Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im ostlichen Mittelmeer - Kent Alexander (читать книги бесплатно полные версии TXT) 📗
Schutznetze uber dem Hauptdeck, die schlafferen vor den Wanten, die Enterer aufhalten sollten. Die Posten an jedem Luk, die Leute des Bootsmanns, deren Aufgabe es war, gebrochene Spieren zu kappen oder die Toten von einer umgesturzten Kanone wegzuraumen.
Bolitho beobachtete, wie Farquhar jede Einzelheit an Bord seines Schiffes auf Fehler oder Schwachstellen uberprufte. Unter ihren Fu?en, unter dem menschenwimmelnden Geschutzdeck, warteten schu?bereit die Zweiunddrei?igpfunder der Zwischendecksbatterie. Unter diesen jedoch standen, im Lichtkreis der Laternen wie Kirchhofsgespenster anzusehen, der Schiffsarzt und seine Helfer neben dem noch leeren Tisch, den blinkenden Messern und Sagen. Bo-litho dachte wieder an Luces todbleiches Gesicht, sein Flehen, seinen wilden Aufschrei. Er sah zu Pascoe hinuber, der an der Leeseite bei den Gro?wanten stand, im Gesprach mit einem Unteroffizier und einem Midshipman. Ob er wohl auch an Luce gedacht hatte?
Achtern, auf der Kampanje, wartete das Gros der MarineInfanteristen in drei Linien bei den Netzen; wenn die Osiris mit der Backbordseite angriff, wurden sie in drei Gliedern feuern, wie Landsoldaten im Karree.
Bolitho versuchte, bekannte Gesichter herauszufinden, aber solche gab es fur ihn kaum. Anonym waren sie, doch vertraut. Typen, doch keine Individuen. Seesoldaten und Matrosen, Leutnants und Midshipmen. Leute wie sie hatte er auf einem Dutzend Schiffen und in ebenso vielen Geschwadern gesehen.
Das silberne Achselstuck eines Leutnants der Marine-Infanterie gluhte plotzlich auf, wie von innen erleuchtet. Bolitho wandte den Kopf nach Steuerbord und sah den Rand der Sonne uber die Kimm steigen; die Strahlen flossen uber das leichtgekrauselte Wasser auf ihn zu wie geschmolzenes Metall.
«Wird ein schoner Tag«, bemerkte Allday.
Leutnant Outhwaite stand am Hauptniedergang. Auch erstarrte in die aufgehende Sonne, und seine Augen glitzerten wie kleine Quarzsteine. Wie sein Kommandant war er tadellos gekleidet; sein Hut sa? genau vorschriftsma?ig, das lange, im Nacken zusammengebundene Haar hing den Rucken hinunter.
Farquhar trug seinen Hut noch nicht; ein Midshipman stand mit Hut und Degen in der Hand neben ihm wie der Garderobier eines Schauspielers vor dessen allerschwierigstem Auftritt. Bolitho konnte erkennen, da? Farquhar tatsachlich die Lippen bewegte. Sprach er mit sich selbst oder probte er eine Rede an seine Manner? Sein wei?blondes Haar hatte er im Nacken mit einem eleganten schwarzen Schleifchen gebunden. Was in den nachsten Stunden auch geschehen wurde — Farquhar war gut angezogen.
Er schien Bolithos forschenden Blick zu spuren und wandte sich zu ihm um.»Eine neue Garnitur, Sir«, erlauterte er mit zogerndem Lacheln.»Ich dachte daran, wie Sie es vor einem wichtigen Gefecht zu halten pflegten — und da Ihre Garderobe nicht verfugbar ist, meinte ich, es ware an mir, das Reprasentieren zu ubernehmen.»
«Sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte Bolitho und blickte wieder auf die gro?er gewordene Landmasse, die beinahe schon den Bugspriet zu beruhren schien.
«Der Feind wird das Feuer erst eroffnen, wenn er ein sicheres Ziel hat. Seine Kanoniere haben die Sonne direkt in den Augen; aber wenn wir erst einmal vor der Ostkuste segeln, wird uns das nicht viel nutzen. Hinter der Bucht liegt, glaube ich, eine kleine Senke. Eine gute Stellung fur weitreichende Artillerie.»
Angestrengt spahte er uber den Bug; da sang jemand aus:»Brecher an Backbord voraus!»
«Das wird das verdammte Riff sein, Sir«, sagte der Master gepre?t.
«Fallen Sie einen Strich ab, Mr. Bevan. Steuern Sie Nordost zu Nord. «Farquhar blickte seinen Ersten Offizier an.»Haben Sie einen guten Lotgasten in den Rusten?»
«Aye, Sir«, bestatigte der mit einem fragenden Ausdruck auf seinem Froschgesicht.»Ich habe ihm selbst noch mal klargemacht, wie wichtig seine Aufgabe ist.»
Zu seiner Uberraschung konnte Bolitho trotz der nagenden Ungewi?heit des Wartens lacheln. Farquhar und Outhwaite pa?ten gut zueinander. Also hatte Farquhar vielleicht doch recht mit seinen Auswahlmethoden.
Jetzt sickerte das Licht uber die kleinen Strande und hob sie hell von den Hugeln und waldigen Buchten ab. Auch die Meeresoberflache wurde klarer; die winzigen wei?en Katzenpfotchen an Steuerbord verschwanden und mischten sich bis zur Kimm mit der kupferrot aufgehenden Sonne.
Vielleicht hat auch der wirkliche Lysander die See hier so gesehen, dachte Bolitho, damals als die Triremen und Galeeren ine i-nanderkrachten und der Himmel von Pfeilen verdunkelt und von Brandern durchzuckt war.
Achtern horte er unvermittelt das Quietschen und Rumpeln ausfahrender Geschutze: Javal machte sich fertig.
«Drei Strich Kursanderung: Kurs genau Nord!«befahl Farquhar knapp.
Er beugte sich uber die Netze, um zu beobachten, wie eine Sandbank, ein Felsen am Heck vorbeiglitt. Kreischend stiegen ein paar Mowen von ihrem kleinen Eiland hoch, blendend wei? gegen das zurucktretende, dunkle Land. Sie umkreisten die Masten, auf Futter hoffend, larmend, gierig. Dicht neben seinem Stander tauchte eine Mowe mit wutendem Geschrei im Sturzflug nieder. Der schlug trager, druben das Land hielt den Wind ab. Bolitho dachte an Pro-byn. Hoffentlich hatte er sein Schiff rechtzeitig in Position gebracht und die Zeit eingerechnet, die ihm durch ungunstigen Wind, durch die tuckische Stromung in der engen Einfahrt verlorengehen konnte. Er zog seine Uhr und konnte das Zifferblatt jetzt bereits ganz deutlich sehen, sogar die feine, schongeschwungene Schrift Mudge and Dutton of London. Er lie? den Deckel zuschnappen und sah, wie Midshipman Breen bei dem scharfen Laut zusammenzuckte.»Gut«, sagte er,»wir sind am Vorland vorbei.»
Outhwaite fuhr herum und hob die Sprechtrompete an den Mund:»Mr. Guthrie, geben Sie durch: Geschutze ausrennen!»
Die Stuckpforten offneten sich quietschend; dann gab es eine kurze Pause. Jetzt sahen die Matrosen im unteren Batteriedeck das Land zum erstenmal. Eine Pfeife schrillte, das ganze Schiff erzitterte: die Osiris fuhr ihre Geschutze aus.
«Gei auf die Fock!»
Farquhar sah zu, wie das machtige Segel gebandigt und aufgegeit wurde. Er schnippte mit den Fingern, und der Midshipman reichte ihm erst den Degen, dann den Hut, den er sich sorgfaltig zurechtruckte. Dann schritt er nach vorn zur Luvlaufbrucke.
Die Fock hatte sich tatsachlich wie ein Vorhang gehoben: die Szenerie war aufgebaut, die Schauspieler standen bereit.
Bolitho zog den Degen und legte ihn vor sich auf die Reling. Glatt und kuhl fuhlte der Stahl sich unter seiner Handflache an.
«Hi?t die Flagge!»
Er horte den Block quietschen und sah den gro?en Schatten der Flagge uber der Laufbrucke und die leichte Bugwelle gleiten.
«Jetzt klar zum Feuern, Jungs; und da? mir jede Kugel trifft!»
Er warf einen raschen Blick auf das nachste Geschutz: so sahen alle Geschutzbedienungen in der ganzen Flotte aus. Ein Matrose, direkt unterhalb des Achterdecks bei einem Sechzehnpfunder stehend, stutzte sich auf seinen Rammstock, das Halstuch um die Ohren gewickelt, damit ihm das Krachen des Schusses nicht die Trommelfelle zerri?. Manner wie dieser waren mit Drake [25] auf seiner Revenge gesegelt und hatten Hurra gerufen, als die Armada [26] >aus dem Kanal getrommelt< wurde. Aber diesmal gab es kein Hurrageschrei, nicht einmal einen einzigen Ruf. Grimmig schauten die Manner durch die offenen Stuckpforten oder standen so dicht beieinander, als wollten sie sich gegenseitig stutzen. Far-quhars Finger schlossen und offneten sich nervos um seinen Degengriff, mit hocherhobenem Haupt starrte er auf die dunstige Kustenlinie, von der das feindliche Feuer kommen wurde.
Auf dem Kamm des nachstgelegenen Hugels blinkte etwas auf, doch nur dieses eine Mal. Eine zerbrochene Flasche, die den ersten Strahl der Morgensonne reflektierte? Oder ein Lichtstrahl auf der Linse eines Teleskops? Bolitho stellte sich vor, wie das Signal uber die Berge an die wartende Artillerie weitergegeben wurde: Die Englander kommen. Wie erwartet und vorausbedacht. Grimmig zog er die Brauen zusammen. Was auch kommen wurde, sie mu?ten die Aufmerksamkeit des Feindes so lange auf sich ziehen, bis Probyn sich von der nordlichen Einfahrt her auf die ankernden Schiffe sturzen konnte. Ein paar schwere Breitseiten in die volle Reede, und ihre Chancen wurden sich betrachtlich bessern.
25
Sir Francis Drake, 1540–1596, englischer Seefahrer und Freibeuter.
26
Flotte Philipps II. 1588 im Armelkanal auseinandergetrieben.