Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos - Kent Alexander (книги бесплатно без регистрации TXT) 📗
Murray lag mit geschlossenen Augen da, als ware er bereits tot. Obwohl er auf der westindischen Station zwei Jahre gedient und eine Haut wie Leder hatte, war sein Gesicht jetzt kreidewei?. Der Chirurg der Hyperion, George Minchin, weniger zynisch als die meisten seiner Kollegen, hatte geau?ert:»Ein Wunder, da? er bisher uberlebte. Sein rechter Arm war fort, als sie ihn auffischten, und ich mu?te ihm noch ein Bein abnehmen. Er hat eine kleine Chance, aber…»
Das war tags zuvor gewesen. Doch Bolitho hatte genugend vom Tode gezeichnete Gesichter gesehen, um zu erkennen, da? es jetzt mit Murray zu Ende ging.
Minchin raumte seinen Stuhl und trat ans Fenster. Durch ein anderes schaute Jenour aufs Meer. Vielleicht hatte auch Murray es bis zuletzt angestarrt, wie einen Ausblick auf das Leben selbst. Bolitho nahm Platz.
Er entsann sich an den Vornamen des jungen Commanders.»Ruhen Sie sich aus, James. Ich bin hier.»
Murray jedoch strengte sich an, um noch einmal die Augen zu offnen.»Es war die Balkensperre, Sir. «Er schlo? sie wieder.»Sie ri? der armen Vesta fast den Kiel heraus. «Er versuchte zu lacheln, was gespenstisch aussah.»Sie haben sie aber nicht gekriegt — die nicht…»
Bolitho nahm Murrays verbliebene Hand.»Ich werde dafur sorgen, da? man sich um Ihre Angehorigen kummert. Wen haben Sie zu versorgen?«Seine Worte kamen ihm so leer vor, da? er hatte weinen mogen.
Murray strengte sich noch einmal an, aber seine Augen glichen nur noch flimmernden Schlitzen.»Ich — ich. «Das Bewu?tsein verlie? ihn langsam.»Meine Mutter — sonst niemand. «Seine Stimme wurde nahezu unverstandlich.
Wie eine verloschende Kerze, dachte Bolitho. Jenour schluckte schwer, als musse er sich ubergeben. Drau?en vor der Tur regte sich Allday. Mit bemerkenswert klarer Stimme meldete sich Murray noch einmal.»Jetzt ist es dunkel, Sir. Da kann ich schlafen. «Seine Faust verkrampfte sich zwischen Bolithos Handen.»Danke fur. «Und dann verstummte er endgultig.
Bolitho erhob sich langsam.»Ja, schlaf jetzt, mein Junge. «Er zog das Laken uber das Gesicht des Toten und starrte so lange in das Sonnenlicht, bis es ihn blendete. Dunkel fur immer.
Er ging zur Terrassentur. Jenour wollte etwas Trostliches sagen, doch Bolitho drehte sich nicht um.»La?t mich allein, bitte!»
Die steinerne Balustrade, auf die er beide Hande stutzte, war hei? wie die Sonne auf seinem Gesicht. Er hob den Kopf und starrte erneut in die blendende Helligkeit. Er sah sich wieder als kleinen Jungen vor dem in Stein gemei?elten Familienwappen uber dem gro?en Kamin in Falmouth stehen. Dann war sein Vater hinzugekommen und hatte ihn auf den Arm genommen. Die Worte unter dem Wappen, die er ihm vorlas, hatten sich ihm fur immer eingepragt: pro libertate patria — fur die Freiheit des Vaterlandes. Dafur waren junge Manner wie Murray, Dunstan und Jenour bereit zu sterben. Dabei hatten sie noch nicht einmal richtig zu leben begonnen.
Er ballte die Fauste, bis sie schmerzten. Als er zu seiner Linken Schritte horte, drehte er sich rasch um. Er hatte so lange in die Sonne geblickt, da? er nur einen undeutlichen Schatten zu erkennen vermochte.»Wer ist da? Was wunschen Sie?«fragte er scharf und argerlich ob seiner Hilflosigkeit.
Die Frau sagte:»Ich wollte zu dir. «Sie blieb auf der obersten Stufe der gro?en Steintreppe ganz still stehen.»Ich horte von meinem Mann, was geschah. «Nach einer Pause, die Bolitho endlos vorkam, setzte sie hinzu:»Geht es dir gut?»
Er blickte zu Boden und sah die Fliesen Kontur gewinnen. Der Schmerz und der Schleier in seinem Auge lie?en langsam nach.
«Ja. Einer meiner Offiziere ist gestorben«, sagte er heiser.
Sie hielt sich noch immer von ihm fern, als ob sie ihn furchte.»Ich wei?. Es tut mir ja so leid.»
Bolitho sah sich um wie nach einem Fluchtweg. Dann aber ging es mit ihm durch.»Wie konntest du ausgerechnet diesen Mann heiraten! Ich habe schon manchen gefuhllosen Bastard in meinem Leben gesehen, aber. «Er rang um Fassung. Sie hatte wieder seinen wunden Punkt getroffen. Gleichsam nackt und blo?, konnte er sich weder verteidigen noch erklaren.
Sie antwortete nicht direkt.»Hat er auch nach dem zweiten Schatzschiff gefragt?»
Bolitho fuhlte, da? ihn der Kampfgeist verlie?. Auch er hatte beinahe erwartet, da? Somervell ihn danach fragen wurde. Zum Gluck fur sie beide hatte er sich aber zuruckgehalten. So erwiderte er nur:»Entschuldige, das war unverzeihlich. Ich habe kein Recht, in dieser Sache deine oder seine Motive zu erforschen.»
Sie betrachtete ihn nachdenklich, wahrend sie mit einer Hand die Spitzenmantilla auf ihrem dunklen Haar festhielt, als ein hei?er Windsto? uber die Terrasse fegte. Dann trat sie naher und sah ihm ins Gesicht.»Du siehst erschopft aus, Richard.»
Endlich wagte er, sie anzusehen. Sie trug ein seegrunes Kleid, aber sein Herz sank, als er ihre feingeschnittenen Gesichtszuge und ihre erregenden Augen nur verschwommen erkannte. Er mu?te verruckt gewesen sein, so lange in die grelle Sonne zu starren. Der Londoner Arzt hatte ihn gewarnt, es war das Schlimmste, was er tun konnte.
Er erwiderte:»Ich habe sehr viel an dich gedacht. Mehr als ich durfte, weniger als du verdienst.»
Sie spannte ihren Facher auf und bewegte ihn im Wind wie den Flugel eines Vogels.»Ich reise bald ab. Vielleicht hatten wir uns besser nicht wiedergesehen. Wir mussen beide versuchen.»
Er griff nach ihrem Handgelenk, ungeachtet eines moglichen Zuschauers, aus Angst, auch sie noch zu verlieren, nachdem er schon so vieles verloren hatte.
«Ich kann nicht! Es ist die Holle, die Frau eines anderen zu lieben. Aber bei Gott, so steht es um mich!»
Sie zog sich nicht zuruck, versteifte nur ihr Handgelenk in seinem Griff.
«Du sprichst von Holle? Du wei?t ja nicht, was das hei?t! Das wei? nur eine Frau, die einen verheirateten Mann liebt. «Sie lie? alle Vorsicht fallen.»Ich sagte dir einmal, da? ich fur dich hatte sterben mogen. Jetzt scheinst du zu denken, da? du einfach wieder zuruckkommen kannst, nachdem dein Leben offenbar ruiniert ist. Wei?t du denn nicht, was du mir damit antust, verdammt noch mal? Ja, ich habe Lacey geheiratet, weil wir einander brauchten, aber aus Grunden, die du nie verstehen wirst. Ich kann kein Kind bekommen, und auch das hast du damals gewu?t. Dagegen hat dir deine Frau eine Tochter geschenkt. Also, fur wen ist es die Holle — fur wen?»
Sie ri? sich los. Ihre Augen blitzten, und unter der Mantilla fielen lockere Haarstrahnen hervor.
«Ich werde dich nie vergessen, Richard, Gott steh mir bei. Aber ich bete darum, da? wir uns nie wieder begegnen, damit wir nicht auch noch jenen Augenblick des Glucks zerstoren, der mir so teuer ist.»
Sie drehte sich um und rannte davon. Bolitho betrat das Gebaude und nahm seinen Hut von einem Lakai entgegen. Er sah, da? Parris auf ihn zukam, und ware stillschweigend vorbeigegangen, hatte der Leutnant nicht gegru?t und ihn angesprochen.»Wir haben die letzten Schatzkisten verladen, Sir
Richard. Noch kann ich kaum glauben, was wir durchgemacht haben, um sie zu kriegen.»
«Ich werde Ihre Leistungen in meinem Bericht an Ihre Lordschaften erwahnen«, entgegnete Bolitho zerstreut. Es horte sich hohl an, aber seine Gedanken waren anderswo. Er mu?te an Murrays Mutter und Dalmains Witwe schreiben und die Formalitaten erledigen, damit das Prisengeld an die Hinterbliebenen aller Gefallenen ausgezahlt wurde. Seine Depesche konnte ihnen dazu verhelfen.
Parris betrachtete ihn irritiert.»Ich sagte das nicht, um gelobt zu werden, Sir Richard. Ist etwas nicht in Ordnung?»
Bolitho schuttelte den Kopf und fuhlte noch ihr Handgelenk zwischen seinen Fingern. War er enttauscht? Aber was, in Teufels Namen, hatte er eigentlich erwartet?
Er ging weiter. Als sein Bootssteurer mit gro?en Schritten aufkreuzte, mahnte ihn Parris:»Sir Richard wird das Boot haben wollen, Allday.»
Aber der verneinte.»Er wird jetzt ein Stuck zu Fu? gehen. Erst wenn er mit sich im reinen ist, wird er nach dem Boot fragen.»