Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im ostlichen Mittelmeer - Kent Alexander (читать книги бесплатно полные версии TXT) 📗
Bolitho selbst kam sich in diesen endlosen Tagen vor, als ginge die Osiris ihn im Grunde gar nichts an. Die Gesichter, die er an Deck sah, waren ihm fremd; die Gesprachsfetzen, die sein Ohr erreichten, bedeuteten ihm nichts. Auch Farquhar kam ihm ganz anders vor. Mehrfach hatte der Kommandant Ausbruche von Jahzorn gehabt, die selbst den toleranten Outhwaite erschreckten; einmal hatte er einen Bootsmannsmaaten angeschnauzt, weil dieser nicht hart genug zugeschlagen hatte, als ein Mann in einer Sturmbo nicht aufentern wollte. Der Bootsmannsmaat hatte erklaren wollen, da? der Betreffende kein richtiger Seemann sei, sondern ein Kufersmaat. Denn bei dem Sturm hatten so viele Matrosen Verletzungen erlitten, da? der Bootsmannsmaat, genau wie die Offiziere, die Leute hernehmen mu?ten, wo er sie kriegen konnte.
«Keine Widerrede!«hatte Farquhar gebrullt.»Sie haben ja schon selbst Leute gepeitscht! Wenn Sie mir noch einmal wiedersprechen, dann werden Sie selbst spuren, wie das tut!»
Und der Mann wurde mit Schlagen hinaufgetrieben, rutschte vom Fu?pferd ab und fiel uber Bord, ohne da? man auch nur einen Schrei horte.
Wie mochte wohl Herrick diesen Sturm abwettern, und wo mochte er in diesen schrecklichen Tagen sein? fragte sich Bolitho immer wieder.
Farquhar jedoch meinte:»Wenn dieses Mistwetter nicht ware, hatte ich die Lysander schon langst eingeholt!»
Bolitho hielt das fur leeres Gerede.»Glaube ich kaum«, hatte er erwidert.»Die Lysander ist das schnellere Schiff. Und sie wird gut gefuhrt.»
Das mochte Farquhar gegenuber unfair sein; doch dem war Herricks Schicksal anscheinend so gleichgultig, da? Bolitho sich alle
Muhe geben mu?te, um nicht noch ofter solche bissigen Bemerkungen zu machen. Wie die vorwurfsvolle Stimme des Gewissens vernahm er in seinem Innern immer wieder die Worte: Es war deine Entscheidung. Du hast Herrick zu hart angefa?t. Du warst zu ungeduldig. Es ist deine Schuld.
Und dann, eine Woche nach Syrakus, flaute der Sturm ab und drehte auf Nordwest; doch als der Himmel wieder klar und die See tiefblau war, wu?te Bolitho, da? es tagelanges muhsames Kreuzen kosten wurde, die Distanz wieder aufzuholen, die sie wahrend des Sturmes eingebu?t hatten.
Jedesmal, wenn er an Deck war, fiel ihm auf, da? die Offiziere der Wache ihm auswichen und sorgfaltig vermieden, ihm bei seinen einsamen Gangen auf der Kampanje naher zu kommen. Seine selbstgewahlte Einsamkeit gab ihm Zeit zum Nachdenken; aber ohne neue Informationen war das, als pfluge man altes Land um, weil man nichts zu saen hatte.
Am Vormittag des neunten Tages studierte er in seiner Kajute die Karte und trank einen Krug Ingwerbier dazu — Farquhar hatte sich davon einen guten Vorrat zum eigenen Verbrauch mitgenommen.
Farquhar wurde sich ins Faustchen lachen, wenn in Korfu schlie?lich doch nichts zu Tage kam, was Bolithos Theorien bestatigte! Naturlich wurde er sich nichts anmerken lassen, aber innerlich wurde er lachen. Denn dann hatte er nicht nur korrekt gehandelt, sondern auch bewiesen, da? er einen weit besseren Kommodore abgeben wurde als Bolitho.
Sir Charles Farquhar. Komisch, da? ihn der neue Titel dieses Mannes so irritierte. Er wurde vielleicht schon so wie Herrick. Nein, es sa? tiefer. Es war, weil Farquhar sich den Titel nicht verdient hatte; jetzt, da er ihn besa?, konnte ihm nichts mehr entgehen. Man brauchte nur in die Rangliste der Marine zu schauen, dann wu?te man, wo die Beforde rungen hinfielen. Bolitho dachte an Pascoes Worte und mu?te lacheln. Die >Nelsons< dieser Welt holten sich ihren Titel auf dem Schlachtfeld oder angesichts einer feindlichen Breitseite. Die mehr Gluck hatten und an Land sa?en, bewunderten zwar ihren gefahrvollen Aufstieg, hatten sich aber kaum ernstlich an ihre Stelle gewunscht.
Ruhelos wanderte Bolitho in der Kajute umher. Uber sich horte er die Matrosen an und uber Deck arbeiten. Splei?en, nahen, kalfatern — nach einem Sturm war das doppelt so wichtig wie sonst. Er mu?te wieder lacheln. Die mehr Gluck hatten und an Land sa?en. Im tiefsten Herzen wu?te er: mit allen Mitteln hatte er sich gegen einen Posten in der Admiralitat oder in einem Marinehafen gestraubt.
Er trat zur Karte und studierte sie aufs neue: Korfu. Eine lange, spindelformige Insel, die aussah, als wolle sie sich in die Buchten und Vorsprunge der griechischen Kuste fugen. Eine enge Zufahrt von Suden, etwa zehn Meilen breit — knapper Seeraum fur ein Vollschiff. Im Norden waren es noch weniger. Hatten die Franzosen tatsachlich Artillerie auf der Steilkuste plaziert, so war ein Passieren der reine Selbstmord. Zwischen der Insel und dem Festland lag zwar eine Art Binnensee — zehn Meilen breit, zwanzig Meilen lang — , aber das wirkliche Risiko waren die beiden engen Durchfahrten im Norden und im Suden. Au?erdem lag der einzige gute Ankerplatz an der Ostkuste; also war keine wie immer geartete Uberraschungsaktion moglich. Das mu?te Herrick ebenfalls wissen. Er war dickkopfig und zu allem entschlossen, aber kein Dummkopf und war auch nie einer gewesen.
Bolitho mu?te plotzlich an die junge Witwe denken, Mrs. Bos-well. Seltsam — nie hatte er sich Herrick als Ehemann vorstellen konnen. Aber sie war genau die Richtige fur ihn. Sie wurde bestimmt nicht tatenlos dabeistehen, wenn andere seine Gutmutigkeit ausnutzten. Sie hatte es nie geduldet, da? er vor den Aufgaben eines Flaggkapitans kapitulierte.
Er richtete sich auf und wunderte sich, da? er jetzt an solche Dinge denken konnte. Er verfugte nur uber zwei Schiffe, und vielleicht fand er die Lysander uberhaupt nicht. Aber was auch geschehen mochte — er war im Begriff, in die Verteidigung des Feindes einzudringen, und das in einem Seegebiet, das ihm fast unbekannt war, abgesehen von dem, was er aus Seekarten und Navigationshandbuchern entnehmen konnte.
Es klopfte, und der Posten meldete:»Midshipman der Wache, Sir!«Der rothaarige Breen trat ein.
«Nun, Mr. Breen?«fragte Bolitho freundlich. Seit der Rettung durch die Harebell hatte er noch nicht wieder mit ihm gesprochen.
«Kommandant la?t mit allem Respekt melden, Sir, da? der Ausguck ein Segel in Nordwest gesichtet hat. Ist aber noch nicht zu identifizieren.»
«Aha.»
Bolitho blickte auf die Karte. Selbst unter Berucksichtigung der Abdrift durch den Sturm konnte ihre Position nicht allzusehr von der Berechnung abweichen. Der Bug der Osiris zeigte ungefahr nach Nordost, und bei etwas Gluck wurden sie die hochste Bergkette an der Sudspitze von Korfu noch vor Einbruch der Dunkelheit in Sicht bekommen. Die Buzzard war vor dem Sturm davongesegelt. Javal wurde sich also beeilen, wieder zum Geschwader zu sto?en, und konnte sogar schon an diesem Tag auftauchen; er mu?te jedoch von Suden kommen, nicht von Nordwesten wie dieses unbekannte
Schiff.
«Wie gefallt es Ihnen im Midshipmanslogis der Osiris?«fragte Bolitho.
Der Junge sah an ihm vorbei auf den hohen Umri? der Nicator, die achtern etwa drei Kabellangen entfernt segelte.»N… nicht besonders, Sir. Man behandelt mich ja soweit ganz anstandig, aber.»
Bolitho nickte nachdenklich. Ebenso wie die Leutnants kamen auch die meisten Midshipmen der Osiris aus guten Familien. Es war deutlich zu merken, da? sich Farquhar Offiziere wie Kadetten sehr sorgfaltig ausgesucht hatte. Da? ein Kommandant den Sohn eines alten Freundes als Midshipman einstellte oder jemandem aus anderen Grunden einen Gefallen tun wollte, war durchaus ublich. Farquhar hatte anscheinend fur sein Schiff von diesem Gewohnheitsrecht ausgiebig Gebrauch gemacht.
Breen schien sich verpflichtet zu fuhlen, noch etwas zu sagen.»Ich denke dauernd an diesen Matrosen, Larssen. Aber ich bin schon wieder in Ordnung, Sir. Tut. tut mir leid, da? ich mich damals so angestellt habe.»
«Das braucht Ihnen nicht leid zu tun. Ein Degen mu? sich biegen konnen. Wenn er zu starr ist, bricht er gerade dann, wenn man ihn am notigsten braucht.»