Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
»Was meint er?«, wollte Anawak wissen.
»Sie versuchen einen Phasentest. Sie wollen die Gallerte dazu bringen, sich aufzulosen und wieder zu verschmelzen.«
»Sie glauben also auch, dass die Zellen einen Duft aussto?en?«
»Ja.« Weaver runzelte die Stirn. »Das Problem ist, welche Zelle fangt damit an? Und warum? Wenn eine Kettenreaktion erfolgt, muss jemand der Urheber sein.«
»Ein genetisches Programm.« Anawak nickte. »Nur bestimmte Zellen konnen die Verschmelzung in die Wege leiten.«
»Ein Teil des Hirns, der mehr als andere Teile kann …«, sinnierte Weaver. »Bestechend. Trotzdem, irgendwie reicht’s noch nicht.«
»Warte mal! Moglicherweise sind wir immer noch auf der falschen Fahrte. Ich meine, wir gehen standig davon aus, dass diese Zellen zusammen ein gro?es Hirn bilden.«
»Ich bin uberzeugt davon, dass sie es tun.«
»Ich auch. Mir kam nur gerade der Gedanke, dass …«
»Was?«
Anawak dachte fieberhaft nach.
»Findest du es nicht auch komisch, dass sie sich voneinander unterscheiden? Mir fallt nur ein Grund fur so eine Art der Codierung ein. Jemand programmiert ihre DNA, damit sie spezifische Aufgaben ubernehmen konnen. Aber wenn das stimmt — dann ware jede dieser Zellen ein kleines Hirn fur sich.« Er uberlegte weiter. Das ware phantastisch! Und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie das gehen sollte. »Es wurde bedeuten, die DNA jeder Zelle ist das Hirn.«
»Eine DNA, die denken kann?«
»Irgendwie ja.«
»Dann musste sie auch lernen konnen.« Sie sah ihn an, ihr Gesicht ein einziger Zweifel. »Ich bin ja bereit, einiges zu glauben, aber das?« Sie hatte Recht, Es war abwegig. Die Konsequenz ware eine vollig neuartige Biochemie. Etwas, das es nicht gab. Aber wenn es nun doch funktionieren wurde … »Nochmal, wodurch lernt ein Neuronencomputer?«, fragte er.
»Durch immer komplexeres, gleichzeitiges Rechnen. Mit der Erfahrung wachst die Zahl der Handlungsalternativen.«
»Und wie behalt er all das?«
»Er speichert es.«
»Dafur muss jede Einheit Speicherplatz zur Verfugung haben. In der Vernetzung der Speicherplatze entsteht dann kunstliches Denken.« »Worauf willst du hinaus?« Anawak erklarte es ihr. Sie horte zu, schuttelte hin und wieder den Kopf und lie? es sich ein zweites Mal erklaren. »Du schreibst die Biologie um, soweit ich das beurteilen kann.« »Tu ich. Kannst du trotzdem etwas programmieren, das auf ahnliche Weise funktionieren wurde?« »Oh Gott.« »Im Kleinen vielleicht.«
»Im Kleinen ist immer noch gro? genug. Mensch, Leon! Was fur eine abgedrehte Theorie. Aber okay. — Okay! Ich mach’s.«
Sie reckte die braun gebrannten Arme. Goldfarbene Harchen flimmerten auf ihren Unterarmen. Unter dem Stoff des T-Shirts spannte sich die Muskulatur. Anawak dachte, wie sehr ihm dieses breitschultrige, kompakte Madchen gefiel.
Im selben Moment sah sie ihn an.
»Das kostet dich aber was«, sagte sie drohend.
»Spuck’s aus.«
»Schultern und Rucken. Entspannungsmassage.« Sie grinste. »Und zwar avanti. Wahrend ich programmiere.«
Anawak war beeindruckt. Ganz schamlos von sich selber. Ob seine Theorie nun einen Sinn ergab oder nicht — es hatte sich auf jeden Fall gelohnt, sie auszusprechen.
Zum Mittagessen gingen sie gemeinsam hoch in die Offiziersmesse. Johansons Zustand hatte sich augenscheinlich gebessert, und au?erdem verstand er sich blendend mit Oliviera.
Beide schienen nicht sonderlich traurig zu sein, als Rubin ihnen erklarte, nach dem Migraneanfall keinen Hunger zu verspuren.
»Ich werde auf dem Dach spazieren gehen«, sagte er und versuchte, einigerma?en Mitleid erweckend dreinzuschauen.
»Passen Sie auf sich auf«, grinste Johanson. »Man kommt hier schnell ins Stolpern.«
»Keine Bange«, lachte Rubin. Dabei dachte er: Wenn du wusstest, wie sehr ich die ganze Zeit aufpasse, wurde dir die Kinnlade bis ins Welldeck knallen. »Ich werde mich von der Kante fern halten.«
»Wir brauchen Sie noch, Mick.«
»Na ja«, horte er Oliviera leise sagen, wahrend sie mit Johanson weiterging.
Naja?
Rubin ballte die Fauste. Sollten sie sich ruhig alle miteinander das Maul zerrei?en. Am Ende wurde er bekommen, was ihm zustand. Das Verdienst, die Menschheit gerettet zu haben, wurde seinem Konto gutgeschrieben werden. Er hatte lange genug darauf gewartet, aus dem Schatten der CIA hervortreten zu durfen. Wenn sie die Sache erst mal hinter sich gebracht hatten, gab es keinen Grund mehr, seine Leistungen der Welt vorzuenthalten. Jegliche Geheimhaltung wurde sich erubrigen. Er wurde nach Herzenslust publizieren konnen, getragen von der Anerkennung aller.
Seine Laune besserte sich, wahrend er die Rampe hochschritt. Auf LEVEL 03 nahm er eine Abzweigung und gelangte vor eine schmale, verschlossene Tur. Er gab einen Zahlencode ein. Die Tur schwang auf, und Rubin betrat einen dahinter liegenden Gang. Er ging bis ans Ende, wo er auf eine weitere verschlossene Ture stie?. Als er diesmal den Code eintippte, blinkte auf der Konsole ein grunes Lampchen auf. Daruber war ein Objektiv hinter einer Glasscheibe eingelassen. Rubin trat bis dicht davor und schaute mit dem rechten Auge in die Linse, die seine Netzhaut scannte und ein Okay in das System leitete.
Mit erfolgter Autorisierung offnete sich auch diese Tur fur ihn. Er blickte in einen gro?en, dammrigen Raum voller Computer und Monitore, der gro?e Ahnlichkeit mit dem CIC aufwies. Uniformierte und Zivilisten sa?en an den Steuerpulten. Bestandiges Summen brachte die Luft zum Schwingen. An einem gro?en, von innen erleuchteten Kartentisch standen Li, Vanderbilt und Peak zusammen.
Peak schaute auf. »Kommen Sie rein«, sagte er.
Rubin trat naher. Plotzlich fuhlte er seine Selbstsicherheit wanken. Seit der Nacht hatten sie nur miteinander telefoniert und knappe Informationen ausgetauscht. Der Tonfall war sachlich gewesen. Jetzt war er ins Frostige umgeschlagen.
Rubin entschloss sich fur die Flucht nach vorne. »Wir kommen gut weiter«, sagte er. »Wir sind immer einen Schritt voraus und …«
»Setzen Sie sich«, sagte Vanderbilt. Er wies mit knapper Geste auf einen Stuhl an der gegenuberliegenden Seite des Tisches. Rubin gehorchte. Die drei blieben stehen, sodass er sich in einer Rolle wiederfand, die ihm nicht behagte. Er fuhlte sich wie bei einem Tribunal.
»Das mit letzter Nacht war naturlich dumm«, fugte er hinzu.
»Dumm?« Vanderbilt stutzte sich mit den Knocheln auf die Tischplatte. »Sie bloder Idiot. Unter anderen Umstanden wurde ich Sie uber die Planke schicken.« »Augenblick mal, ich …« »Warum mussten Sie ihn niederschlagen!« »Was hatte ich denn machen sollen?« »Besser aufpassen. Sie Flasche! Ihn gar nicht erst reinlassen.« »Das ist ja wohl nicht mein Fehler«, fuhr Rubin auf. »Es sind Ihre Leute, die zuschauen, wer sich im Schlaf am Hintern kratzt!« »Warum haben Sie das verdammte Schott geoffnet?«
»Weil … nun ja, ich dachte, wir brauchen vielleicht … es gab da eine Uberlegung hinsichtlich …«
»Was?«
»Passen Sie mal auf, Rubin«, sagte Peak. »Das Schott zum Hangardeck hat nur eine einzige Funktion, und das wissen Sie sehr genau. Sperriges Material rein— und rausfahren.« Seine Augen blitzten auf. »Also was hatten Sie letzte Nacht so Wichtiges vor, dass Sie unbedingt das Schott offnen mussten?«
Rubin biss sich auf die Lippen.
»Sie waren schlicht zu faul, den Weg durchs Schiffsinnere zu nehmen, das ist der Punkt.«
»Wie konnen Sie so etwas sagen?«
»Weil es stimmt.« Li kam um den Tisch herum und setzte sich rittlings vor Rubin auf die Kante. Sie sah ihn nachsichtig, fast freundlich an. »Sie sagten zu den anderen, Sie gingen Luft schnappen.«
Rubin sackte in seinem Stuhl zusammen. Naturlich hatte er das gesagt. Und naturlich hatten die Uberwachungssysteme es aufgezeichnet.
»Und spater sind Sie wieder Luft schnappen gegangen.«