Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
»Es sah nicht so aus, als sei jemand an Deck«, verteidigte er sich. »Und Ihre Leute haben nichts Gegenteiliges gemeldet.«
»Wie auch, Mick? Die Uberwachung hat nichts gemeldet, weil sie keine Anfrage erhalten hat. Sie sind aber verpflichtet, sich jedes Offnen des Schotts genehmigen zu lassen. Das ist zweimal hintereinander nicht geschehen.
Die konnten Ihnen keine Meldung geben.«
»Tut mir Leid«, murmelte Rubin.
»Ich will der Fairness halber zugeben, dass hier oben auch nicht alles nach Plan gelaufen ist. Johansons zweiter Spaziergang auf dem Hangardeck wurde verpennt. Weiterhin haben wir bei der Vorbereitung der Mission den Fehler begangen, kein luckenloses Abhorsystem zu installieren. — Wir wissen zum Beispiel nicht, was Oliviera und Johanson besprochen haben, als sie auf dem Hangardeck ihre kleine Party feierten, und leider konnen wir auch nicht die Unterhaltungen auf der Rampe und auf dem Dach abhoren. — Aber das alles andert nichts daran, dass Sie sich wie der dummste Trottel verhalten haben.«
»Ich verspreche, es kommt nicht mehr …«
»Sie sind ein Sicherheitsrisiko, Mick. Ein hirnloses Arschloch. Und wenn ich auch mit Jack nicht immer einer Meinung bin, werde ich ihm dabei helfen, Sie uber die Planke zu jagen, wenn so etwas noch ein einziges Mal vorkommt. Ich werde hochstpersonlich ein paar Haie zu diesem Zweck anlocken und mit Freuden zusehen, wie sie Ihnen das Herz herausrei?en. Haben Sie das verstanden? Ich werde Sie toten.«
Immer noch blickten die wasserblauen Augen in Lis Gesicht freundlich, aber Rubin ahnte, dass sie keinen Moment zogern wurde, ihre Drohung wahr zu machen.
Er hatte Angst vor dieser Frau.
»Ich sehe, Sie haben es kapiert.« Li schlug ihm auf die Schulter und ging wieder zu den anderen. »Gut, Schadensbegrenzung. Wirkt die Droge?«
»Wir haben Johanson zehn Milliliter gespritzt«, sagte Peak. »Mehr hatte ihn aus der Bahn geworfen, und das konnen wir uns derzeit nicht erlauben. Das Zeug wirkt wie ein Radiergummi im Hirn, aber es gibt uns keine Garantie, dass er sich nicht doch erinnert.«
»Wie gro? ist das Risiko?«
»Schwer zu sagen. Ein Wort, eine Farbe, ein Geruch — wenn das Hirn einen Anknupfpunkt findet, ist es zur vollstandigen Rekonstruktion fahig.«
»Das Risiko ist sogar ziemlich gro?«, knurrte Vanderbilt. »Wir haben bis heute keine Droge gefunden, die Erinnerungen in allen Fallen unterdruckt. Wir wissen zu wenig uber die Funktionsweise des Hirns.«
»Also mussen wir ihn beobachten«, sagte Li. »Was meinen Sie, Mick? Wie lange, schatzen Sie, werden wir noch auf Johanson angewiesen sein?«
»Oh, wir liegen weit vorne«, sagte Rubin eifrig. Hier konnte er Boden wieder gutmachen. »Weaver und Anawak hatten die Idee einer pheromonischen Verschmelzung. Auch Oliviera und Johanson sind auf die Moglichkeit eines Dufts gesto?en. Wir werden heute Nachmittag Phasentests durchfuhren, um den Beweis dafur zu erbringen. Wenn es zutrifft, dass die Verschmelzung uber einen Duft erfolgt, haben wir einen Ansatzpunkt, der uns schnell ans Ziel unserer Wunsche bringen durfte.«
»Falls. Wenn. Durfte. Konnte.« Vanderbilt schnaubte. »Bis wann haben Sie das verdammte Mittel?«
»Das hier ist Forschungsarbeit, Jack«, sagte Rubin. »Damals hat auch keiner bei Alexander Fleming auf dem Scho? gesessen und gefragt, wie lange er noch braucht, um das Penicillin zu entdecken.«
Vanderbilt wollte etwas erwidern, als eine Frau von ihrer Konsole aufstand und zu ihnen heruberkam.
»Im CIC haben sie das Signal entschlusselt«, sagte sie.
»Scratch?«
»Sieht so aus. Crowe sagte zu Shankar, sie hatten es entschlusselt.«
Li schaute zu der Konsole hinuber, an der die Gesprache und Bilder aus dem CIC eintrafen. Man sah Shankar, Crowe und Anawak aus der Perspektive der Deckenkamera im Gesprach. Soeben kam Weaver hinzu.
»Dann werden wir ja gleich Nachricht erhalten«, sagte sie. »Alsdann. Geben wir uns angemessen uberrascht, meine Herren.«
Alles drangte sich um Crowe und Shankar, um die Antwort zu sehen. Nicht mehr in Form eines Spektrogramms, sondern als optische Umsetzung des Signals, das sie am Vortag empfangen hatten.
»Ist es eine Antwort?«, fragte Li.
»Gute Frage«, sagte Crowe.
»Was ist Scratch uberhaupt?«, wollte Greywolf wissen, der sich, Delaware im Schlepp, ebenfalls eingefunden hatte. »Eine Sprache?«
»Scratch vielleicht ja, aber sicher nicht die Art und Weise, wie es in diesem Fall codiert wurde«, erklarte Shankar. »Es ist genauso wie mit der Arecibo-Botschaft. Kein Mensch auf der Erde unterhalt sich im binaren Code. Im Grunde haben nicht wir eine Nachricht ins All geschickt, sondern unsere Computer haben es getan.«
»Was wir herausfinden konnten«, sagte Crowe, »ist die Struktur von Scratch. Warum es sich anhort, als wenn man eine Nadel uber eine Schallplatte zieht. Es ist ein Stakkato im niederfrequenten Bereich, geeignet, einen ganzen Ozean zu durchqueren. Niederfrequente Wellen legen die gro?ten Entfernungen zuruck. Ein enorm schnelles Stakkato zudem. Das Problem mit Infraschall ist, dass wir Gerausche unterhalb 100 Hertz auf ein Vielfaches beschleunigen mussen, um sie horbar zu machen, womit wir das Stakkato noch mehr beschleunigen wurden. Der Schlussel zum Verstandnis liegt aber in der Verlangsamung.«
»Wir mussten es zerdehnen«, sagte Shankar, »um Einzelheiten unterscheiden zu konnen. Also haben wir es extrem verlangsamt, bis aus dem Kratzgerausch eine Abfolge unterschiedlich langer und intensiver Einzelimpulse wurde.«
»Klingt nach Morsealphabet«, sagte Weaver.
»So ahnlich scheint es auch zu funktionieren.«
»Und wie stellen Sie das dar?«, fragte Li. »Uber Spektrogramme?«
»Einerseits. Aber das reicht nicht. Wenn es ums Horen geht, sind wir immer noch am besten, wenn wir wirklich etwas horen. Dafur greifen wir zu einem Trick, ahnlich wie in der Darstellung von Satellitenbildern, wo man Radarerfassungen uber Falschfarben sichtbar macht. In diesem Fall ersetzen wir jedes Signal unter Beibehaltung seiner Lange und Intensitat durch eine Frequenz, die wir horen konnen. Wenn das Original unterschiedliche Frequenzhohen aufweist, rechnen wir auch das entsprechend um. Auf diese Weise sind wir mit Scratch verfahren.« Crowe gab einen Befehl in die Tastatur. »Was wir empfangen haben, klingt jetzt so.«
Die Laute wummerten wie eine unter Wasser geschlagene Trommel. Schnell aufeinander folgend, fast zu schnell, um sie auseinander halten zu konnen, aber eindeutig eine differenzierte Abfolge unterschiedlich lauter und langer Impulse.
»Klingt tatsachlich wie ein Code«, sagte Anawak. »Was bedeutet es?«
»Wir wissen es nicht.«
»Sie wissen es nicht?«, fragte Vanderbilt. »Ich dachte, Sie hatten es entschlusselt?«
»Wir wissen nicht, was das fur eine Sprache ist«, sagte Crowe geduldig, »wenn sie unter normalen Umstanden gesprochen wird. Wir haben nicht die geringste Ahnung, was die bisher aufgezeichneten Scratch- Signale aus den letzten Jahren zu bedeuten haben. Aber das ist nicht wichtig.« Sie blies Rauch durch ihre Nasenlocher. »Wir haben was viel Besseres, namlich Kontakt. Murray, zeig ihnen den ersten Teil.«
Shankar klickte ein Computerbild an. Es uberzog den Bildschirm mit endlosen Reihen von Zahlen. Ganze Kolonnen davon waren gleich.
»Wir hatten, wie Sie sich erinnern, ein paar Hausaufgaben nach unten geschickt«, sagte Shankar. »Mathearbeit. Wie beim Intelligenztest. Es ging darum, Dezimalreihen fortzusetzen, Logarithmen zu entschlusseln, fehlende Elemente zu ersetzen. Im besten Fall, haben wir uns ausgemalt, werden die da unten Spa? an der Sache finden und uns die Antworten schicken, womit sie signalisieren: Wir haben euch gehort — Wir sind da — Wir verstehen Mathematik und sind in der Lage, damit umzugehen.« Er zeigte auf die Zahlenreihen. »Das sind die Ergebnisse. Note eins mit Auszeichnung. Sie haben jede Aufgabe richtig gelost.«