Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
»Werfen Sie da nicht einiges durcheinander, Kapt’n?«
»Was?«
»Das, was funktionieren wurde, und das, was Ihnen behagen wurde.«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»Sie meint«, sagte Peak, »wenn wir uns schon mit dem Gedanken anfreunden mussen, dass der Mensch die Vorherrschaft abgibt, dann wenigstens an einen starken und gewaltigen Gegner. Gro? und gut aussehend und mit Muskeln.«
Buchanan schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Ich glaube es einfach nicht. Ich glaube nicht daran, dass primitive Organismen diesen Planeten beherrschen sollten und dass sie es an Intelligenz mit Menschen aufnehmen. Das funktioniert nicht! Menschen sind fortschrittliche Wesen …«
»Fortschritt? Komplexitat?« Crowe schuttelte den Kopf.
»Was meinen Sie? Ist Evolution Fortschritt?«
Buchanan sah gequalt drein.
»Gut, schauen wir mal«, sagte Crowe. »Evolution, das ist der Kampf ums Dasein, das Uberleben des Starksten, um bei Darwin zu bleiben. Beides resultiert aus Widrigkeiten, entweder aus dem Kampf gegen andere Lebewesen oder gegen Naturkatastrophen. Es gibt also eine Weiterentwicklung durch Auslese. Aber fuhrt das automatisch zu hoherer Komplexitat? Und ist hohere Komplexitat ein Fortschritt?«
»Ich bin nicht sehr bewandert in Evolution«, sagte Peak. »Mir stellt es sich so dar, dass die meisten Lebewesen im Verlauf der Naturgeschichte immer gro?er und komplexer geworden sind. Auf jeden Fall die menschliche Rasse. Aus meiner Sicht ganz klar das Resultat eines Trends.«
»Ein Trend? Falsch. Wir sehen nur einen kleinen historischen Ausschnitt, innerhalb dessen gerade mit Komplexitat experimentiert wird, aber wer sagt uns, dass wir nicht als Sackgasse der Evolution enden? Es ist unsere Selbstuberschatzung, mit der wir uns als vorlaufigen Hohepunkt eines naturlichen Trends betrachten. Sie alle wissen, wie ein Evolutionsstammbaum aussieht, dieses verzweigte Gebilde mit Haupt— und Nebenasten. Also, Sal, wenn Sie sich so einen Baum vorstellen, wo wurden Sie die Menschheit sehen? In einem Haupt— oder Nebenast?«
»Zweifellos als Hauptast.«
»Das hatte ich erwartet. Es entspricht der menschlichen Sichtweise. Wenn viele Arme einer Tierfamilie auseinander streben und eine uberlebt, wahrend alle anderen aussterben, neigen wir dazu, den Uberlebenden zum Hauptarm zu erklaren. Warum? Nur weil er — noch — uberlebt? Vielleicht sehen wir aber nur eine unbedeutende Nebenlinie, die es ein bisschen langer schafft als die anderen. Wir Menschen sind die einzige verbliebene Art eines einst uppigen Evolutionsbusches. Der Rest einer Entwicklung, deren ubrige Zweige verdorrt sind, der letzte Uberlebende eines Experiments mit Namen Homo. Homo Australopithecus: ausgestorben. Homo habilis: ausgestorben. Homo sapiens neanderthalensis: ausgestorben. Homo sapiens sapiens: noch da. Vorubergehend haben wir die Vorherrschaft uber den Planeten errungen, aber Vorsicht!
— Parvenus der Evolution sollten Vorherrschaft nicht mit innerer Uberlegenheit und langerfristigem Uberleben verwechseln. Wir konnten schneller wieder verschwunden sein, als uns lieb ist.«
»Moglicherweise haben Sie Recht«, sagte Peak. »Aber Sie lassen etwas Entscheidendes au?er Acht. Diese einzige uberlebende Art besitzt auch als einzige Spezies ein hoch entwickeltes Bewusstsein.«
»Einverstanden. Aber betrachten Sie diese Entwicklung bitte vor dem Gesamtpanorama der Natur. Erkennen Sie da wirklich einen Fortschritt oder einen herausragenden Trend? 80 Prozent aller Vielzeller erfreuen sich eines weit gro?eren Evolutionserfolgs als der Mensch, ohne dass sie diesen angeblichen Trend zu hoherer Nervenkomplexitat ausgebildet hatten. Unsere Ausstattung mit Geist und Bewusstsein ist ein Fortschritt einzig aus unserer subjektiven Weltsicht. Dem Okosystem Erde hat diese bizarre, unwahrscheinliche Randerscheinung Mensch bisher nur eines eingebracht: einen Haufen Arger.«
»Ich bin nach wie vor uberzeugt, dass Menschen hinter allem stecken«, sagte Vanderbilt am Nebentisch. »Aber gut, ich lasse mich belehren. Wenn es doch keine sind, werden wir eben Yrr-Aufklarungsarbeit betreiben. Wir werden das widerliche Geschleime so lange unter CIA-Beobachtung stellen, bis wir wissen, wie es denkt und was es plant.«
Er stand mit Delaware und Anawak zusammen, umringt von Soldaten und Mannschaftsmitgliedern.
»Vergiss es«, sagte Delaware. »Das schafft nicht mal deine CIA.«
»Pah, Madchen!«, lachte Vanderbilt. »Du schlupfst in jeden Schadel, wenn du geduldig bist. Selbst wenn er einem verdammten Einzeller gehort. Alles eine Frage der Zeit.«
»Nein, eine Frage der Objektivitat«, sagte Anawak. »Was voraussetzt, dass du in der Lage bist, die Rolle eines objektiven Beobachters einzunehmen.«
»Konnen wir. Darum sind wir ja intelligent und zivilisiert.«
»Du magst intelligent sein, Jack. Aber du bist nicht in der Lage, die Natur objektiv wahrzunehmen.«
»Genau genommen bist du ebenso subjektiv und unfrei wie ein Tier«, erganzte Delaware.
»An was fur eines hattet ihr denn gedacht?«, kicherte Vanderbilt. »Ein Walross?«
Anawak lachte leise. »Ich meine es ernst, Jack. Wir sind der Natur immer noch naher, als wir glauben.«
»Ich nicht. Ich bin in der Gro?stadt aufgewachsen. War nie auf dem Land. Mein Vater auch nicht.«
»Spielt keine Rolle«, sagte Delaware. »Ich geh dir ein Beispiel: Schlangen. Sie werden einerseits gefurchtet und zugleich verehrt. Oder Haie, es gibt eine Unzahl von Haigottheiten. Diese emotionale Bindung des Menschen an andere Lebensformen ist angeboren, vielleicht sogar genetisch festgelegt.«
»Ihr redet von Naturvolkern. Ich rede von Stadtmenschen.«
»Okay.« Anawak uberlegte einen Moment. »Hast du eine Phobie? Irgendwas, das sich als Phobie bezeichnen lie?e?«
»Na ja, nicht unbedingt eine Phobie …«, begann Vanderbilt.
»Einen Abscheu?«
»Ja.«
»Wovor?«
»Gott, es ist nicht sonderlich originell. Hat wahrscheinlich jeder. Vor Spinnen. Ich hasse die Biester.«
»Warum?«
»Weil …« Vanderbilt zuckte die Achseln. »Sie sind halt ekelhaft. Findest du nicht, dass sie ekelhaft sind?«
»Nein, aber darum geht’s nicht. Der Punkt ist, dass die Hauptursachen fur Phobien in unserer zivilisierten Welt fast immer Gefahren sind, die uns drohten, bevor wir in Stadten lebten. Wir entwickeln Phobien gegen lastende Felswande, Gewitter, rei?ende Gewasser, undurchdringliche Wasseroberflachen, gegen Schlangen, Hunde und Spinnen. Warum nicht gegen Stromkabel, Revolver, Schnappmesser, Autos, Sprengstoff und Steckdosen, die allesamt viel gefahrlicher sind? Weil unserem Hirn eine Regel eingepragt ist: Vor schlangenformigen Objekten und Wesen mit vielen Beinen musst du auf der Hut sein.«
»Das menschliche Hirn hat sich in einer naturlichen Umgebung entwickelt, nicht in einer maschinellen«, sagte Delaware. »Unsere geistige Evolution vollzog sich uber zwei Millionen Jahre in denkbar engstem Kontakt zur Natur. Vielleicht haben sich die Uberlebensregeln dieser Zeit sogar genetisch eingepragt, jedenfalls spielte sich lediglich ein winziger Bruchteil unserer Evolutionsgeschichte in der so genannten Zivilisation ab. Glaubst du wirklich, blo? weil dein Vater und dein Gro?vater ausschlie?lich in Stadten gelebt haben, seien damit all die archaischen Informationen in deinem Hirn ausgeloscht? Warum furchten wir uns vor kleinen, im Gras kriechenden Tieren, warum ekelst du dich vor Spinnen? Weil wir dieser Furcht im Verlauf der Menschheitsentwicklung das Leben verdanken. Weil Menschen, die furchtsamer sind als andere, seltener in Gefahr geraten und mehr Nachkommen zeugen konnen. Das ist es. Habe ich Recht, Jack?«
Vanderbilt sah von Delaware zu Anawak.
»Und was hat das mit den Yrr zu tun?«, fragte er.
»Es hat was damit zu tun, dass sie vielleicht aussehen wie Spinnen«, erwiderte Anawak. »Huh! Also erzahl uns nichts von Objektivitat. Solange wir uns vor den Yrr ekeln, wie immer sie aussehen mogen, vor einer Gallerte, vor Einzellern und giftigen Krebsen, werden wir nichts uber ihr Denken erfahren, weil wir es gar nicht konnen. Wir werden nur daran interessiert sein, das Andersartige zu vernichten, damit es nachts nicht in unsere Hohle kriechen und unsere Kinder rauben kann.«