Der Piratenfurst: Fregattenkapitan Bolitho in der Java-See - Kent Alexander (прочитать книгу .TXT) 📗
Bolitho warf einen raschen Blick auf Conways maskenstarres Gesicht. War er der Mann, so etwas in Angriff zu nehmen?
Berufssoldaten sahen selten etwas anderes als die Taktik der unmittelbaren Situation. Und wenn ein solcher Mann noch dazu durch eigene Fehler verbittert und verzweifelt war, so wurde er um so weniger zu Kompromissen bereit sein.
«Da kommen Leute aus den Palisaden, Sir!»
Bolitho hob sein Teleskop aufs neue. Zu zweit und dritt kamen sie; einige trugen Musketen, andere hinkten waffenlos uber den Sand auf die lange, noch unfertige Pier aus Baumstammen und Steinen. Manche waren so dunkelhautig, da? man sie fur Eingeborene halten konnte; aber ihre Uniformen waren ohne Zweifel spanisch.
Keiner winkte. Sie standen oder sa?en stumpf da und beobachteten das langsame Einlaufen der Fregatte.
«Mein Gott!«murmelte Herrick.»Die sehen ja aus wie Vogelscheuchen.»
«Was haben Sie denn erwartet, Mr. Herrick, Sir?«Ungesehen und ungehort war der Schiffsarzt aufs Achterdeck gekommen. Sein Gesicht und sein Hals sahen wie rohes Fleisch aus.
Mit unbewegter Miene musterte Bolitho ihn.»Sie haben sich inzwischen erholt, Mr. Whitmarsh?»
Der starre Blick des Arztes wanderte zum Kapitan hinuber. Seine Augen waren rotgerandert und schienen in ihren Hohlen zu brennen. Undeutlich murmelte er:»Wir sind am Ziel, wie ich sehe, Sir. «Er tastete nach einem Halt, fand keinen und fiel beinahe lang hin.»Immer geht's nach dem gleichen Muster«, murmelte er.»Erst kommen wir als Schutzmacht, wenn notwendig mit Kriegsschiffen und Soldaten, damit's auch ein richtiges Protektorat wird. Und wenn alles gesichert ist, dann kommen die Kaufleute, und von da an regiert die Flagge der Handelskompanie.»
«Und was weiter?«fragte Bolitho kalt.
Whitmarsh richtete seinen leeren Blick auf ihn.»Dann wird der Landstrich eine Kolonie. Und wenn wir ihn ausgesogen haben wie eine Auster, dann — hick — schmei?en wir die Schale weg.»
Erst jetzt schien Conway zu horen, was er sagte.»Scheren Sie sich unter Deck, Sie versoffener Kerl!«Verzweiflung arbeitete in seinem Gesicht; er mu?te sich durch diesen Wutausbruch entlasten.»Oder es wird Ihnen leid tun, beim Himmel!»
Der Arzt brachte eine wacklige Verbeugung zustande.»Aber es tut mir schon jetzt leid, glauben Sie mir! Sie tun mir leid, da? Sie hier eine so elende Aufgabe ubernehmen mussen. «Schwankend wendete er sich Bolitho zu.»Und der gute Captain hier tut mir leid, der schlie?lich zwischen Gerechtigkeit und Tyrannei seinen Kopf hinhalten mu?. Und vielleicht am meisten tut mir…«Er taumelte, brach zusammen und blieb unbeweglich liegen wie ein Bundel Lumpen.
«Acht Faden Tiefe!»
Die Meldung des Lotgasten brachte Bolitho in die Wirklichkeit zuruck.»Schafft ihn in seine Koje!«befahl er kurz. Einige Matrosen schleppten den leblosen Arzt zum Niedergang, und Bolitho bekam den sauren Gestank von vergossenem Wein und Erbrochenem in die Nase. Da verfaulte ein guter Mann.
Conway starrte immer noch auf die Decksplanken.»Noch eine Sekunde, und ich hatte ihn in Eisen legen lassen. «Er warf Bolitho einen wutenden Blick zu.»Nun?»
«Es war schon etwas an dem, was er sagte, Sir. Was ein Nuchterner nur denkt, spricht ein Betrunkener oft genug aus.»
«Wir sind nahe genug, Sir, glaube ich«, rief Herrick dazwischen.
Bolitho eilte zum Achterdeck, froh, Conways dusterer Stimmung zu entrinnen. Jetzt konnte er die Kustenlinie studieren, die der kleinen Landzunge an Backbord und die der gro?eren ostlichen an Steuerbord. Beide reichten weit ins Meer hinaus und hatten in der Fruhsonne bereits einen zartgrunen Schimmer.
«Signalisieren Sie der Rosalind, was wir vorhaben, und dann ankern Sie bitte. «Er wartete, bis die Ankermannschaft uber dem Kranbalken bereitstand, dann fugte er hinzu:»Sagen Sie Mr. Davy, er soll unsere Leute zusammenhalten, wenn wir an Land gehen. Ich will keine Seuche an Bord.»
«Glauben Sie, da? es hier Fieber gibt, Sir?«Sekundenlang glomm Angst in Herricks Augen auf. Wie die meisten Seeleute konnte er Blut und Breitseiten verkraften, auch die harte Disziplin, die seinen Alltag beherrschte. Aber das Unbekannte, die Schrecken der Seuchen, die ein ganzes Schiff dienstunfahig machen, es in ein schwimmendes Grab verwandeln konnten — das war etwas anderes.
«Wir werden es bald merken.»
«Die Rosalind hat unser Signal bestatigt, Sir.»
Keen schien so munter und sorglos wie immer zu sein. Sogar Armitage blickte beinahe erwartungsvoll zum Land hinuber.
«Ruder legen!»
«An die Leebrassen!»
Das Ruder schwang herum, und Bolitho schritt auf Conways Seite hinuber, um dem Gerenne der Matrosen auf dem Achterdeck aus dem Wege zu gehen; langsam drehte die Fregatte in den Wind.
«Wollen Sie auf Don Puigserver warten, Sir?»
Conway blickte ihn an; an seinem Hals zuckte ein Nerv, als der Anker mit einer machtigen Schaumkaskade ins Wasser platschte.
«Mu? ich ja wohl. «Er spahte zur Brigg hinuber, die schon an ihrer Ankertrosse schwojte.»Ich wunsche, da? Sie mich begleiten.»
«Es ist mir eine Ehre, Sir.»
«So, finden Sie?«Conway nahm den goldbetre?ten Hut ab und fuhr sich mit der Handflache uber das graue Haar.»Wir werden ja sehen«, sagte er mit bitterem Lacheln.
Noddall kam mit Bolithos Degen an Deck, zog sich aber sehr schnell zuruck, als Allday ihn wutend anknurrte:»He — gib mir das!«Er eilte zu Bolitho und schnallte ihm den Degen sorgfaltig um.»Was der sich einbildet!«murmelte er dabei. Dann richtete er sich auf und starrte die Boote an, die hochgehievt und ausgeschwungen wurden.
«Da haben wir eine lange Reise hinter uns gebracht, Captain. «Er wandte sich halb um und beobachtete, wie auch die Boote der Brigg abgefiert wurden.»Das ist kein guter Ort, finde ich.»
Aber Bolitho horte nicht hin. Er sah zu, wie die Seesoldaten in die dumpelnden Boote kletterten, mit ihren roten Rocken, den standig ausrutschenden Stiefeln und, wie immer, mit machtigem Waffengeklirr. Hauptmann Bellairs inspizierte jeden einzelnen und ganz besonders den jungen Corporal, der die verhullte Flagge Englands trug, die bald uber dem fremden Boden wehen sollte.
Wie viele Marineoffiziere hatte sich auch Bolitho oft die Inbesitznahme neuer Gebiete im Geist ausgemalt; aber dann war das Zeremoniell gro?artiger und glanzender gewesen: endlose Reihen von Soldaten, dazu Militarkapellen, eine hurraschreiende Volksmenge, und der ebenso prachtvolle wie machtige Anblick der drau?en vor Anker liegenden Kriegsschiffe. Jetzt sah er das ganz anders. Aber es war schlie?lich nur ein Anfang. Klein, doch darum nicht weniger beeindruckend.
«Na, dann wollen wir mal«, sagte Conway.»Wie ich sehe, ist der Don schon unterwegs.»
Tatsachlich ruderten die Boote der Brigg bereits auf die Kuste zu; das eine trug die spanische Flagge, das andere die der East India Company. Erleichtert stellte Bolitho fest, da? Viola Raymond an Bord geblieben war.
Conway kletterte hinter Bolitho in die Gig; die anderen Boote, bis zum letzten Platz voll schwerbewaffneter Seesoldaten, folgten in Facherformation; so bewegte sich die Flottille auf die nachste Bucht zu.
Lange bevor sie in Rufweite der am Ufer hinter der Brandungslinie stehenden Leute waren, konnte Bolitho den Urwald riechen, wie Weihrauch, verwirrend und uberwaltigend. Er fa?te den Degengriff fester und versuchte, sich zusammenzunehmen. Das war ein Moment, den er nie vergessen durfte. Er warf einen raschen Blick auf Conway, aber der schien vollig unbeteiligt zu sein; ernst, fast melancholisch, irgendwie abwesend sah er aus.
Der neue Gouverneur von Teluk Pendang war eingetroffen.
Leutnant Thomas Herrick ging ein paar Schritte quer uber das Achterdeck. Nervos beobachtete er Bellairs' Seesoldaten und einige Matrosen unter den nachstgelegenen Palisaden. Es war kurz nach zwolf Uhr mittags, und die Sonne brannte mit voller Wucht auf die vor Anker liegenden Schiffe herab. Wer von den Matrosen nichts zu tun hatte, suchte Schatten unter den Decksgangen. Aber Herrick traute sich nicht, das Deck zu verlassen, obwohl ihm der Kopf bereits schwamm und ihm das Hemd am Leibe klebte wie ein nasser Fetzen.