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Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗

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Riskant war es trotzdem.

Zehn Meter unter ihm wogte die See.

Immer noch herrschten diffuse Sichtverhaltnisse, aber der Eispartikelregen hatte aufgehort. So weit das Auge reichte, war das Wasser marmoriert von streifiger Gischt. Schieferfarbenes, wei? geadertes Meer in stetigem Auf und Ab. Eine Wuste.

Wie seltsam. Mehr als die Halfte seines Lebens war er im gema?igten Klima der kanadischen Westkuste untergekrochen. Jetzt hatte ihn das Schicksal gleich zweimal hintereinander ins Eis verschlagen.

Der Wind zerrte an seinen Haaren. Allmahlich fuhlte er seine Haut taub werden von der Kalte. Er hielt die Hande wie eine Muschel vor seinen Mund und blies seinen warmen Atem hinein.

Dann ging er zuruck ins Innere.

Labor

Johanson hatte Oliviera versprochen, sie zu einem richtigen Hummeressen einzuladen, wenn alles uberstanden sei. Dann fischte er mit Hilfe des Spherobot eine Krabbe aus dem Simulator. Der kugelformige Roboter schwebte, das fast bewegungslose Tier in seiner Greifzange haltend, zuruck in die Garage, wo hermetisch verschlie?bare Boxen mit PVC-Lackierung bereitstanden. Es sah merkwurdig aus, wie der Automat die Krabbe mit augenscheinlichem Ekel von sich weg hielt, ins Innere einer der Boxen fallen lie? und sie verschloss.

Ein kleiner Roboter, von den Umstanden angewidert.

Die Box wurde durch eine Schleuse in einen Trockenraum gefahren und mit Peressigsaure bespruht, mit Wasser abgewaschen, einem Schwall Natronlauge ausgesetzt und uber eine weitere Schleuse aus dem Simulator hinausbefordert. Wie todlich das Wasser im Tank auch vergiftet sein mochte, die Box war jetzt sauber.

»Sind Sie sicher, dass Sie alleine klarkommen?«, fragte Johanson. Er hatte sich zur Telefonkonferenz mit Bohrmann verabredet, der auf La Palma den Einsatz des Saugrussels vorbereitete.

»Kein Problem.« Oliviera nahm den Behalter mit der Krabbe an sich. »Falls doch, werde ich schreien. In der Hoffnung, dass Sie mir helfen kommen und nicht dieser Affenarsch von Rubin.«

Johanson schmunzelte. »Sollten wir da eine Abneigung teilen?«

»Ich hab nicht wirklich was gegen Mick«, sagte Oliviera. »Er ist nur so gottverdammt bemuht, den Nobelpreis zu kriegen.«

»Scheint mir auch so. Und Sie?«

»Was soll mit mir sein?«

»Keine Lust auf Lorbeeren? Ein bisschen beruhmt werden wir wohl alle, wenn wir das hier uberleben.«

»Gegen ein paar Groupies hatte ich nichts einzuwenden. Die Wissenschaft ist trocken genug.« Oliviera hielt inne.

»Bei der Gelegenheit, wo ist er eigentlich?«

»Wer? Rubin?«

»Ja. Er wollte hier sein, wenn ich die DNA-Analyse im Hochsicherheitslabor durchfuhre.«

»Seien Sie doch froh.«

»Ich bin froh. Ich frage mich trotzdem, wo er sich rumtreibt.«

»Irgendwas Sinnvolles wird er schon tun«, sagte Johanson versohnlich. »Ich meine, er ist ja kein schlechter Kerl. Er riecht nicht, hat niemanden umgebracht und eine Menge Auszeichnungen im Regal stehen. Wir mussen den Typ nicht mogen, solange er uns weiterbringt.«

»Tut er das? Finden Sie, er hat bis jetzt irgendwas Sinnvolles geleistet?«

»Aber gnadige Frau.« Johanson breitete die Hande aus. »Ist es einer guten Idee nicht schei?egal, wer sie hat?«

Oliviera grinste.

»Die Lebensluge der zweiten Garnitur.« Sie zuckte die Achseln. »Na ja. Soll er machen, was er will. Wer wei?, wofur es gut ist.«

Sedna

Anawak trat an den Beckenrand.

Das Deck war immer noch geflutet. Er sah Delaware und Greywolf mit Neoprenanzugen bekleidet im Wasser paddeln und den Delphinen das Geschirr abnehmen. Larm erfullte die Halle. Weiter heckwarts wurde eines der Deepflight- Tauchboote von der Decke gelassen. Roscovitz und Browning uberwachten den Vorgang vom Kontrollpult aus. Langsam sank der flache, raumschiffartige Rumpf abwarts, bis er die Oberflache beruhrte und sanft schaukelnd auflag. Im krauseligen Wasser leuchtete die Schleuse am Grund.

Roscovitz schaute zu ihm heruber.

»Fahren Sie raus?«, rief Anawak.

»Nein.« Der Leiter der Tauchstation zeigte auf das Boot.

»Dieses Baby hat ‘ne Macke. Irgendwas mit der Vertikalsteuerung.«

»Schlimm?«

»Keine gro?e Sache, aber nachschauen ist besser.«

»Mit dem waren wir doch drau?en, oder?«

»Keine Angst, Sie haben nichts kaputtgemacht.« Roscovitz lachte. »Moglicherweise ein Defekt in der Software. In wenigen Stunden ist alles wieder heile.«

Ein Schwall Wasser traf Anawaks Beine.

»He, Leon!« Delaware grinste ihn aus dem Becken an. »Was stehst du da rum? Komm rein.«

»Gute Idee«, meinte Greywolf. »Du konntest was Sinnvolles tun.«

»Wir tun eine Menge Sinnvolles da oben«, erwiderte Anawak.

»Zweifellos.« Greywolf streichelte einen der Delphine, der sich an ihn schmiegte und leise schnatternde Laute von sich gab. »Schnapp dir einen der Anzuge.«

»Ich wollte nur kurz nach euch sehen.«

»Nett von dir.« Greywolf versetzte dem Delphin einen Klaps und sah zu, wie er davonschnellte. »Nun hast du uns gesehen.«

»Gibt’s irgendwas Neues?«

»Wir machen die zweite Staffel fertig«, sagte Delaware. »MK-6 hat nichts Au?ergewohnliches registriert, abgesehen von heute Morgen, als sie die Anwesenheit der Orcas meldeten.«

»Und zwar, bevor die Elektronik sie gesehen hat«, bemerkte Greywolf nicht ohne Stolz. »Ja, ihr Sonar ist …«

Anawak bekam einen weiteren Schwall ab, als diesmal eines der Tiere wie ein Torpedo aus dem Wasser stieg und ihn nass spritzte. Offenbar fand der Delphin gro?es Vergnugen daran. Er quiekte und schnatterte und reckte die Schnauze.

»Gib dir keine Muhe«, sagte Delaware zu dem Tier, als konne es sie verstehen. »Leon kommt nicht rein. Er wurde sich den Arsch abfrieren, weil er namlich gar kein richtiger Inuk ist, sondern ein Angeber. Er kann uberhaupt kein Inuk sein. Sonst ware er langst …«

»Okay, okay!« Anawak hob die Hande. »Wo ist der verdammte Anzug?«

Funf Minuten spater half er Delaware und Greywolf, den Tieren der zweiten Staffel die Kameras und Sender anzulegen. Plotzlich fiel ihm ein, wie Delaware ihn gefragt hatte, ob er ein Makah sei.

»Wie bist du damals eigentlich darauf gekommen?«, wollte er wissen.

Sie zuckte die Achseln. »Du hast dich ausgeschwiegen. Irgendwas Indianisches musstest du sein. Wie ein Friese hast du jedenfalls nicht ausgesehen. Jetzt, wo ich’s besser wei? …« Sie strahlte ihn an. »… hab ich auch was fur dich!«

»Du hast was fur mich?«

Sie zurrte einen Riemen um die Brust eines Delphins.

»Ich bin im Internet darauf gesto?en. Dachte, ich mache dir eine Freude. Hab’s auswendig gelernt, willst du wissen, was es ist?«

»Raus damit!«

»Die Geschichte deiner Welt!« Es klang wie von Fanfarensto?en begleitet.

»Du lieber Himmel.«

»Kein Interesse?«

»Doch«, sagte Greywolf. »Leon interessiert sich brennend fur seine geliebte Heimat, er wurde es nur ums Verrecken nicht zugeben.« Er kam herbeigeschwommen, flankiert von zwei Delphinen. In seinem gepolsterten Anzug sah er aus wie ein mittelgro?es Seeungeheuer. »Lieber lasst er sich fur einen Makah halten.«

»Du hast’s gerade notig«, bemerkte Anawak.

»Kein Streit, Kinder!« Delaware legte sich auf den Rucken und lie? sich treiben. »Ich meine, wusstet ihr, wo all die Wale und Delphine und die Robben herkommen? Wollt ihr die wahre Erklarung horen?«

»Spann uns nicht auf die Folter.«

»Also, es beginnt in fruhester Zeit, als Menschen und Tiere noch eins waren. Da lebte in der Nahe von Arviat ein Madchen.«

Anawak horchte auf. Das also hatte sie gefunden! Als Heranwachsender hatte er die Geschichte in allen moglichen Varianten gehort, aber dann war sie ihm zusammen mit seiner Kindheit verloren gegangen.

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