Der Mann von f?nfzig Jahren - фон Гёте Иоганн Вольфганг (книги серии онлайн .TXT) 📗
Hilarie, ruhig blickend und sprechend, erwiderte darauf, sie konne diese Folgerung nicht sogleich gelten lassen, und fuhrte gar schon und anmutig dagegen an, was ein zartes Gemut gewi? mit ihr gleich empfinden wird, und das wir mit Worten auszufuhren nicht unternehmen.
Vernunftige Menschen, wenn sie etwas Verstandiges ausgesonnen, wie diese oder jene Verlegenheit zu beseitigen ware, dieser oder jener Zweck zu erreichen sein mochte, und dafur sich alle denklichen Argumente verdeutlicht und geordnet, fuhlen sich hochst unangenehm betroffen, wenn diejenigen, die zu eignem Glucke mitwirken sollten, vollig andern Sinnes gefunden werden und aus Grunden, die tief im Herzen ruhen, sich demjenigen widersetzen, was so loblich als notig ist. Man wechselte Reden, ohne sich zu uberzeugen; das Verstandige wollte nicht in das Gefuhl eindringen, das Gefuhlte wollte sich dem Nutzlichen, dem Notwendigen nicht fugen; das Gesprach erhitzte sich, die Scharfe des Verstandes traf das schon verwundete Herz, das nun nicht mehr ma?ig, sondern leidenschaftlich seinen Zustand an den Tag gab, so da? zuletzt die Mutter selbst vor der Hoheit und Wurde des jungen Madchens erstaunt zurucktrat, als sie mit Energie und Wahrheit das Unschickliche, ja Verbrecherische einer solchen Verbindung hervorhob.
In welcher Verwirrung die Baronin zu dem Bruder zuruckkehrte, la?t sich denken, vielleicht auch, wenngleich nicht vollkommen, nachempfinden, wie der Major, der, von dieser entschiedenen Weigerung im Innersten geschmeichelt, zwar hoffnungslos, aber getrostet vor der Schwester stand, sich von jener Beschamung entwunden und so dieses Ereignis, das ihm zur zartesten Ehrensache geworden war, in seinem Innern ausgeglichen fuhlte. Er verbarg diesen Zustand augenblicklich seiner Schwester und versteckte seine schmerzliche Zufriedenheit hinter eine in diesem Falle ganz naturliche Au?erung: man musse nichts ubereilen, sondern dem guten Kinde Zeit lassen, den eroffneten Weg, der sich nunmehr gewisserma?en selbst verstunde, freiwillig einzuschlagen.
Nun aber konnen wir kaum unsern Lesern zumuten, aus diesen ergreifenden inneren Zustanden in das Au?ere uberzugehen, worauf doch jetzt so viel ankam. Indes die Baronin ihrer Tochter alle Freiheit lie?, mit Musik und Gesang, mit Zeichnen und Sticken ihre Tage angenehm zu verbringen, auch mit Lesen und Vorlesen sich und die Mutter zu unterhalten, so beschaftigte sich der Major bei eintretendem Fruhjahr, die Familienangelegenheiten in Ordnung zu bringen; der Sohn, der sich in der Folge als einen reichen Besitzer und, wie er gar nicht zweifeln konnte, als glucklichen Gatten Hilariens erblickte, fuhlte nun erst ein militarisches Bestreben nach Ruhm und Rang, wenn der androhende Krieg hereinbrechen sollte. Und so glaubte man in augenblicklicher Beruhigung als gewi? vorauszusehen, da? dieses Ratsel, welches nur noch an eine Grille geknupft schien, sich bald aufhellen und auseinanderlegen wurde.
Leider aber war in dieser anscheinenden Ruhe keine Beruhigung zu finden. Die Baronin wartete tagtaglich, aber vergebens, auf die Sinnesanderung ihrer Tochter, die zwar mit Bescheidenheit und selten, aber doch, bei entscheidendem Anla?, mit Sicherheit zu erkennen gab, sie bleibe so fest bei ihrer Uberzeugung, als nur einer sein kann, dem etwas innerlich wahr geworden, es moge nun mit der ihn umgebenden Welt in Einklang stehen oder nicht. Der Major empfand sich zwiespaltig; er wurde sich immer verletzt fuhlen, wenn Hilarie sich wirklich fur den Sohn entschiede; entschiede sie sich aber fur ihn selbst, so war er ebenso uberzeugt, da? er ihre Hand ausschlagen musse.
Bedauern wir den guten Mann, dem diese Sorgen, diese Qualen wie ein beweglicher Nebel unablassig vorschwebten, bald als Hintergrund, auf welchem sich die Wirklichkeiten und Beschaftigungen des dringenden Tages hervorhoben, bald herantretend und alles Gegenwartige bedeckend. Ein solches Wanken und Schweben bewegte sich vor den Augen seines Geistes; und wenn ihn der fordernde Tag zu rascher, wirksamer Tatigkeit aufbot, so war es bei nachtlichem Erwachen, wo alles Widerwartige, gestaltet und immer umgestaltet, im unerfreulichsten Kreis sich in seinem Innern umwalzte. Dies ewig wiederkehrende Unabweisbare brachte ihn in einen Zustand, den wir fast Verzweiflung nennen durften, weil Handeln und Schaffen, die sich sonst als Heilmittel fur solche Lagen am sichersten bewahrten, hier kaum lindernd, geschweige denn befriedigend wirken wollten.
In solcher Lage erhielt unser Freund von unbekannter Hand ein Schreiben mit Einladung in das Posthaus des nahe gelegenen Stadtchens, wo ein eilig Durchreisender ihn dringend zu sprechen wunschte. Er, bei seinen vielfachen Geschafts- und Weltverhaltnissen an dergleichen gewohnt, saumte um so weniger, als ihm die freie, fluchtige Hand einigerma?en erinnerlich schien. Ruhig und gefa?t nach seiner Art begab er sich an den bezeichneten Ort, als in der bekannten, fast bauerischen Oberstube die schone Witwe ihm entgegentrat, schoner und anmutiger, als er sie verlassen hatte. War es, da? unsere Einbildungskraft nicht fahig ist, das Vorzuglichste festzuhalten und vollig wieder zu vergegenwartigen, oder hatte wirklich ein bewegterer Zustand ihr mehreren Reiz gegeben, genug, es bedurfte doppelter Fassung, sein Erstaunen, seine Verwirrung unter dem Schein allgemeinster Hoflichkeit zu verbergen; er gru?te sie verbindlich mit verlegener Kalte.
«Nicht so, mein Bester!«rief sie aus,»keineswegs hab' ich Sie dazu zwischen diese gewei?ten Wande, in diese hochst unedle Umgebung berufen; ein so schlechter Hausrat fordert nicht auf, sich hofisch zu unterhalten. Ich befreie meine Brust von einer schweren Last, indem ich sage, bekenne: in ihrem Hause hab' ich viel Unheil angerichtet.«— Der Major trat stutzend zuruck. — »Ich wei? alles«, fuhr sie fort,»wir brauchen uns nicht zu erklaren; Sie und Hilarien, Hilarien und Flavio, Ihre gute Schwester, Sie alle bedaure ich. «Die Sprache schien ihr zu stocken, die herrlichsten Augenwimpern konnten hervorquellende Tranen nicht zuruckhalten, ihre Wange rotete sich, sie war schoner als jemals. In au?erster Verwirrung stand der edle Mann vor ihr, ihn durchdrang eine unbekannte Ruhrung.»Setzen wir uns«, sagte, die Augen trocknend, das allerliebste Wesen.»Verzeihen Sie mir, bedauern Sie mich, Sie sehen, wie ich bestraft bin. «Sie hielt ihr gesticktes Tuch abermals vor die Augen und verbarg, wie bitterlich sie weinte.
«Klaren Sie mich auf, meine Gnadige«, sprach er mit Hast. — »Nichts von gnadig!«entgegnete sie himmlisch lachelnd,»nennen Sie mich Ihre Freundin, Sie haben keine treuere. Und also, mein Freund, ich wei? alles, ich kenne die Lage der ganzen Familie genau, aller Gesinnungen und Leiden bin ich vertraut.«—»Was konnte Sie bis auf diesen Grad unterrichten?«—»Selbstbekenntnisse. Diese Hand wird Ihnen nicht fremd sein. «Sie wies ihm einige entfaltete Briefe hin. — »Die Hand meiner Schwester, Briefe, mehrere, der nachlassigen Schrift nach vertraute! Haben Sie je mit ihr in Verhaltnis gestanden?«—»Unmittelbar nicht, mittelbar seit einiger Zeit; hier die Aufschrift: ›An ***.‹«—»Ein neues Ratsel: An Makarien, die schweigsamste aller Frauen.«—»Deshalb aber auch die Vertraute, der Beichtiger alter bedrangten Seelen, aller derer, die sich selbst verloren haben, sich wiederzufinden wunschten und nicht wissen wo.«—»Gott sei Dank!«rief er aus,»da? sich eine solche Vermittlung gefunden hat, mir wollt' es nicht ziemen, sie anzuflehen, ich segne meine Schwester, da? sie es tat; denn auch mir sind Beispiele bekannt, da? jene Treffliche, im Vorhalten eines sittlich-magischen Spiegels, durch die au?ere verworrene Gestalt irgendeinem Unglucklichen sein rein schones Innere gewiesen und ihn auf einmal erst mit sich selbst befriedigt und zu einem neuen Leben aufgefordert hat.«—
«Diese Wohltat erzeigte sie auch mir«, versetzte die Schone; und in diesem Augenblick fuhlte unser Freund, wenn es ihm auch nicht klar wurde, dennoch entschieden, da? aus dieser sonst in ihrer Eigenheit abgeschlossenen merkwurdigen Person sich ein sittlich-schones, teilnehmendes und teilgebendes Wesen hervortat. — »Ich war nicht unglucklich, aber unruhig«, fuhr sie fort,»ich gehorte mir selbst nicht recht mehr an, und das hei?t denn doch am Ende nicht glucklich sein. Ich gefiel mir selbst nicht mehr, ich mochte mich vor dem Spiegel zurechtrucken, wie ich wollte, es schien mir immer, als wenn ich mich zu einem Maskenball herausputzte; aber seitdem sie mir ihren Spiegel vorhielt, seit ich gewahr wurde, wie man sich von innen selbst schmucken konne, komm' ich mir wieder recht schon vor. «Sie sagte das zwischen Lacheln und Weinen und war, man mu?te es zugeben, mehr als liebenswurdig. Sie erschien achtungswert und wert einer ewigen treuen Anhanglichkeit.
«Und nun, mein Freund, fassen wir uns kurz: hier sind die Briefe! sie zu lesen und wieder zu lesen, sich zu bedenken, sich zu bereiten, bedurften Sie allenfalls einer Stunde, mehr, wenn Sie wollen; alsdann werden mit wenigen Worten unsere Zustande sich entscheiden lassen.»
Sie verlie? ihn, um in dem Garten auf und ab zu gehen; er entfaltete nun einen Briefwechsel der Baronin mit Makarien, dessen Inhalt wir summarisch andeuten. Jene beklagt sich uber die schone Witwe. Wie eine Frau die andere ansieht und scharf beurteilt, geht hervor. Eigentlich ist nur vom Au?ern und von Au?erungen die Rede, nach dem Innern wird nicht gefragt.
Hierauf von seiten Makariens eine mildere Beurteilung. Schilderung eines solchen Wesens von innen heraus. Das Au?ere erscheint als Folge von Zufalligkeiten, kaum zu tadeln, vielleicht zu entschuldigen. Nun berichtet die Baronin von der Raserei und Tollheit des Sohns, der wachsenden Neigung des jungen Paars, von der Ankunft des Vaters, der entschiedenen Weigerung Hilariens. Uberall finden sich Erwiderungen Makariens von reiner Billigkeit, die aus der grundlichen Uberzeugung stammt, da? hieraus eine sittliche Besserung entstehen musse. Sie ubersendet zuletzt den ganzen Briefwechsel der schonen Frau, deren himmelschones Innere nun hervortritt und das Au?ere zu verherrlichen beginnt. Das Ganze schlie?t mit einer dankbaren Erwiderung an Makarien.