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Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗

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Li hob den Kopf.

»Guten Morgen, Dr. Johanson«, rief sie. »Gut geschlafen?«

»Wie ein Baby.« Er trat an ihren Tisch. »Was ist los, warum fruhstucken Sie alleine? Die Einsamkeit des Vorgesetzten?«

»Nein, ich walze Probleme.« Sie lachelte und sah ihn aus ihren wasserblauen Augen an. »Leisten Sie mir Gesellschaft, Doktor. Ich hab gerne Leute um mich, die sich ihre eigenen Gedanken machen.«

Johanson setzte sich. »Wie kommen Sie darauf, dass ich das tue?«

»Es ist offensichtlich.« Li legte die Unterlagen aus der Hand. »Kaffee?«

»Gerne.«

»Sie haben sich gestern auf der Veranstaltung geoutet. Keiner der anwesenden Wissenschaftler hat bislang mehr gesehen als seinen ureigenen Bereich. Shankar brutet uber Tiefseegerauschen, die er nicht einordnen kann, Anawak fragt sich, was mit seinen Walen los ist, wenngleich ich ihm zugute halten muss, dass er noch am ehesten uber den Tellerrand hinausdenkt. Bohrmann sieht die Gefahren eines Methan-GAUs und versucht, mit Bekannten und Unbekannten zu jonglieren, um eine zweite Rutschung zu verhindern. Und so weiter und so fort.«

»Das ist doch eine ganze Menge.«

»Aber keiner von denen hat eine Theorie entwickelt, wie alles miteinander in Zusammenhang steht.«

»Das wissen wir ja nun«, sagte Johanson gleichmutig.

»Es sind arabische Terroristen.«

»Und glauben Sie das auch?«

»Nein.«

»Was also glauben Sie?«

»Ich glaube, dass ich noch ein bis zwei Tage brauche, bevor ich es Ihnen sagen werde.«

»Sie sind sich nicht sicher?«

»Fast.« Johanson nippte an seinem Kaffee. »Aber das ist ein heikles Thema. Ihr Mr. Vanderbilt hat sich auf Terrorismus eingeschossen. Ich will Ruckendeckung, bevor ich meine Vermutungen au?ere.«

»Und wer soll Ihnen die geben?«, fragte Li.

Johanson stellte die Kaffeetasse ab.

»Sie, General.«

Li wirkte nicht sonderlich uberrascht. Sie schwieg einen Moment lang, dann sagte sie: »Wenn Sie mich von irgendetwas uberzeugen wollen, sollte ich vielleicht wissen, was es ist.«

»Ja.« Johanson lachelte. »Beizeiten.«

Li schob ihm den Schnellhefter hinuber. Johanson sah, dass er mehrere Faxausdrucke enthielt. »Vielleicht beschleunigt das Ihre Entscheidung, Doktor. Das kam heute fruh um funf. Wir haben noch keinen Uberblick, und niemand kann verlasslich sagen, was da eigentlich geschieht, aber ich habe beschlossen, dass wir im Verlauf der nachsten Stunden den Ausnahmezustand uber New York und die angrenzenden Gebiete verhangen werden. Peak ist bereits dort, um alles in die Wege zu leiten.«

Johanson starrte auf den Schnellhefter. Das Bild einer weiteren Flutwelle suchte ihn heim.

»Warum?«

»Was wurden Sie sagen, wenn entlang der Kuste von Long Island Milliarden wei?er Krebse dem Meer entstiegen?«

»Ich wurde sagen, sie machen einen Betriebsausflug.«

»Schone Idee. Fur welchen Betrieb?«

»Was ist mit diesen Krebsen?«, fragte Johanson, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Was tun sie?«

»Wir sind uns nicht sicher. Aber ich schatze, sie tun etwas Ahnliches wie die bretonischen Hummer in Europa. Sie schleppen eine Seuche ein. Wie passt das in Ihre Theorie, Doktor?«

Johanson uberlegte. Dann sagte er: »Gibt es irgendwo hier oder im Umkreis ein hermetisch abgeschlossenes Labor, in dem man die Tiere untersuchen kann?«

»Wir haben so was eingerichtet. In Nanaimo. Exemplare der Krebse sind auf dem Weg hierher.«

»Lebende Exemplare?«

»Ich wei? nicht, ob sie noch leben. Mein letzter Wissensstand ist, dass sie lebendig waren, als sie eingefangen wurden. Dafur sind mehrere Leute tot. Toxischer Schock. Dieses Gift scheint schneller zu wirken als das der Algen in Europa.«

Johanson schwieg einen Moment. »Ich fliege hin«, sagte er. »Nach Nanaimo?« Li nickte befriedigt. »Gute Idee. Und wann werden Sie mir sagen, was Sie denken?«

»Geben Sie mir vierundzwanzig Stunden.«

Li schurzte die Lippen und dachte einen Moment nach. »Vierundzwanzig Stunden«, sagte sie. »Keine Minute langer.«

Nanaimo, Vancouver Island

Anawak sa? mit Fenwick, Ford und Oliviera im gro?en Vorfuhrraum des Instituts. Der Beamer projizierte dreidimensionale Modelle von Walgehirnen. Oliviera hatte sie im Computer angelegt und die Stellen markiert, an denen sie auf Gallerte gesto?en waren. Man konnte um die Hirne herumfahren und sie mit einer virtuellen Klinge der Lange nach in Scheiben schneiden. Drei Simulationen hatten sie bereits durchgespielt. Die vierte zeigte, wie sich die Substanz zwischen den Hirnwindungen in feinste Auslaufer verzweigte, die stellenweise ins Innere eindrangen.

»Die Theorie ist folgende«, sagte Anawak mit Blick auf Oliviera. »Nimm an, du bist eine Kuchenschabe …«

»Danke, Leon.« Oliviera hob die Brauen, was ihr Pferdegesicht noch langer erscheinen lie?. »Du verstehst es wahrhaftig, einer Frau zu schmeicheln.«

»Eine Kuchenschabe ohne Intelligenz und Kreativitat.«

»Mach ruhig weiter so.«

Fenwick lachte und rieb sich den Nasenrucken.

»Du bist ausschlie?lich von Reflexen gesteuert«, fuhr Anawak ungeruhrt fort. »Fur einen Neurophysiologen ein Kinderspiel, dich zu steuern. Er muss nichts anderes tun, als deine Reflexe zu kontrollieren und sie auf Wunsch auszulosen. Wie bei einer Prothese. Hauptsache, er wei?, wo bei dir die Knopfe sitzen.«

»Haben sie nicht irgendwann mal eine Schabe gekopft und ihr den Kopf einer anderen aufgepflanzt«, fragte Ford, »und das Vieh ist gelaufen?«

»So ungefahr. Sie haben die eine Kakerlake gekopft und die andere ihrer Beine beraubt. Dann haben sie die zentralen Nervensysteme der Korper miteinander verbunden. Die Kakerlake mit Kopf ubernahm die Steuerung des Laufapparats, als hatte sie nie einen anderen besessen. Genau das ist es, was ich meine. Simple Geschopfe, simple Vorgange. In einem anderen Experiment hat man etwas Ahnliches mit Mausen versucht. Man transplantierte einer Maus einen zweiten Kopf. Sie lebte erstaunlich lange, ein paar Stunden oder Tage, glaube ich, und beide Kopfe schienen normal zu funktionieren, aber in der Steuerung wurde es naturlich kompliziert. Die Maus lief, aber sie lief offenbar nicht immer dorthin, wo sie hatte hinlaufen wollen, und meistens fiel sie nach ein paar Schritten um.«

»Widerlich«, murmelte Oliviera.

»Das hei?t, steuern lasst sich im Grunde jedes Lebewesen. Nur, je komplexer es ist, desto gro?er werden die Schwierigkeiten. Wenn du jetzt den Aspekt der bewussten Wahrnehmung hinzunimmst, Intelligenz und kreatives, ichbezogenes Denken, wird es schon verdammt schwer, jemandem deinen Willen aufzuzwingen. Also was machst du?«

»Ich versuche, seinen Willen zu brechen und ihn wieder auf eine Kuchenschabe zu reduzieren. Bei Mannern funktioniert das, indem man sich ohne Hoschen vor ihnen buckt.« »Richtig.« Anawak grinste. »Weil namlich Menschen und Kuchenschaben gar nicht so weit auseinander liegen.«

»Einige Menschen«, bemerkte Oliviera.

»Alle Menschen. Wir sind zwar stolz auf unseren freien Geist, aber der ist nur so lange frei, bis du auf bestimmte Knopfe druckst. Zum Beispiel aufs Schmerzzentrum.«

»Was bedeutet, dass derjenige, der die Gallerte entwickelt hat, sehr genau wissen muss, wie das Hirn eines Wals aufgebaut ist«, sagte Fenwick. »Ich meine, davon gehen Sie doch aus, oder? Das Zeug stimuliert Zentren im Gehirn.«

»Ja.«

»Aber dazu muss es wissen, welche.«

»So was lasst sich rausfinden«, sagte Oliviera zu Fenwick. »Denk an die Arbeit von John Lilly.«

»Sehr gut, Sue!« Anawak nickte. »Lilly war der Erste, der Elektroden in Tiergehirne implantierte, um Schmerz— und Lustzonen zu reizen. Er hat bewiesen, dass man Tieren durch gezielte Manipulation der Hirnbereiche Freude und Wohlbefinden oder Schmerz, Wut und Angst suggerieren kann. Bei Affen, wohlgemerkt. Affen kommen Walen und Delphinen am nachsten, was Komplexitat und Intelligenz betrifft, aber es funktionierte. Er konnte die Tiere mit Hilfe von Elektroden vollkommen kontrollieren, indem er gezielt Reize fur Bestrafung und Belohnung ausloste. — Und er war schon in den Sechzigern so weit!«

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