Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
»Oh, Mann!« Rubin war offensichtlich begeistert. »Absolut irre! Was ist das blo? fur ein Zeug?«
»Etwas, das uns durch die Lappen geht«, knurrte Johanson. »Zu blode. Wie kriegen wir diese Schleimbeutel blo? eingefangen?«
»Wieso? Wir haben sie doch eingefangen.«
»Ja, zwei tennisballgro?e Platschen ohne Form und Farbe in einem Schwimmbad. Viel Spa? beim Suchen.«
»Ich wurde den nachsten direkt im Korb des Tragerroboters offnen«, schlug Oliviera vor.
»Der ist nach vorne offen. Es wird abhauen.«
»Nein, wird es nicht. Der Korb lasst sich schlie?en. Sie mussen nur schnell genug sein.«
»Ich wei? nicht, ob ich das hinkriege.«
»Probieren Sie’s einfach.«
Oliviera hatte Recht. Vorne am Kafig des Tragerroboters war eine vergitterte Klappe. Johanson packte ein weiteres Tier, drehte den Spherobot um 180° und lie? ihn auf den Tragerroboter zufahren, bis er seine elektronischen Arme ins Innere des Kafigs strecken konnte. Dort stie? er die Kreissage in die Seite der Krabbe.
Der Panzer zerbarst.
Nichts geschah.
»Leer?«, wunderte sich Rubin.
Sie warteten einige Sekunden, dann fuhr Johanson den kugelformigen Roboter langsam wieder zuruck.
»Schei?e!«
Das Gallertwesen schnellte aus dem Krabbenkorper hervor, aber es hatte die falsche Richtung gewahlt. Heftig prallte es gegen die Kafigruckwand, zog sich zu einem zitternden Ball zusammen und taumelte vor dem Gitter auf und ab. Seine Verwirrung, falls es so etwas wie Verwirrung kannte, wahrte nur einen Augenblick. Es streckte sich.
»Es will abhauen!« Johanson lie? den Spherobot zuruckfahren. Er schlug gegen die Seitenwand des Kafigs, dann war er drau?en. Einer der Arme bekam die Drahtklappe zu fassen und warf sie hoch. Das Ding verflachte sich vollends und kam herangeschossen. Wenige Zentimeter vor der Klappe prallte es zuruck, wobei es erneut die Form veranderte. Seine Rander breiteten sich nach allen Seiten aus, bis es wie eine transparente Glocke im Wasser hing und fast den halben Kafig einnahm. Der Korper bog sich. Fur Sekunden sah es aus wie eine Qualle, dann rollte es sich zusammen. Im nachsten Moment schwebte wieder eine Kugel im Kafig. »Absolut irre«, flusterte Rubin. »Seht euch das mal an«, rief Oliviera. »Es schrumpft.« Tatsachlich zog sich die Kugel zusammen und verlor dabei zunehmend an Transparenz. Sie wurde milchiger. »Das Gewebe kontraktiert«, sagte Rubin. »Das Ding kann seine molekulare Dichte andern.« »Erinnert euch das an irgendwas?« »Fruhe Formen von sehr einfachen Polypen.« Rubin uberlegte. »Kambrium. Es gibt immer noch Organismen, die so was konnen. Die meisten Tintenfische lassen ihr Gewebe kontraktieren, aber sie verandern nicht die Form.
— Wir mussen noch welche einfangen. Wir mussen sehen, wie sie reagieren.«
Johanson lehnte sich zuruck.
»Nochmal gelingt mir das nicht«, sagte er. »Beim zweiten Versuch wird das hier entwischen. Sie sind zu schnell.«
»Auch gut. Eines reicht ja vorlaufig zur Beobachtung.«
»Ich wei? nicht.« Oliviera schuttelte den Kopf. »Beobachten ist schon und gut, aber ich will das Zeug untersuchen, nicht immer nur in Auflosung befindliche Reste. Vielleicht sollten wir das Ding einfrieren und in Scheiben schneiden.«
»Sicher.« Rubin starrte fasziniert auf den Monitor. »Aber nicht sofort. Erst beobachten wir es eine Weile.«
»Wir haben immer noch die beiden anderen. Sieht jemand zufallig eines?«
Johanson schaltete nacheinander samtliche Monitore ein. Das Innere des Tanks erschien aus verschiedenen Blickwinkeln.
»Verschwindibus.«
»Quatsch. Sie mussen irgendwo sein.«
»Na schon, knacken wir noch ein paar«, sagte Johanson. »Wollten wir ohnehin. Je mehr von dem Glibber im Tank unterwegs ist, desto gro?er ist die Chance, dass wir was davon zu Gesicht bekommen. Unseren Kriegsgefangenen hier lassen wir zur Sicherheit erst mal im Kafig. Spater sehen wir weiter.« Er grinste und legte die Finger um die Joysticks. »Knick knack. Macht ja auch irgendwie Spa?, oder?«
Sie offneten noch ein Dutzend Krabben, ohne den Versuch zu unternehmen, die entschlupfenden Substanzen einzufangen. Die Gallertwesen flitzten davon, kaum dass die Panzer aufbrachen, und verloren sich irgendwo in den Weiten des Tanks.
»Auf jeden Fall machen ihnen die Pfiesterien nichts aus«, stellte Oliviera fest.
»Naturlich nicht«, sagte Johanson. »Die Yrr werden dafur gesorgt haben, dass sich das eine mit dem anderen vertragt. Die Gallerte steuert die Krabben, die Pfiesterien sind die Fracht. Logisch, dass sie kein Taxi losschicken, in dem der Gast den Fahrer totet.«
»Glauben Sie, diese Gallerte ist auch eine Zuchtung?«
»Keine Ahnung. Moglicherweise war sie schon vorher da. Moglicherweise wurde sie gezuchtet.«
»Und wenn es … die Yrr sind?«
Johanson schwenkte den Spherobot, sodass die Kamera den Kafig erfasste. Er starrte auf das gefangene Exemplar. Es hatte seine Kugelgestalt beibehalten und lag wie ein glasig wei?er Tennisball auf dem Boden des Kafigs.
»Diese Dinger?«, fragte Rubin unglaubig. »Warum nicht?«, rief Oliviera. »Wir haben welche in den Kopfen der Wale gefunden, sie sa?en im Bewuchs der Barrier Queen, im Innern der Blauen Wolke, sie sind uberall.« »Ja, eben, die Blaue Wolke. Was ist damit?« »Sie hat irgendeine Funktion. Die Dinger verstecken sich darin.« »Mir scheint eher, die Gallerte ist genauso wie die Wurmer und die anderen Mutationen eine biologische Waffe.« Rubin zeigte auf den reglosen Ball im Kafig. »Glaubt ihr, es ist tot? Es ruhrt sich nicht mehr. Vielleicht zieht es sein Gewebe zur Kugel zusammen, wenn es stirbt.« Im selben Moment ertonte ein pfeifendes Signal aus den Deckenlautsprechern, und sie horten Peaks Stimme uber das bordeigene Durchsagesystem:
»Guten Morgen. Da wir mit dem Eintreffen von Dr. Crowe nun vollzahlig sind, haben wir fur 10.30 Uhr ein Treffen im Welldeck anberaumt. Wir wollen Sie mit den Tauchbooten und der Ausrustung vertraut machen, es ware also nett, wenn Sie erscheinen. Au?erdem mochte ich daran erinnern, dass wir um 10.00 Uhr unsere routinema?ige Zusammenkunft im Flagg-Besprechungsraum abhalten. Danke.«
»Gut, dass er uns dran erinnert«, sagte Rubin eilig. »Ich hatt’s glatt vergessen. Ich vergesse Zeit und Raum, wenn ich forsche. Mein Gott, entweder ist man Forscher oder keiner! Oder?«
»Richtig«, sagte Oliviera gelangweilt. »Bin gespannt, ob es was Neues aus Nanaimo gibt.«
»Warum rufen Sie Roche nicht an«, schlug Rubin vor. »Erzahlen Sie ihm von unseren Erfolgen. Vielleicht hat er ja auch was vorzuweisen.« Er grinste und stupste Johanson vertraulich an. »Vielleicht erfahren wir es noch vor Li und konnen im Meeting damit glanzen.«
Johanson lachelte zuruck. Er mochte Rubin nicht sonderlich. Der Mann war gut in seinem Job, aber ein Schleimer. Johanson schatzte, dass er seine Gro?mutter verkauft hatte, wenn es seiner Karriere dienlich gewesen ware. Oliviera trat zur Sprechfunkeinheit gleich neben dem Steuerpult und lie? die Automatik wahlen. Die Satellitenschussel hoch oben auf der Insel ermoglichte jede Art der elektronischen Datenkommunikation. Uberall auf dem Schiff konnte man eine Vielzahl von Fernsehsendern empfangen, Handfernseher oder Radiogerate einstopseln und Laptops anschlie?en, und naturlich telefonierte man auf abhorsicheren Kanalen in alle Welt. Auch Nanaimo im fernen Kanada war muhelos zu erreichen.
Oliviera sprach eine Weile mit Fenwick und dann mit Roche, die wiederum mit einer Vielzahl von Wissenschaftlern rund um den Globus in Verbindung standen. Wie es aussah, hatten sie das Mutations-Spektrum der Pfiesterien eingegrenzt, aber ein Durchbruch war nicht in Sicht. Stattdessen waren Heerscharen von Krabben uber Boston hergefallen. Oliviera gab ihre eigenen Erkenntnisse weiter und legte auf.
»Schoner Mist«, fluchte Rubin.
»Vielleicht helfen uns ja unsere Freunde im Tank«, sagte Johanson. »Irgendwas schutzt sie schlie?lich vor den Algen. Legen wir eine Runde Sicherheitslabor ein. Sobald wir wissen, was unser Gefangener …«