Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander (читать книги полностью без сокращений бесплатно txt) 📗
Moffitt sah Sparkes kurzes Nicken und meinte beilaufig:»Einer ist genug. Die sehen ja aus, als konnten sie ein ganzes Arsenal an Bord nehmen.»
Haskett nickte.»Stimmt, aber wir haben noch mehr vor, weiter sudlich in Richtung der Chesapeake Bay. Unsere Leute haben dort vor einer Woche eine bewaffnete Brigantine geschnappt, sie sitzt auf Grund, ist aber voller Gewehre und Munition. Einer der Kutter soll ihre Ladung ubernehmen, es ist genug, um eine ganze Armee damit zu bewaffnen!»
Bolitho wandte sich ab, denn es fiel ihm schwer, weiterhin Spar-kes Gesicht zu sehen. Er konnte dessen Gedanken lesen, sich dessen Angriffsplan ausmalen. Da die Korvette zu weit weg war, um helfend einzugreifen, wurde er den Ruhm fur sich allein beanspruchen.
Die nachsten Augenblicke waren die schlimmsten, an die Bolitho sich erinnern konnte: das langsame Heranmanovrieren der beiden schweren Kutter mit ihrer seltsamen Tarnung und ihren langen Galeerenriemen. Es mu?ten wohl drei?ig bis vierzig Leute an Bord sein, schatzte er, einige sicherlich Seeleute, der Rest vielleicht ortliche Miliz oder einer von Washingtons Spahtrupps.
Der Wimpel an der Mastspitze der Faithful hing na? und lustlos herab, und Bolitho sah den ersten der beiden Kutter jetzt mit der Stromung ins offene Wasser triften — nur noch Minuten, und es war zu spat fur ihn, Segel zu setzen und freizukommen.
Moffitt befahl:»Aufpassen da vorn, nehmt die Leinen wahr!«Wenn er nervos war, so zeigte er es zumindest nicht.
Ein Seemann rief zuruck: «Aye, aye, Sir!»
Bolitho erstarrte, obwohl es schlie?lich zu erwarten gewesen war, da? irgendeiner fruher oder spater aus der Rolle fiel. Die schneidige Antwort auf Moffitts Anweisung war nicht der Ton eines Deserteurs oder eines nur notdurftig ausgebildeten Handelsschiffsmatrosen gewesen.
Haskett fuhr fluchend herum:»Ihr dreckigen Halunken!»
Der Knall einer Pistole lie? sie alle zusammenfahren; Rufe aus dem langsseits liegenden Dory mischten sich mit dem schrillen Geschrei der aufgeschreckten Seevogel, aber Bolitho starrte nur wie gebannt auf den grauhaarigen Haskett, der zur Reling taumelte, blutigen Schaum vorm Mund, wahrend er seine Hande wie rote Krallen auf den Magen pre?te.
Sparke senkte die Pistole und befahl:»Drehbassen, Feuer!»
Wahrend die vier Schwenkgeschutze bellten und das Deck des vorderen Kutters mit heulendem Kartatschenfeuer uberschutteten, rissen Rowhursts Leute die Persenning vom Neunpfunder und wuchteten ihn mit Taljen und Handspaken zur Bordwand.
Ein paar Schu? kamen vom Kutter zuruck, aber der unerwartete Angriff hatte die von Sparke beabsichtigte Wirkung gebracht. Der Kartatschenhagel war zwischen die Ruderer gefahren und hatte sie niedergemaht, der bis dahin gleichma?ige Schlag der Riemen endete in einem furchterlichen Chaos. Der Kutter, durchlochert wie ein Sieb, trieb quer, wahrend Rowhursts andere Manner bereits mit brennenden Lunten bei den Sechspfundern warteten, die, vorher sorgfaltig mit Kartatschen geladen, ebenfalls klar zum Feuern waren.
«Feuer frei!«Bolitho zog seinen Degen und trat mitten zwischen seine Leute, als diese aus ihrer Erstarrung erwachten. Er zwang sich zur Ruhe. Eine Kugel pfiff ihm am Kopf vorbei, ein Seemann sturzte schreiend und zuckend neben dem toten Elias Haskett zu Boden.
Sparke lie? sich seine nachgeladene Pistole reichen und bemerkte wie abwesend:»Ich hoffe, Rowhursts Schie?kunste sind so gut wie seine Zoten.»
Selbst der sonst so sture Rowhurst schien aus seiner Lethargie erwacht zu sein. Er sprang um den Neunpfunder herum und beobachtete zugleich, wie der zweite Kutter Gro?segel und Kluver setzte. Die langen Riemen waren fallen gelassen worden und trieben mit dem Tarnmaterial in der Stromung, als der Wind jetzt die Segel blahte.
Rowhurst fluchte, weil einer seiner Leute mit einer Stirnwunde zur Seite rollte. Er schrie:»Fertig, Sir!«Dann wartete er, bis die Faithful an ihrer Kette zuruckschwoite, und hielt die Lunte an des Neunpfunders Verschlu?stuck.
Doppelt geladen, den Rest des Rohres bis zur Mundung mit Blei-und Eisenschrott gefullt, fuhr das Geschutz auf seiner Behelfslafette zuruck wie ein wutendes Tier, dann krachte die Detonation uber die See, der aufsteigende Rauch verstarkte noch die Schreckensszene. Der Mast des Kutters sturzte, ein Gewirr von Takelage und zerfetzten Segeln mit sich rei?end.
«Nachladen! Feuer!»
Der Schock nach Sparkes Pistolenschu? war bei allen wilder Erregung gewichen. Dies war etwas, das sie verstanden, wofur sie ausgebildet worden waren, Tag fur Tag, in ermudendem, sich immer wiederholendem Drill.
Wahrend die Drehbassen und die Sechspfunder ihr morderisches Bombardement des ersten Kutters fortsetzten, feuerte Rowhursts Crew Schu? auf Schu? in den anderen, der — inzwischen entmastet — auf eine Sandbank getrieben war. Plotzlich scho? eine gewaltige Feuersaule aus seinem Heck und breitete sich rasch im Wind aus. Das regennasse Holz qualmte, bis es schlie?lich Feuer fing und der Kutter vom Bug bis zum Heck in Flammen stand.
Durch den Kampfeslarm horte Bolitho D'Esterre rufen:»Los, Feldwebel Shears, lebhaft, sonst gibt es fur uns nichts mehr zu tun!«D'Esterre blinzelte in den dicken Qualm, den der brennende
Kutter und Rowhursts Neunpfunder verursachten, und sagte:»Verdammt, der kommt ja gleich langsseits!»
Bolitho sah nun ebenfalls, da? der erste Kutter wie betrunken auf den Bug der Faithful zuschwankte. Auf seinem Deck waren jetzt mehr Leute zu sehen, aber auch viele, die sich nie mehr bewegen wurden. Blut lief in Bachen aus den Speigatten und zeugte von der Verheerung, die Kartatschen und Kettenkugeln angerichtet hatten.
«Seesoldaten, vorwarts!»
Wie Marionetten marschierten sie zur Reling, die langen Musketen im Anschlag.
«Legt an!«Shears wartete und ignorierte die Kugeln, die an ihnen vorbeipfiffen oder klatschend ins Holz schlugen. »Feuer!»
Bolitho sah, wie die schon im Bug des Kutters klar zum Entern versammelten Leute schwankten und dann durcheinanderfielen, als die wohlgezielte Salve zwischen ihnen einschlug.
Shears zeigte keinerlei Bewegung, wahrend er seinen Stab hochhielt und die Ladestocke der Soldaten sich im Takt hoben und senkten.
«Richten! Feuer!»
Die Salve fiel zusammen mit der Kollision der beiden Schiffe, ri? aber wiederum eine gro?e Lucke in die Gruppe der wutend schreienden Manner, die jetzt Entermesser schwingend, an Bord kletterten oder auf die Mannschaft des Neunpfunders feuerten.
Sparke schrie:»Sto?t zu, verdammt!»
Feldwebel Shears kommandierte:»Bajonett, pflanzt auf!«Dann beobachtete er d'Esterres hocherhobenen Sabel.»Soldaten, vorwarts!»
Die Marineinfanteristen ruckten gleichma?ig vor, Schulter an Schulter, eine lebende rote Mauer; sie schnitten die Enterer von den Geschutzmannschaften ab, von ihrem eigenen Schiff und von jeglicher Hoffnung.
Plotzlich sah Bolitho jemanden sich geschickt unter den Bajonetten ducken und blitzschnell nach achtern laufen, ein Messer vor sich haltend wie einen Schild.
Bolitho hob seinen Degen. Als er jedoch erkannte, da? es sich um einen Knaben handelte, rief er:»Ergib dich!»
Aber der Junge lief weiter auf ihn zu, heulte dann auf vor Schmerz und Enttauschung, als Bolitho ihm mit einem flachen
Hieb das Messer aus der Hand schlug, das in hohem Bogen an Deck fiel. Selbst dann noch versuchte er, Bolitho mit blo?en Handen anzugreifen, schluchzend und geblendet von Wut und Tranen.
Stockdale schlug ihn schlie?lich mit dem flachen Entermesser auf den Kopf, worauf er bewu?tlos zusammenbrach.
Sparke kommandierte:»Feuer einstellen!«Dann ging er an d'Esterre vorbei und musterte die ubriggebliebenen Angreifer mit kalten Blicken. Es waren nicht mehr viele. Der Rest, getotet oder verwundet von der geschlossenen Reihe der Bajonette, lag herum wie erschopfte Statisten.
Bolitho steckte den Degen in die Scheide. Ihm war ubel, und seine Narbe schmerzte.