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Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗

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Dort wurden die Antworten zu finden sein auf die Frage, was mit den Walen geschehen war.

Aber das World Wide Web schwieg sich aus.

Es schwieg beharrlich, durchbrochen von Absturzen und Zugriffsfehlern. Es schwieg drei Stunden lang, bis Anawak schlie?lich kurz davor stand aufzugeben. Seine Augen brannten. Er hatte keine Lust und keine Konzentration mehr, und so entging ihm beinahe die kurze Meldung des Earth Island Journal, die uber den Bildschirm flackerte.

US-Navy verantwortlich fur tote Delphine?

Das Journal wurde herausgegeben vom Earth Island Institute, einer Umweltschutzgruppe, die sich um neuartige Methoden zum Erhalt der Natur bemuhte und diverse Projekte betrieb. Die Earth-Island- Leute waren in der Klimadiskussion vertreten und enthullten Umweltskandale. Ein gro?er Teil ihrer Arbeit galt dem Leben in den Ozeanen und speziell dem Schutz der Wale.

Der kurze Artikel ging zuruck auf ein Ereignis zu Beginn der neunziger Jahre, als an der franzosischen Mittelmeerkuste 16 tote Delphine angeschwemmt worden waren. Alle Kadaver wiesen ratselhafte, identische Wunden auf. Ein sauber ausgestanztes, faustgro?es Loch an der hinteren Nackenseite, unter dem der nackte Schadelknochen zu sehen war. Niemand hatte sich damals erklaren konnen, was es mit den mysteriosen Verletzungen auf sich hatte, aber ohne Zweifel waren sie verantwortlich fur den Tod der Tiere. Der Vorfall hatte sich wahrend der ersten Golfkrise ereignet, als gro?e Flottenverbande der Amerikaner das Mittelmeer durchkreuzt hatten, und Earth Island stellte einen Zusammenhang mit Geheimexperimenten der US-Navy her, von denen man annahm, dass sie zu dieser Zeit stattgefunden haben mussten.

Offenbar hatten sie nicht den gewunschten Erfolg gehabt, sodass man sich schlie?lich gezwungen sah, sie zu vertuschen.

Irgendetwas muss damals furchterlich schief gelaufen sein, schrieb das Journal.

Anawak druckte den Text aus und versuchte, im Archiv weitere Artikel zu finden, die den Vorfall aufgriffen. Er war so vertieft in seine Arbeit, dass er kaum horte, wie die Tur der Station geoffnet wurde. Erst als sich sein Blickfeld verdunkelte, schaute er auf und sah einen muskulosen Bauch und eine nackte, behaarte Brust, die sich unter einer offen stehenden Lederjacke hervorwolbte.

Er legte den Kopf in den Nacken. Bei der Gro?e seines Gegenubers war das unvermeidbar.

»Du wolltest mich sprechen«, sagte Greywolf.

Das Lederzeug an seinem gewaltigen Korper war speckig und abgetragen wie immer. Die langen Haare hatte er zu einem schimmernden Zopf gebunden. Augen und Zahne blitzten. Anawak hatte den Halbindianer einige Tage nicht gesehen, und wie alles um sich herum nahm er auch ihn plotzlich mit anderen Augen wahr. Er spurte die Kraft des Hunen, seine Ausstrahlung, seinen naturlichen Charme. Es war kein Wunder, dass Delaware so viel geballter Mannlichkeit verfallen war. Wahrscheinlich hatte es Greywolf nicht mal darauf angelegt.

»Ich dachte, du bist irgendwo in Ucluelet«, sagte er.

»War ich auch.« Greywolf zog einen Stuhl heran und setzte sich, dass es knarrte. »Licia meinte, du brauchst mich.«

»Brauchen?« Anawak lachelte. »Ich hatte ihr gesagt, dass ich mich freuen wurde, dich zu sehen.«

»Was im Klartext hei?t, du brauchst mich. Also bin ich hier.«

»Und wie geht’s dir?«

»Es ginge mir besser, wenn du was zu trinken hattest.«

Anawak ging zum Kuhlschrank, forderte Bier und Cola zutage und stellte beides auf die Theke. Greywolf trank eine halbe Dose Heineken in einem Zug und wischte sich den Mund.

»Hab ich dich bei irgendwas gestort?«, fragte Anawak.

»Zerbrich dir nicht den Kopf. Ich war fischen mit ein paar reichen Sacken aus Beverly Hills. Was euch Whale Watcher betrifft, so schwappt euer idiotisches Geschaft gerade zu mir ruber. Keiner geht davon aus, dass sein Boot von einer Forelle attackiert wird, also bin ich umgestiegen und biete Angeltouren auf den Seen und Flussen unserer geliebten Insel an.«

»Ich sehe, deine Einstellung zum Whale Watching hat sich nicht sonderlich geandert.«

»Nein, warum sollte sie? Aber ich lasse euch in Ruhe.«

»Oh, danke«, sagte Anawak sarkastisch. »Aber es trifft sich gut. Ich meine, dass du immer noch auf deinem Rachefeldzug fur die gepeinigte Natur bist. Erzahl mir nochmal in kurzen Zugen, was du bei der Navy gemacht hast.«

Greywolf starrte ihn verblufft an. »Das wei?t du doch.«

»Erzahl’s mir nochmal.«

»Ich war Trainer. Wir haben Delphine fur taktische Einsatze trainiert.«

»Wo? In San Diego?«

»Ja, auch da.«

»Und du bist wegen Herzmuskelschwache oder so was Ahnlichem entlassen worden. In allen Ehren.«

»Genau«, sagte Greywolf zwischen zwei Schlucken.

»Das stimmt nicht, Jack. Du bist nicht entlassen worden. Du bist von selber gegangen.«

Greywolf nahm die Dose vom Mund und setzte sie beinahe vorsichtig auf dem Tresen ab.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Weil es in den Akten des Space and Naval Warfare System Center San Diego so vermerkt ist«, sagte Anawak. Er begann, langsam im Raum auf und ab zu gehen. »Nur damit du siehst, dass ich im Bilde bin: Das SSC San Diego ist die Nachfolgeorganisation einer Behorde, die sich Navy Command, Control and Ocean Systems Center nannte, ebenfalls beheimatet in San Diego, Point Loma. Die Finanzierung erfolgte durch eine Organisation, aus der das US Navy’s Marine Mammal System von heute hervorgegangen ist. Jede dieser Institutionen taucht in irgendeiner Weise auf, wenn man die Geschichte der Meeressaugerprogramme nachliest, und jede wird unter der Hand in Verbindung gebracht mit einer Reihe dubioser Experimente, die angeblich niemals stattgefunden haben.« Anawak hielt einen Moment inne. Dann entschloss er sich zu einem Bluff. »Experimente, die durchgefuhrt wurden in Point Loma, wo du stationiert warst.«

Greywolf verfolgte Anawaks Wanderung durch den Verkaufsraum mit lauernden Blicken. »Wozu erzahlst du mir den ganzen Quatsch?«

»Aktuell werden in San Diego Ernahrungsgewohnheiten erforscht, Jagd— und Kommunikationsverhalten, Dressurfahigkeit, Moglichkeiten der Auswilderung und so weiter. Was das Militar allerdings noch mehr interessiert, ist das Gehirn der Sauger. Dieses Interesse geht zuruck auf die Sechziger. Zur Zeit des ersten Golfkriegs scheint es neu aufgeflammt zu sein. Du warst damals schon einige Jahre dabei. Als du die Navy verlassen hast, bist du im Rang eines Lieutenant ausgeschieden, zuletzt verantwortlich fur die beiden Delphinstaffeln MK6 und MK7, zwei von insgesamt vier.«

Greywolfs Brauen zogen sich zusammen.

»Na und? Habt ihr keine anderen Sorgen in eurem Ausschuss? Die Situation in Europa beispielsweise?«

»Der nachste Schritt in deiner Karriere hatte dir die Gesamtverantwortung uber das komplette Programm eingetragen«, fuhr Anawak fort. »Stattdessen hast du alles hingeschmissen.«

»Ich habe uberhaupt nichts hingeschmissen. Sie haben mich ausgemustert.«

Anawak schuttelte den Kopf. »Jack, ich genie?e ein paar bemerkenswerte Privilegien. Ich verdanke ihnen Zugriff auf eine Reihe von Daten, an deren Verlasslichkeit es nichts zu rutteln gibt. Du bist freiwillig gegangen, und ich wurde gerne wissen, warum.«

Er nahm den Ausdruck des Earth-Island- Artikels vom Tresen und reichte ihn Greywolf, der einen kurzen Blick darauf warf und das Blatt weglegte.

Eine ganze Weile war es still.

»Jack«, sagte Anawak leise. »Du hattest Recht. Ich freue mich wirklich, dich zu sehen, aber ich brauche deine Hilfe.«

Greywolf sah zu Boden und schwieg.

»Was hast du damals erlebt? Warum bist du gegangen?«

Der Halbindianer brutete weiter vor sich hin. Dann straffte er sich und verschrankte die Arme hinter dem Kopf. »Warum willst du das wissen?«

»Weil es uns helfen konnte zu verstehen, was mit unseren Walen geschehen ist.«

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