtige Beschreibung, wie ein Kneipenfenster im Hafennebel. Keine Form, kein Mittelpunkt.
«Eine Laterne. «Balleine feuchtete seine Lippen an.»Hangt sehr hoch. Es ist also noch so ein Strolch in der Nahe.»
Bunces Berechnung war sehr genau gewesen, sonst hatten sie leicht das Schiff oder das Licht passieren konnen, ohne im Nebel etwas davon zu sehen. Der Abstand betrug eine knappe Meile.
«Auf Riemen!«Als er ins Bootsheck zuruckkehrte, sagte er:
«Dort vorn liegt er, Jungs! Entweder Bug oder Heck uns zugewandt. Wir nehmen, was kommt.»
Quinn rief heiser:»Mr. Sparke holt uns ein, Sir.»
Sie horten Sparke rufen:»Sind Sie bereit, Mr. Bolitho?«Es klang ungeduldig, seine vorherigen Zweifel schienen vergessen.
«Aye, Sir.»
«Wir greifen an beiden Enden an. «Sparkes Boot wurde durch den Nebel undeutlich sichtbar, sein wei?es Hemd und die Breeches trugen noch zu der geisterhaften Erscheinung bei.»Auf diese Weise konnen wir die Besatzung spalten.»
Bolitho sagte nichts, aber sein Herz wurde schwer. Von beiden Enden — also lief das Boot, das am weitesten pullen mu?te, Gefahr, gesehen zu werden, bevor seine Besatzung aufentern konnte.
Sparke lie? wieder anrudern und rief:»Ich ubernehme das Heck.»
Bolitho wartete ab, bis das andere Boot frei von ihnen war, und lie? dann ebenfalls anrudern.»Wei? jeder, was er zu tun hat?»
Couzens nickte, das Gesicht konzentriert.»Ich bleibe im Boot,
Sir.»
Quinn stie? hervor:»Ich unterstutze Sie, Sir… ah… Dick, und ubernehme das Vordeck.»
Bolitho nickte.»Und Balleine halt seine Leute zuruck, bis sie die Musketen benutzen konnen.»
Cairns hatte richtigerweise hierauf bestanden. Irgendein Narr konnte seine Muskete zu fruh abfeuern, wenn die Gewehre von Anfang an geladen und gespannt gewesen waren.
Bolitho zog seinen Degen aus der Lederscheide und lie? diese auf die Bodenbretter fallen. Dort konnte sie warten, bis er sie wieder brauchte. Wenn er sie beim Angriff trug, konnte er sich daran verfangen und womoglich unter ein Entermesser fallen.
Er fuhr mit dem Daumen uber die Klinge, hielt aber die Augen fest auf das flackernde Licht vor ihnen gerichtet. Je naher sie kamen, desto kleiner wurde es, da sein Hof im Nebel schrumpfte.
Im Augenwinkel meinte Bolitho eine Reihe von Spritzern zu sehen; offensichtlich beschleunigte Sparke den Schlag und setzte zum Angriff an.
Mit uberraschender Plotzlichkeit tauchten die Masten und Gaffeln des Schoners wie schwarze Stangen aus dem Nebel, und der Schein der Laterne verscharfte sich zu einem einzigen klaren Licht.
Stockdale beruhrte Couzens Arm, und der Junge fuhr auf, als sei er gestochen worden.
«Hier, die Pinne, Sir. «Er fuhrte Couzens Hand, als sei dieser erblindet.»Ubernehmen Sie, wenn ich's sage. «Mit der anderen Hand ergriff er sein altmodisches Entermesser, das doppelt so schwer war wie die modernen.
Bolitho hob den Arm, die Riemen hoben sich aus dem Wasser und verharrten wie federlose Schwingen. Er hielt den Atem an und beobachtete die Richtung des Stromes und die Ruderwirkung. Sie trieben genau auf des Schoners uberhangenden Vordersteven zu, unter dem Bugsprit hindurch.
«Riemen ein!«Er sprach in grimmigem Flusterton, obwohl seine Herzschlage sicherlich bis Boston zu horen waren. Seine Lippen waren wie in einem unkontrollierten, wilden Grinsen erstarrt. Verrucktheit, Verzweiflung, Angst, alles lag darin.
«Klar bei Enterhaken!»
Er beobachtete, wie der schlanke Bug uber sie hinwegfegte, als wolle der Schoner sie mit voller Fahrt rammen. Dann sah er Balleine mit dem Enterhaken in der Hand aufstehen, den richtigen Augenblick abwartend, wahrend er sich unter dem Wasserstag duckte, das ihm den Kopf abzurei?en drohte.
Plotzlich ertonte ein Knall, gefolgt von einem langgezogenen Schrei. Bolitho sah und horte alles im selben Augenblick: das Aufblitzen, das von der See selbst herzukommen schien, die Antwortschreie vom Schiff uber ihnen, die plotzliche Bewegung, mehr Explosionen, die die Wasseroberflache aufpflugten.
Wutend sprang er auf.»Los, Jungs!»
Sparke strich er aus seinem Gedachtnis. Der Narr hatte jemandem gestattet, das Gewehr zu laden, es war vorzeitig losgegangen und hatte einen der eigenen Manner getroffen. Es war zu spat. Fur sie alle.
Er ri? den Arm hoch und packte die sich straffende Bootsleine, als der Enterhaken mit einem dumpfen Gerausch im Bugsprit gefa?t hatte und den Kutter langsseit schleuderte.
«Auf sie, Jungs!»
Mit Handen und Fu?en kampfte er sich aufwarts, den Degen am
Handgelenk baumelnd, und sprang auf das von Explosionen blitzartig erleuchtete Deck. Am anderen Ende des Schoners knatterte heftiges Gewehrfeuer, und wahrend Bolithos Leute uber die Back stolperten, geblendet gegen unbekanntes Gerat stie?en und sturzten, hammerten Aufschlage rings um sie her ins Deck oder heulten uber den schwankenden Kutter wie irre Geister.