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Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗

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»Entschuldigung«, sagte Vanderbilt. »Ich habe keine Ahnung, wovon hier die Rede ist.«

»Nicht?«, schmunzelte Li. »Ich dachte immer, die CIA hatte ein vitales Interesse an Gehirnwasche.«

Vanderbilt schnaubte und sah sich nach allen Seiten um. »Wovon redet der? Ich wei? es nicht. Kann mir verdammt nochmal einer sagen, wovon er redet?«

»Der Neuronencomputer ist ein Modell zur kompletten Rekonstruktion eines Hirns«, sagte Oliviera. »Sehen Sie, unser Gehirn setzt sich aus Milliarden von Nervenzellen zusammen. Jede Zelle ist mit unzahligen anderen verbunden. Sie kommunizieren untereinander durch elektrische Impulse. Auf diese Weise werden Wissen, Erfahrung und Emotion standig aktualisiert, neu geordnet oder archiviert. In jeder Sekunde unseres Lebens, auch wenn wir schlafen, ist unser Gehirn einer fortgesetzten Neustrukturierung unterworfen. Mit heutiger Technik lassen sich aktive Hirnareale bis auf einen Millimeter genau darstellen. Wie eine Landkarte. Wir konnen zusehen, wie gedacht und gefuhlt wird, welche Nervenzellen zeitgleich aktiviert werden, etwa im Moment eines Kusses oder eines erlittenen Schmerzes oder einer Erinnerung.«

»Man kennt die Stellen, und die Navy wei?, wo man elektrisch pulsen muss, um eine gewunschte Reaktion hervorzurufen«, nahm Anawak den Faden auf. »Aber das ist immer noch sehr grob. Wie eine Landkarte, deren Detailscharfe bei 50 Quadratkilometern endet. Kurzweil hingegen glaubt, dass wir schon bald uber die Moglichkeit verfugen werden, ein komplettes Hirn zu scannen, und zwar einschlie?lich jeder einzelnen Nervenverbindung, jeder Synapse und der genauen Konzentration aller chemischen Botenstoffe — bis ins letzte Detail einer jeden Zelle!«

»Uff«, sagte Vanderbilt.

»Wenn man erst mal die komplette Information hat«, fuhr Oliviera fort, »lie?e sich ein Gehirn samt aller Funktionen in einen Neuronencomputer ubertragen. Der Computer wurde eine perfekte Kopie des Denkens der Person herstellen, deren Hirn gescannt wurde, mitsamt ihrer Erinnerungen und Fahigkeiten. Ein zweites Ich.«

Li hob die Hand. »Ich kann Ihnen versichern, dass MKO noch nicht so weit ist«, sagte sie. »Kurzweils Neuronencomputer bleibt vorerst eine Vision.«

»Jude«, flusterte Vanderbilt entsetzt. »Wozu erzahlen Sie das hier? Das geht keinen was an, das unterliegt strengster Geheimhaltung.«

»MKO grundet auf militarischen Notwendigkeiten«, sagte Li ruhig. »Die Alternative ware, Menschen zu opfern. Wir konnen uns unsere Kriege nicht immer aussuchen, wie Sie unzweifelhaft festgestellt haben. Tatsachlich befindet sich das Projekt in einer Sackgasse, aber das wird ein vorubergehender Stillstand sein. Der Weg zur kunstlichen Intelligenz ist beschritten. Die Medizin ist nicht weit davon entfernt, menschliche Organe durch Mikrochips zu ersetzen. Blinde konnen mit Hilfe solcher Implantate bereits Konturen erkennen. Es werden vollig neue Formen von Intelligenz entstehen.« Sie machte eine Pause und heftete ihren Blick auf Anawak. »Das ist es doch, was Sie meinen, nicht wahr? Alles sprache fur die Nahost-Hypothese, um bei dem leidigen Wort zu bleiben, wenn die Menschheit so weit ware, wie Kurzweil gedacht hat. Aber wir sind es nicht. Amerika ist es nicht und niemand sonst. Kein Mensch kann diese Gallerte gezuchtet haben, die offenbar wie ein Neuronencomputer funktioniert.«

»Der Neuronencomputer bedeutet in der Praxis die vollkommene Kontrolle uber jedes Denken«, sagte Anawak. »Wenn die Gallerte etwas in dieser Art darstellt, dann steuert sie das Tier nicht einfach, sie wird zu diesem Tier. Sie wird Teil seines Hirns. Zellen der Substanz ubernehmen die Funktion von Hirnzellen. Entweder sie erweitern das Gehirn eines Lebewesens …«

»Oder sie ersetzen es«, schloss Oliviera. »Leon hat Recht. Ein solcher Organismus entspringt keinem menschlichen Labor.«

Johanson horte mit klopfendem Herzen zu. Sie griffen seine Theorie auf. Sie arbeiteten damit und fugten ihr neue Aspekte hinzu, und mit jedem Wort, das gesprochen wurde, verfestigte sie sich. Er begann sich diesen biologischen Computer vorzustellen, der Hirnzellen kopieren konnte, wahrend um ihn herum die Diskussion wogte, bis Roche aufsprang und das Wort ergriff.

»Eines verstehe ich noch nicht, Dr. Johanson. Wie erklaren Sie sich, dass die da unten so viel uber uns wissen? Ich meine, Ihre Theorie in allen Ehren, aber wie kann ein Bewohner der Tiefsee derart viel uber uns herausfinden?«

Johanson sah Vanderbilt und Rubin beifallig nicken.

»Das ist nicht schwer«, sagte er. »Wenn wir einen Fisch sezieren, geschieht das in unserer Welt, nicht in seiner. Warum sollten diese Wesen ihr Wissen nicht in ihrer Welt erlangen? Jedes Jahr ertrinken eine Menge Menschen, und falls man weitere Exemplare braucht, holt man sich eben welche. — Andererseits haben Sie Recht: Wie viel wissen die wirklich uber uns? Kurz vor dem Abrutschen des Schelfs war ich erstmalig so weit, an einen organisierten Angriff zu glauben. Seltsamerweise habe ich nie in Erwagung gezogen, dass Menschen dahinter stecken konnten. Zu fremdartig erschien mir die ganze Strategie. Wie auf einen Schlag gro?e Teile der nordeuropaischen Infrastruktur vernichtet wurden, war brillant geplant und mit weit reichenden Folgen fur uns verbunden. Kleine Boote durch Wale versenken zu lassen erscheint dagegen naiv. Die Uberfischung der Meere stoppt man nicht mit hochgiftigen Quallenschwarmen. Schiffskatastrophen treffen uns hart, aber ob diese mutierten Schwarme die weltweite Schifffahrt wirklich lahm legen konnen, wage ich zu bezweifeln. Allerdings fallt auf, dass sie sehr genau uber Schiffe Bescheid wissen. Alles, was unmittelbar ihren Lebensraum beruhrt, kennen sie gut. Die Welt daruber ist ihnen weniger vertraut. Killeralgen in Krabben uber Land zu schicken, zeugt von exzellenter militarischer Planung, aber der Anfang mit den bretonischen Hummern war eher misslungen. Offenbar hatten sie das Problem des Unterdrucks nicht bedacht. Als die Gallerte da unten in die Hummerkorper schlupfte, war sie durch den Tiefendruck komprimiert. Zur Oberflache hin dehnte sie sich naturlich aus, und einige der Hummer platzten.«

»Bei den Krabben scheint man dazugelernt zu haben«, meinte Oliviera. »Sie bleiben stabil.«

»Na ja.« Rubin schurzte die Lippen. »Sie krepieren, kaum dass sie an Land sind.«

»Warum auch nicht?«, erwiderte Johanson. »Ihre Aufgabe ist erfullt. Alle diese Zuchtungen sind zum schnellen Sterben verurteilt. Sie sollen unsere Welt bekampfen, nicht besiedeln. — Wohin Sie auch schauen in diesem Krieg, Menschen wurden so nicht vorgehen! Warum der Umweg ubers Meer? Warum sollte sich ein Mensch in derartige Experimente versteigen? Welchen vernunftigen Grund hatte er, ausgerechnet die Gene von Lebewesen zu verandern, die viele Kilometer unter Wasser leben wie beispielsweise Schlotkrabben? Hier sind keine Menschen am Werk. Hier wird experimentiert, um herauszufinden, wo unsere Schwachstellen sind. Und vor allem wird abgelenkt.«

»Abgelenkt?«, echote Peak.

»Ja. Der Feind macht viele Fronten gleichzeitig auf. Einige bescheren uns Alptraume, andere sind eher lastig, aber sie halten uns auf Trab. Die meisten der verabreichten Nadelstiche schmerzen gewaltig. Das eigentlich Perfide daran ist, dass sie verschleiern, was wirklich geschieht. Dass wir vor lauter Schadensbegrenzung blind fur die wirklichen Gefahren werden. Wir finden uns in der Rolle des Zirkusjongleurs, der Teller auf Stocke stellt und sie in Drehung versetzt, damit sie nicht herunterfallen konnen. Er muss standig zwischen den Stocken hin— und herlaufen. Hat er den letzten Teller stabilisiert, wackelt der erste. Je mehr Teller es werden, desto schneller muss er laufen. In unserem Fall hat die Anzahl der Teller die Fahigkeiten des Jongleurs weit uberschritten. Wir werden dieser Vielzahl von Attacken nicht gewachsen sein. Fur sich betrachtet mogen Walangriffe und ausbleibende Fischschwarme kein unlosbares Problem darstellen. In der Summe erfullen sie ihren Zweck, namlich uns zu lahmen und zu uberfordern. Wenn sich die Phanomene weiter ausbreiten, werden ganze Staaten die Kontrolle verlieren, andere Staaten werden das ausnutzen, es wird zu regionalen und gro?eren Konflikten kommen, die aus dem Ruder laufen und fur niemanden zu gewinnen sind. Wir werden uns selber schwachen. Die Strukturen der internationalen Hilfsorganisationen werden in sich zusammenbrechen, die medizinischen Versorgungsnetze zum Erliegen kommen. Wir werden nicht genugend Mittel, Kraft, Know-how und schlie?lich nicht genugend Zeit haben, um zu verhindern, was sich abseits der offenen Kampfhandlungen im Stillen vollzieht.«

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