Der Brander: Admiral Bolitho im Kampf um die Karibik - Kent Alexander (читать книги txt) 📗
Tuson, der eine kleine Arzneiflasche ans Lampenlicht gehalten hatte, wandte sich bei Bolithos Eintritt um.
«Unverandert, Sir. «Das klang wie ein Vorwurf.
Bolitho blickte auf das Lager nieder, auf dem er so viele Nachte gegrubelt hatte. Allday war dick bandagiert und lag mit seitlich gedrehtem Kopf da, wohl damit er leichter atmen konnte. Bolitho beruhrte seine eiskalte Stirn und versuchte, sein Erschrecken zu verbergen. Die Haut fuhlte sich schon an wie die eines Toten.
Leise berichtete Tuson:»Der Stich hat die Lunge knapp verfehlt,
Sir. Gott sei Dank, da? es offenbar eine saubere Schneide war. «Und als Bolithos Gestalt in den Schatten zurucktrat:»Mochten Sie, da? ich bei ihm bleibe, Sir?»
«Nein. «Bolitho wu?te, da? noch viele Verwundete Tusons Hilfe benotigten.»Aber vielen Dank.»
Tuson seufzte.»Bin sofort da, wenn Sie mich brauchen.»
Bolitho folgte ihm in die Tageskajute hinaus.»Sagen Sie es mir offen.»
Tuson schlupfte in seinen einfachen blauen Rock.»Ich kenne ihn nicht so gut wie Sie, Sir. Er scheint mir ziemlich kraftig zu sein, aber es ist eine schwere Verwundung. Die meisten waren ihr an Ort und Stelle erlegen. Es tut mir aufrichtig leid.»
Als Bolitho wieder aufblickte, war Tuson schon gegangen, hinunter ins Orlopdeck, in die Einsamkeit seines Lazaretts.
Aber Ozzard druckte sich noch in der Kajute herum.»Brauchen Sie etwas, Sir?»
Erst jetzt gewahrte Bolitho seine schmachtige Gestalt. Auch Ozzard bangte um Allday, das sah man ihm an.»Was hat Allday am liebsten getrunken?»
Ozzards feuchte Augen leuchteten auf.»Tja, Sir — Rum naturlich. War einem guten Schluck nie abgeneigt. «Verlegen gestikulierte er. »Ist einem guten Schluck nie abgeneigt, meine ich.»
Bolitho nickte. Das war wieder einmal kennzeichnend fur Allday. In kritischen oder gefahrlichen Augenblicken, zu traurigen oder frohlichen Anlassen hatte er ihm oft Brandy angeboten. Und Allday hatte akzeptiert, obwohl ihm doch Rum sehr viel lieber gewesen ware.
Leise sagte er:»Dann holen Sie bitte Rum, Ozzard. Und sagen Sie dem Zahlmeister: vom besten.»
Bolitho sa? neben Alldays Lager, die Tur zur Nachbarkajute der besseren Luftung wegen halb offen, als Ozzard mit einem kupfernen Krug zuruckkehrte. Bei der Hitze wurde ihm von dem starken Aroma fast schwindlig.
Bolitho versuc hte, sich auf die Aufgaben des nachsten Tages zu konzentrieren, auf Tyrrells Zukunft, aber er sah immer nur Belindas Gesicht bei ihrem Abschied vor sich, wie sie Allday gebeten hatte, ihm und Adam beizustehen. So viele Reisen hatten sie gemeinsam gemacht — und erst letztes Jahr waren sie in Frankreich in Gefangenschaft geraten. Es war Allday gewesen, der den todkranken John Ne ale auf seinen Armen getragen hatte, dessen Willensstarke und Zuversicht ihnen Mut und Zusammenhalt gegeben hatte. Und er erinnerte sich an seine Kadettenjahre: Damals hatte er es als ganz selbstverstandlich angenommen, da? einem Admiral niemals Kummer und Selbstvorwurfe zu schaffen machten.
Vom Vorschiff klangen die dunnen Tone einer Fiedel herein, und Bolitho sah im Geiste die Freiwachter vor sich, die sich in der Abendkuhle vergnugten. Dann erblickte er sein eigenes Gesicht im Spiegel uber dem kleinen Tisch und sah weg. Ob sie jetzt mit ihrem Vizeadmiral getauscht hatten?
Er nahm ein sauberes Taschentuch, befeuchtete es mit Rum und betupfte damit vorsichtig Alldays Mund.
«Hier, alter Freund. «Bolitho bi? sich auf die Lippen, als der Rum wirkungslos von Alldays Kinn tropfelte. Mitten auf dem Brustverband leuchtete ein roter Fleck. Es drangte Bolitho, nach dem Wachtposten zu rufen und den Arzt zuruckholen zu lassen, aber er beherrschte sich. Alldays Ringen mit dem Tod ging nur ihn selbst an. Auch ware es grausam gewesen, seine Leiden jetzt noch zu vermehren.
So starrte Bolitho nur in Alldays vertrautes Gesicht. Es schien plotzlich gealtert zu sein, fiel ihm auf. Das Begreifen lie? ihn aufspringen, auch wenn er die Erkenntnis nicht akzeptieren wollte.
Mit geballten Fausten sah er sich wild in der engen Kajute um, wie ein Tier in der Falle. Dagegen war er machtlos. Ohne zu wissen, was er tat, hob er den Krug an die Lippen und trank, bis ihm der scharfe Rum die Kehle verbrannte und er keuchend nach Luft ringen mu?te.
Als er darauf wartete, da? sich sein Atem beruhigte, sah er Ozzards schmachtige Gestalt vor der halboffenen Tur warten. Mit einer Stimme, die ihm selbst fremd klang, sagte er:»Meine Empfehlung an den Arzt und.»
Ozzard schien noch mehr zu schrumpfen, als er Bolithos Worte begriff.»So schnell ich kann, Sir!»
Bolitho fuhr herum, weil Allday suchend uber den Rand der Koje tastete.
«Ja, ich bin hier.»
Er nahm Alldays Faust zwischen beide Hande und starrte ihm gebannt ins Gesicht. Darauf zeigte sich jetzt ein Stirnrunzeln, als versuche Allday, sich an etwas zu erinnern. Seine Finger hatten weniger Kraft als die eines Kindes.
Bolitho flusterte:»Warte noch. Gib nicht auf. «Er druckte Alldays Hand fester, spurte aber keine Erwiderung.
Doch dann offnete Allday die Augen und starrte ihn an, sekundenlang und anscheinend ohne ihn zu erkennen. Seine Lippen bewegten sich, und er sprach so leise, da? Bolitho sich tief uber ihn beugen mu?te.
Allday murmelte:»Aber Sie mogen doch keinen Rum, Sir.»
Bolitho nickte.»Stimmt. «Er hatte gern mehr gesagt, um Allday zu ermutigen, aber die Stimme versagte ihm.
Turenschlagen, eilige Schritte drau?en, und dann sturzte Tuson, gefolgt von Keen und Adam, in die Kajute.
Der Schiffsarzt legte seine Hand auf Alldays Brust, ohne sich um das Blut zu scheren. Dann sagte er:»Er atmet schon sehr viel besser. «Und mit einem Schnuffeln:»Ist das Rum?»
Alldays Augen kippten immer wieder weg, aber er schien unbedingt sprechen, Bolitho irgendwie beruhigen zu wollen.
«Hatte gern 'nen Schluck, Sir.»
Tuson trat beiseite und beobachtete kritisch, wie Bolitho dem Bootsfuhrer den Kopf stutzte und ihm mit der anderen Hand ein Glas an die Lippen hielt. Er wu?te, diesen Anblick wurde er sein Leben lang nicht vergessen.
Schlie?lich sagte er:»Legen Sie ihn jetzt zuruck.»
Er sah zu, wie Bolitho sich Wasser aus einer Schussel ins Gesicht spritzte, um sich fur die anderen drau?en zu wappnen.
«Ihretwegen brauchen Sie das nicht zu tun, Sir. «Spater wunderte Tuson sich uber sich selbst, da? er es gewagt hatte, seinen Admiral so vertraut anzusprechen.»Es schadet nichts, wenn sie sehen, da? auch Sie Gefuhle haben. Wie wir alle.»
Bolitho warf noch einen Blick auf Allday. Er schien jetzt zu schlafen.
«Danke«, sagte er.»Sie konnen nicht wissen. «Damit verlie? er den Schlafraum, um den anderen gegenuberzutreten.
Der Arzt betrachtete den Krug Rum auf dem Tisch und verzog das Gesicht. Sein Sachverstand sagte ihm, da? Allday langst tot sein mu?te. Er begann, den blutigen Verband aufzuschneiden.
Aber dann verzog sich Tusons ernstes Gesicht zu einem schiefen Lacheln. Ein Schluck Rum, bei Gott…
In der Tageskajute sa?en die anderen schweigend beisammen, bis Ozzard eine Karaffe Wein brachte. Da endlich hob Keen sein gefulltes Glas.»Auf uns alle, Sir«, sagte er.
Bolitho wandte den Blick ab. Keen hatte keinen besseren Toast ausbringen konnen.