Nahkampf der Giganten: Flaggkapitan Bolitho bei der Blockade Frankreichs - Kent Alexander (читать книги онлайн регистрации .TXT) 📗
Bolitho las weiter; und mit jeder Zeile begriff er mehr, wuchs seine Verzweiflung. Niemals war wirklich beabsichtigt gewesen, St. Clar langer zu halten als notig, um den Feind von Toulon abzulenken. Pomfret hatte die Kastanien aus dem Feuer holen sollen, weiter nichts. Ware die Invasion von Toulon aus erfolgreich gewesen — nun ja. Aber wie die Dinge lagen, blieb Lord Hood jetzt keine Zeit mehr fur Pomfrets Sorgen — er hatte seine eigenen. Die Order enthielt genaue Anweisungen fur die Zerstorung der Hafeneinrichtungen vor der Raumung; doch Bolitho blieb an dem letzten Teil des Textes hangen — sein Herz erstarrte bei dem eiskalten Satz:»In Anbetracht des beschrankten Schiffsraums und der Nahe der feindlichen Streitkrafte ist keinerlei Evakuierung von Zivilisten moglich.»
Bolitho starrte auf die sauberliche Schrift, bis sie vor seinen Augen zu tanzen begann. So mu?te Pomfret hier gesessen und den Befehl gelesen haben. In Zukunft wurde er der Mann sein, der die konigstreuen Burger von St. Clar ihrem Schicksal uberlassen hatte, einer morderischen Vergeltung, zu schrecklich, um sie sich auszudenken. Wieder wandte sich Bolitho um und blickte in des Admi-rals Gesicht.»Und er hatte keine Schuld«, sagte er laut.»Herrgott im Himmel, es war von Anfang an nur eine Finte und hatte uberhaupt nichts zu bedeuten!«Mit einem Fluch knullte er das Papier zusammen und schleuderte es durch den Raum.
Er erinnerte sich an Herricks Erstaunen, als Pomfret damals das Glas Wein abgelehnt hatte. Auch damit war es jetzt vorbei. In immer schrecklicherer Deutlichkeit sah er, wie unheilbar Pomfret ruiniert war.
Wahrend dieser ganzen Zeit, als Menschen starben und Familien von den Trummern ihrer Hauser zerschmettert wurden, hatten zwei Manner tatenlos zugesehen und sich geweigert zu handeln: Unten im Erdgescho? hatte Dash auf einen Befehl gewartet, der ihm die Verantwortung abnahm; und was Cobban getan hatte, wu?te Gott allein — vielleicht lebte er auch gar nicht mehr.
Beim Aufstehen erblickte sich Bolitho in einem goldgerahmten Spiegel. Seine Augen gluhten, und tiefe Linien der Erschutterung zogen sich um seinen Mund. Er war sich selbst ganz fremd. »Ich habe das Ganze angefangen — nicht er«, murmelte er. Pomfret auf seinem Bett stohnte, Speichel rann ihm uber die Wange. Drau?en stand Fanshawe mu?ig an einem Flurfenster.»Kommen Sie herein!«Der Flaggleutnant fuhr herum, als hatte jemand auf ihn geschossen. Bolitho blickte ihn unbewegt an, und als er sprach, war seine Stimme eiskalt.»Kummern Sie sich um den Admiral und lassen Sie das Zimmer saubermachen!«Nervos blickte Fanshawe zur Tur.»Die Dienerschaft ist geflohen,
Sir.»
Bolitho packte ihn beim Armel.»Dann machen Sie eben selbst sauber. Wenn ich zuruckkomme, ist es in Ordnung! Ich schicke Ihnen meinen Bootsmann, der kann Ihnen helfen, aber sonst kriegt kein Mensch den Admiral so zu sehen, verstanden ?«Heftig schuttelte er den Leutnant am Arm, um seine Worte zu unterstreichen.»Unsere Leute wissen davon nichts. «Er senkte die Stimme.»Und sie sind von uns abhangig, Gott helfe ihnen!»
Ohne ein weiteres Wort ging er die Treppe hinunter. Der Kopf wirbelte ihm; kaum vernahm er das Drohnen der Geschutze rings um die Stadt.
Er trat ins Freie und machte eine Runde um das Haus, damit sich seine Gedanken sammeln konnten. Als er wieder in das getafelte Arbeitszimmer trat, warteten die anderen bereits.
Labouret sa? in einem Sessel, das Kinn war ihm auf die Brust gesunken; aber als Bolitho durch die Tur trat, sprang er auf und ergriff stumm seine beiden Hande.
Bolitho blickte ihn an; nur zu deutlich sah er den Schmerz und die Verzweiflung in den dunklen Augen des Burgermeisters.»Ich wei?, Labouret«, sagte er leise.»Glauben Sie mir, ich verstehe alles.»
Trube nickte Labouret.»Es hatte ein gro?er Sieg werden konnen, m'sieur.«Er senkte die Augen, aber Bolitho hatte schon gesehen, da? ihm die Tranen uber die Wangen liefen.
Hauptmann Ashby grinste:»Es freut mich, da? Sie wieder hier sind, Sir, mehr, als ich sagen kann!»
Bolitho blickte sich im Zimmer um.»Wo ist Colonel Cobban?»
Ein junger Infanterie-Hauptmann sagte rasch:»Er hat mich geschickt, Sir. Er, ah, konnte nicht kommen.»
«Spielt auch keine Rolle«, sagte Bolitho kalt. Der spanische Oberst sa? in demselben Sessel wie damals; seine Uniform war so sauber und gepflegt, als kame er geradewegs von der Parade. Er nickte Bolitho kurz zu und starrte dann wieder auf seine Stiefel.
Muhsam sagte Kapitan Dash:»Ah — wenn Sie anfangen wollen,
Bolitho?»
Bolitho wandte sich den anderen zu. Dash hatte noch nicht offiziell bekanntgegeben, da? er Bolitho die Befehlsgewalt ubertragen hatte.»Viel Zeit bleibt nicht mehr«, sagte er gelassen.»Wir beginnen unverzuglich mit der totalen Raumung. «Sie sahen einander an. Uberrascht? Erleichtert? Schwer zu sagen. Er fuhr fort:»Wir geben ein generelles Signal an das gesamte Geschwader, damit es Boote schickt. Zuerst die Verwundeten — sind es viele?»
«Uber vierhundert, Sir«, meldete ein Infanterist.
«Schon. Sie werden unverzuglich an Bord der Erebus und der Weiland geschafft. Captain Dash regelt den Einsatz unserer Matrosen, die bei der Einschiffung helfen. «Er blickte kurz zu Dash hinuber; halb und halb erwartete er einen Einwand, aber Dash nickte blo? und murmelte:»Wird sofort erledigt.»
Bolitho sah ihm nach, als er hinausging. Mein Gott, dachte er mude, der ist froh, da? er hier weg kann.
Dann verga? er Dash, als Labouret leise fragte:»Was soll ich meinen Leuten sagen, capitaine? Wie kann ich ihnen noch ins Gesicht sehen?«Offenbar wu?te er, was in Pomfrets Order stand, oder er konnte es sich denken.
Bolitho sah ihn an.»Bis Sie festgestellt haben, wie viele Ihrer Mitburger die Stadt mit uns verlassen wollen, werden wir mit der Einschiffung der Verwundeten fertig sein, monsieur.«Er sah, wie die Lippen des Franzosen zitterten, und fuhr rasch fort:»Alle, die wegwollen, fahren mit. Ich kann Ihnen nicht viel versprechen, mein Freund, aber wenigstens werden sie ihres Lebens sicher sein.»
Sekundenlang starrte Labouret ihn an, als wolle er ein Geheimnis entratseln. Dann erwiderte er erstickt:»Das werden wir Ihnen nie vergessen, capitaine! Niemals!«Damit ging er.
Dann fuhr Bolitho fort:»Die Harvester wird bald einlaufen, sie hat die Straflinge an Bord. Auch die mussen auf die beiden Transporter verteilt werden.»
Jetzt fuhr der spanische Oberst aus seinem Sessel auf.»Was reden Sie da? Verwundete und elende Bauern und obendrein noch Straflinge? Was aber wird aus meinen Pferden, capitano? Wie kann ich die auf zwei Schiffen unterbringen?»
Zogernd schlo? sich der Infanteriehauptmann seiner Frage an:
«Und die Geschutze, Sir?»
Bolitho blickte durch die offene Tur. Eben fuhrte ein Seesoldat Allday die Treppe hinauf zu Pomfrets Zimmer.»Die mussen eben hierbleiben, meine Herren«, erwiderte er kuhl.»Zuerst kommen die Menschen. «Sie starrten ihn an, doch er blickte ihnen in die Augen, bis sie wegsahen.»Dieses eine Mal kommen die Menschen zuerst.»
Der Oberst stand auf und ging zur Tur. Heiser sagte er uber die Schulter zuruck:»Ich halte Sie fur einen Narren, capitano. Aber einen tapferen Narren.»
Als drau?en sein Pferd hinweggetrabt war, sagte Bolitho:»Jetzt zeigen Sie mir unsere Infanteriestellungen. Diese Operation mu? absolut glatt und ohne Panik ablaufen, wenn sie klappen soll.»
Eine halbe Stunde spater gingen sie, alle au?er Ashby. Bolitho fuhlte sich vollig ausgelaugt.»Nun, Ashby, haben Sie noch Fragen?»
Ashby zog sich den Uniformrock glatt und ruckte an seinem Koppel. Dann sagte er:»Ich hatte noch keine Zeit, es Ihnen zu sagen, Sir. Aber Miss Seton ist noch hier in St. Clar.»
«Was?«Bolitho starrte ihn entsetzt an.
«Ich habe versucht, sie an Bord der Vanessa zu bringen, Sir«, erklarte Ashby mit unglucklicher Miene.»Aber sie wollte unbedingt bleiben. Sie hilft im Lazarett. «Seine Augen glanzten in dem staubigen Sonnenlicht.»Sie ist ein Beispiel und Vorbild fur alle, Sir.»