Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
»Trotzdem, Fenwick hat Recht«, sagte Ford. »Alles gut und richtig, wenn du deinen Affen auf den OP-Tisch legen und an ihm rumfuhrwerken kannst. Aber die Gallerte muss durchs Ohr oder durch den Kiefer eingedrungen sein. Sie hat dabei auf alle Falle ihre Form verandern mussen. Selbst wenn du so ein Zeug in einen Walschadel bekommst — wie stellst du sicher, dass es sich dort in gewunschter Weise verteilt und auf die … na ja, die richtigen Knopfe druckt?«
Anawak zuckte die Schultern. Er war fest davon uberzeugt, dass die Substanz in den Kopfen der Wale genau das tat, aber naturlich hatte er nicht die geringste Ahnung, wie sie es tat.
»Vielleicht musst du ja gar nicht so viele Knopfe drucken«, erwiderte er nach einer Weile. »Vielleicht reicht es, wenn …«
Die Tur offnete sich.
»Dr. Oliviera?« Einer der Laborassistenten steckte den Kopf herein. »Entschuldigen Sie die Storung, aber Sie werden im Hochsicherheitstrakt verlangt. Umgehend.«
Oliviera sah sie der Reihe nach an.
»So was hatten wir bis vor wenigen Wochen noch gar nicht«, sagte sie kopfschuttelnd. »Man konnte gepflegt beieinander sitzen und sich ungestort uber allen moglichen Blodsinn austauschen. Jetzt kommt man sich vor wie in einem James-Bond-Film. Alarm, Alarm! Dr. Oliviera bitte in den Hochsicherheitstrakt! Puh!«
Sie erhob sich und klatschte in die Hande.
»Na dann — vamos, muchachos. Will mich einer begleiten? Ohne mich kommt ihr ja ohnehin keinen Schritt weiter.«
Johansons Helikopter landete neben dem Institut, kurz nachdem die Krebse dort eingetroffen waren. Ein Assistent brachte ihn zu den Fahrstuhlen. Zwei Stockwerke tiefer stiegen sie aus und folgten einem kahlen, neonbeleuchteten Gang. Der Assistent offnete eine schwere Tur, und sie betraten einen mit Monitoren bestuckten Raum. Einzig ein Biohazard-Warnschild uber einer Stahltur wies darauf hin, dass dahinter der Tod lauerte. Johanson sah Wissenschaftler und Sicherheitspersonal. Er erkannte Roche, Anawak und Ford, die sich leise miteinander unterhielten. Oliviera und Fenwick waren im Gesprach mit Rubin und Vanderbilt. Als Rubin Johanson erblickte, kam er heruber und schuttelte ihm die Hand.
»Man kommt nicht zur Ruhe, was?« Er lachte gehetzt.
»Nein.« Johanson sah sich um.
»Wir hatten bis jetzt wenig Gelegenheit, uns auszutauschen«, sagte Rubin. »Sie mussen mir unbedingt alles uber diese Wurmer erzahlen. Ich meine, es ist schrecklich, dass man sich unter derartigen Umstanden kennen lernen muss, aber irgendwie ist das alles ja auch verdammt spannend … Haben Sie die aktuellen Meldungen gehort?«
»Ich schatze, darum bin ich hier.«
Rubin deutete auf die Stahltur. »Kaum zu glauben, was? Bis vor kurzem waren hier Lagerraume, aber die Armee hat in kurzester Zeit ein hermetisch abgeriegeltes Labor eingerichtet. Klingt provisorisch, aber sie mussen nichts befurchten. Der Sicherheitsstandard entspricht in allem L4. Wir konnen die Tiere gefahrlos untersuchen.«
L4 war die hochste Sicherheitsstufe fur Laboratorien.
»Sie gehen mit rein?«, fragte Johanson.
»Ich und Dr. Oliviera.«
»Ich dachte, Roche ist der Experte fur Schalentiere.«
»Hier ist jeder Experte fur alles.« Vanderbilt und Oliviera waren hinzugetreten. Der CIA-Mann roch leicht nach Schwei?. Er schlug Johanson leutselig auf die Schulter. »Unser Haufen neunmalkluger Eierkopfe wurde so ausgewahlt, dass sich Spezialistenwissen aller Coleur zu einer Art Pizza zusammenfindet. Au?erdem hat Li irgendeinen Narren an Ihnen gefressen. Ich wette, sie wurde am liebsten Tag und Nacht mit Ihnen verbringen, um rauszukriegen, was Sie denken.« Er lachte breit. »Oder will Sie was anderes? Wei? man’s?«
Johanson lachelte kuhl zuruck. »Warum fragen Sie sie nicht?«
»Das habe ich schon«, sagte Vanderbilt gleichmutig. »Ich furchte, mein Freund, Sie mussen sich mit dem Gedanken arrangieren, dass sie tatsachlich nur an Ihrem Kopf interessiert ist. Ich kenne Li. Sie ist der Meinung, dass Sie irgendetwas wissen.«
»So? Was denn?«
»Verraten Sie’s mir.«
»Ich wei? gar nichts.«
Vanderbilt betrachtete ihn abschatzend. »Keine flotte Theorie?«
»Ich fand Ihre Theorie eigentlich flott genug.«
»Ist sie auch, solange keine bessere auftaucht. Wenn Sie gleich da reingehen, Doktor, denken Sie an etwas, das wir in Amerika Golfkriegssyndrom nennen. 1991 in Kuwait hat die amerikanische Armee ihre Verluste sehr gering gehalten, aber spater erkrankte rund ein Viertel aller Soldaten, die dort im Einsatz waren, an ratselhaften Beschwerden. Im Nachhinein erscheinen sie wie eine sehr stark abgemilderte Form dessen, was Pfiesteria und Konsorten auslosen. Gedachtnisschwund, Konzentrationsprobleme, Schadigungen innerer Organe. Wir vermuten, dass die Leute mit was Chemischem Kontakt hatten — sie waren in der Nahe, als irakische Waffendepots gesprengt wurden. Damals tippten wir auf Sarin, aber vielleicht hatten die Iraker auch einen biologischen Erreger in Arbeit. Uber Pathogene verfugt die halbe islamische Welt. Es ist kein Problem, harmlose Bakterien oder Viren durch genetische Manipulation in kleine Killer zu verwandeln.«
»Und Sie meinen, damit haben wir es hier zu tun?«
»Ich meine, Sie waren gut beraten, Tante Li ins Boot zu holen.« Vanderbilt zwinkerte ihm zu. »Unter uns, sie ist ein bisschen verruckt. Capisce? Verruckten sollte man ihren Willen lassen.«
»Ich kann nichts Verrucktes an ihr finden.«
»Ihr Problem. Ich habe Sie gewarnt.«
»Mein Problem ist, dass wir immer noch zu wenig wissen«, sagte Oliviera und zeigte zur Tur. »Gehen wir rein und machen unsere Arbeit. Roche ist selbstverstandlich mit dabei.«
»Und ich? Brauchen Sie keinen Leibwachter?«, grinste Vanderbilt. »Ich wurde mich anbieten.«
»Sehr freundlich, Jack.« Sie musterte ihn. »Leider sind die Anzuge in Ihrer Gro?e gerade alle ausgegangen.«
Sie traten zu viert durch die Stahltur in den ersten von drei Schleusenraumen. Das System war so konzipiert, dass sich die Schleusen wechselseitig verriegelten. Eine Kamera lugte aus der Decke. An einem Bord hingen vier knallgelbe Schutzanzuge mit transparenten Kapuzen, Handschuhen und schwarzen Stiefeln.
»Sind Sie alle mit der Arbeit in einem Hochsicherheitslabor vertraut?«, fragte Oliviera.
Roche und Rubin nickten.
»Theoretisch«, gab Johanson zu.
»Kein Problem. Normalerweise mussten wir Sie schulen, aber dafur reicht die Zeit nicht aus. Der Anzug ist ein Drittel Ihrer Lebensversicherung. Um den mussen Sie sich keine Sorgen machen. Er besteht aus verschwei?tem PVC. Die anderen beiden Drittel sind Vorsicht und Konzentration. Warten Sie, ich helfe Ihnen beim Anlegen.«
Das Ding war sperrig. Johanson schlupfte in eine Art Weste, deren Zweck darin bestand, die zugefuhrte Luft gleichma?ig im Anzug zu verteilen. Er qualte sich in den gelben Uberzug und lauschte dabei ergeben Olivieras Erklarungen:
»Sobald Sie drinstecken, schlie?en wir Sie an ein Schlauchsystem an und blasen Ihren Anzug mit Atemluft auf. Die Luft wird entfeuchtet, temperiert und uber Kohlefilter so hineingeleitet, dass im Innern Uberdruck entsteht. Das ist wichtig, damit sie von Ihnen wegstromen kann. Uberschusse gelangen durch ein Ventil nach drau?en. Wenn Sie wollen, konnen Sie die Zufuhr selber regulieren, aber das wird nicht notig sein. — Alles klar? Wie fuhlen Sie sich?«
Johanson sah an sich hinunter.
»Wie ein Marshmallowmann.«
Oliviera lachte. Sie betraten die erste Schleuse. Johanson horte Oliviera gedampft weitersprechen und registrierte, dass sie jetzt uber Funk miteinander verbunden waren: »Im Labor herrscht ein Unterdruck von -50 Pascal. Keine Spore kommt da raus. Bei Stromausfall haben wir immer noch das Notstromaggregat, es ist also kaum anzunehmen, dass es Probleme gibt. Der Fu?boden besteht aus versiegeltem Beton, die Fenster sind aus Panzerglas. Alle Luft im Innern des Labors wird durch Hochleistungsfilter steril gehalten. Es gibt keine Abflusse hier, Abwasser sterilisieren wir gleich im Gebaude. Mit der Au?enwelt kommunizieren wir entweder uber Funk oder per Fax und PC. Alle Kuhltruhen, Zu— und Abluftmechanismen sind uber Alarm gesichert, der gleichzeitig im Kontrollraum, in der Virologie und beim Pfortner auflauft. Jeder Winkel wird videouberwacht.«