Mauern aus Holz, Manner aus Eisen: Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung - Kent Alexander (читать книги без регистрации .txt) 📗
Er hatte seinen Auftrag ausgefuhrt, hatte Bolithos Depeschen dem General und dem dortigen Commodore ubergeben und war nun froh, wieder unterwegs zu sein.
Tyacke war drei?ig Jahre alt und seit drei Jahren Kommandant der Miranda. Verglichen mit ihr war das Flaggschiff wie eine Stadt gewesen, in der es mehr Rotrocke gab als Seeleute. Naturlich kannte er solch gro?e Schiffe. Vor acht Jahren war er Leutnant auf der Majestic gewesen, einem Zweidecker in Nelsons Mittelmeerflotte. Er hatte im unteren Batteriedeck gekampft, als Nelson die Franzosen in der Bucht von Abukir vernichtete. Aber sie waren zu furchtbar, diese Bilder seiner Erinnerung. Im Lauf der Zeit verwischten sie sich wie Szenen aus einem Albtraum. Spater zahlte man ihn zu den Glucklichen — nicht wegen des Sieges, fur den sich nur Leute ruhmen konnten, die nicht dabeigewesen waren. Aber er hatte uberlebt, wo so viele gefallen waren oder sich unter der Sage und dem Messer des Schiffsarztes zu Tode geschrieen hatten. Und er war auch nicht als mitleidheischender Kruppel daraus hervorgegangen, an dessen Verdienste sich niemand erinnern wollte.
Leutnant Tyacke blickte auf den Kompa?. Sein Schiff schnitt durch die Wogen, als seien sie Luft. Er legte die Hand aufs Gesicht und spurte, was er jeden Tag beim Rasieren im Spiegel sah. Eine Kanone war explodiert oder eine brennende Lunte herubergeschleudert worden und hatte eine Ladung Pulver entzundet. Niemand war ubriggeblieben, der ihm den genauen Ablauf beschreiben konnte. Niemand au?er ihm. Die ganze rechte Halfte seines Gesichts war weggebrannt worden und sah nun aus wie gegrilltes Fleisch. Die Leute drehten sich weg, um ihn nicht sehen zu mussen. Ein Wunder, da? die Augen unverletzt geblieben waren.
Er erinnerte sich, wie er vor Stunden mit den Depeschen an Bord des Flaggschiffs gekommen war. Er hatte weder den dortigen Commodore noch den General gesehen. Ein gelangweilter Oberst nahm ihm den Umschlag ab, ein Glas Wein in der gepflegten Hand, und lud ihn nicht einmal zum Sitzen ein, schon gar nicht zum Mittrinken.
Als er dann uber die Seite des riesigen Schiffes in sein Beiboot hinunterkletterte, war eben dieser Oberst an die Reling geeilt.»Leutnant! Warum haben Sie uns nichts von Nelson und seinem Sieg berichtet?«hatte er ihm nachgerufen.
Tyacke hatte an der schwarzen, gewolbten Bordwand hinaufgeblickt und seine Verachtung nicht langer verhehlt.»Niemand hat mich danach gefragt, Sir!»
Benjamin Simcox, als Master-Gehilfe fur Navigation auf der Miranda zustandig, sa? im Beiboot neben seinem Kommandanten. Im gleichen Alter wie Tyacke, war er wie der Schoner selbst aus der Handels- zur Kriegsmarine gewechselt. Mit Bob Jay, dem zweiten Master-Gehilfen, machten sie den nur 22 Meter langen Schoner zu einem perfekten Segler, auf den jeder an Bord stolz war.
Tyacke, Simcox oder Jay waren die drei Wachfuhrer, und Tyacke und Simcox waren in den drei Jahren Freunde geworden. Ihr unterschiedlicher Rang trennte sie nur bei so offiziellen Anlassen wie jetzt beim Besuch des Flaggschiffs.
Tyacke sah Simcox an, verga? seine Entstellung fur einen Augenblick und sagte:»Das war seit einem Jahr das erste Mal, da? ich wieder den Degen angelegt habe, Ben.»
Simcox nickte und erinnerte sich daran, wie er einmal nachts in der Kammer neben der des Kommandanten erwacht war. Tyacke hatte im Traum laut auf ein Madchen eingeredet, das versprochen hatte, auf ihn zu warten. Das Gestammel war herzzerrei?end gewesen. Simcox hatte Tyacke an der Schulter geruttelt, damit nicht das ganze Schiff mithorte. Eine Erklarung war nicht notig. Tyacke hatte eine Flasche Brandy geholt, die bis zur Morgendammerung leer gewesen war. Tyacke hatte dem Madchen, das er seit seiner Jugend kannte, keine Vorwurfe gemacht. Niemand wurde sein Gesicht jeden Morgen sehen wollen, sagte er.
Nachdem sich die Miranda auf dem neuen Kurs stabilisiert hatte, rief Simcox durch den Larm seinem Kommandanten zu:»Prima, wie sie lauft!«Er zeigte auf eine Figur, die sich bei der Luke angeleint hatte, Hose und Strumpfe mit Erbrochenem bekleckert:»Dem allerdings geht's nicht so gut!»
Es war Midshipman Roger Segrave, seit Gibraltar auf der Miranda. Sein fruherer Kommandant hatte Tyacke gebeten, ihn zu ubernehmen, damit der Junge auf einem kleineren Schiff mehr praktische Seemannschaft lernte als auf dem Dreidecker und Selbstvertrauen gewann. Es hie?, der Onkel des Midshipman sei
Admiral in Plymouth und bange um den guten Namen der Familie. Roger durfte auf keinen Fall durch das Leutnantsexamen fallen. Tyacke hatte klar gesagt, da? er nichts davon hielt. Der junge Mann storte die eingespielte Bordroutine wie ein unwillkommener Besucher.
Simcox war von der alten Schule. Von einem Tampen oder einer Ohrfeige zur rechten Zeit hielt er mehr als von langen Reden uber Disziplin. Doch verbohrt war er nicht. Also erklarte er dem Midshipman, was ihm bevorstand. Leutnant Tyacke war der einzige Offizier an Bord, und Segrave als Kadett durfte auf diesem kleinen Schoner keine Privilegien erwarten. Hier waren alle eine einzige Besatzung, anders als auf einem ubervollen Linienschiff.
Segrave sank stohnend uber die Luke. Sechzehn Jahre war er alt und fast so hubsch wie ein Madchen; er benahm sich wie ein scheuer Edelknappe, auch der Besatzung gegenuber. Zwar gehorte er nicht zu den verwohnten Monstern, von denen Simcox gehort hatte, aber leider auch nicht zu den jungen Mannern, die alles erfolgreich anpacken konnten. Er gab sich Muhe — ohne Erfolg. Jetzt starrte er in den Himmel, gleichgultig gegenuber dem peitschenden Gischt und seiner beschmutzten Kleidung. Leutnant Tyacke musterte ihn kuhl.»Binden Sie sich los, gehen Sie nach unten und holen Sie uns Rum. Leider kann ich niemand anderen schicken, alle werden hier gebraucht.»
Simcox grinste hinter dem Jungen her, der achzend unter Deck verschwand.»Gehen Sie nicht ein bi?chen hart mit ihm um, James?»
Tyacke zuckte mit den Schultern.»Schadet nichts. In ein oder zwei Jahren la?t er Manner an der Grating auspeitschen, nur weil sie ihn scheel angeschaut haben.»
«Der Wind raumt«, rief Jay, der zweite Gehilfe.
«Geht hoher ran. Setzt die Marssegel und dann ab mit Vollzeug.»
Unter Deck horte man Scherben klirren. Jemand erbrach sich.
«Den kleinen Affen bringe ich noch mal um«, murmelte Tyacke.
«Was halten Sie von Bolitho?«fragte Simcox, um ihn abzulenken.
Der Kommandant hielt sich fest und beugte sich vor, als eine See uber Deck rauschte. In dem schaumenden, gurgelnden Wasser standen seine halbnackten Manner und grinsten einander zu. Niemand von denen wurde uber Bord gehen.
«Ein guter Mann, ganz bestimmt. «Tyacke erinnerte sich an die Hurrarufe, als Bolithos Schiff in die Schlacht eingegriffen hatte.»Ich kannte viele, die unter ihm gedient haben. In Dover gab's noch einen alten Mann, der unter Bolithos Vater kampfte, als der seinen Arm verlor. In Dover war ich zu Hause, und da ist auch dieser Schoner gebaut.»
Simcox musterte das scharfe Profil seines Kommandanten. Ein Madchen, das den Leutnant nur von dieser Seite sah, hatte sich leicht in ihn verlieben konnen.
«Erzahlen Sie dem Admiral von diesem alten Mann?»
Tyacke wischte sich Wasser von Gesicht und Hals.»Wie denn? Er ist doch Admiral!»
Die Miranda jagte unter vollem Tuch durchs Wasser, da? der Schatten ihrer Segel wie eine riesige Flosse uber die Wellen flog. Trotzdem lag sie leicht auf dem Ruder. Sie war als Paketboot in Dover gebaut worden, aber schon nach den ersten Fahrten von der Royal Navy requiriert worden. Siebzehn Jahr spater segelte sie noch immer unter der Kriegsflagge, ein sehr lebendiges Schiff, das hoch an den Wind ging wegen seines einfachen Segelrisses und seines tiefen Kiels. Er verhinderte, da? sie zuviel Abdrift machte wie manche gro?eren Schiffe. Mit ihren vier Vierpfundern und zwei Karronaden war sie als Kurier gebaut, nicht fur Gefechte. Eine einzige Breitseite von einer Fregatte hatte sie in ein Wrack verwandelt.