Der Brander: Admiral Bolitho im Kampf um die Karibik - Kent Alexander (читать книги txt) 📗
Crocker, wahrscheinlich der alteste Mann an Bord, war mit seinem dunnen wei?en Nackenzopf und seltsam hupfenden Gang ein richtiges Original. Seit ihn etwa in Adams Alter ein Splitter ins linke Auge getroffen hatte, war er darauf fast blind. Doch mit dem rechten Auge sah er so scharf wie ein Falke, und wenn er einen Kanonenlauf ausrichtete und abfeuerte, traf er besser als eine ganze Crew. Er verstand sich auch aufs Kugelerhitzen, und Bolitho glaubte schon die bei?enden Schwaden zu riechen, die von den hinter der Brustung aufgestellten Essen aufstiegen.
Crocker schien uberrascht, seinen Vizeadmiral auf der Bastion anzutreffen. Gru?end tippte er sich an die Stirn und drehte dann seine Mutze herum, damit er besser durch die Schie?scharten spahen konnte. Jetzt sah er noch verwegener aus, und Bolitho konnte es seinen Stuckfuhrern leicht nachfuhlen, da? sie ihn wie die Pest furchteten.
«Feiner Morgen fur 'ne Ballerei, Sir!»
Bolitho mu?te lacheln.»Halten Sie sich bereit.»
Lemoine sah dem davonhastenden Crocker nach.»Der hat meine Manner ziemlich in Trab gehalten, Sir.»
Von der Kirche in der Stadt klang Glockengelaut heruber, dunn und melancholisch in der feuchten Morgenluft.
«Was bedeuten die Glocken, Mr. Lemoine?«Bolitho hielt sein Teleskop auf das ferne Schiff gerichtet.
Der Leutnant unterdruckte ein Gahnen. Er hatte bis nach Mitternacht mit seinem Stellvertreter Karten gespielt — und verloren.
«Hier auf der Insel leben viele Katholiken, Sir«, antwortete er.»Die Glocken rufen zur Morgenandacht. «Als Bolitho schwieg, fugte er noch erlauternd hinzu:»Heute ist ein Feiertag fur sie, der Namenstag von St. Damian.»
Lemoine ging ohne Scheuklappen durch die Welt, dachte Bolitho zufrieden. Im Gegensatz zu manchen Offizieren, fur die au?erhalb ihres eigenen engen Befehlsbereichs nichts anderes existierte.
Wieder Kanonenfeuer. Es klang, als versuchten sie, ein Schiff am Einlaufen zu hindern. Adam fiel ihm ein. Nein, ihn betraf es bestimmt nicht. Tyrrell war ein viel zu alter Fuchs, um sich so fruh fangen zu lassen.
Er schwenkte das Glas zum anderen Vorland herum, das sich eben aus dem Schatten schalte. An seinem felsigen Fu? erkannte er schon die wei?e Brandung und weiter drau?en die Kette gro?erer Felsblok-ke, die ins Meer hinausragte und den bezeichnenden Namen Cape Despair, Kap der Verzweiflung, trug.
Schritte polterten die Treppe herauf, und ein Melder erstattete Le-moine bellend Bericht. Der Leutnant wandte sich an Bolitho:»Me l-dung vom Flaggschiff, Sir: alle Boote ausgesetzt und Patrouillen alarmiert.»
Bolitho konnte sie vor sich sehen, die kleinen Truppen der Marineinfanteristen, verstarkt durch ein paar Freiwillige der Inselmiliz. Eine kleine Streitmacht, aber wenn sie geschickt eingesetzt wurde, konnte sie wenigstens verhindern, da? durch den Riffgurtel Sto?trupps angelandet wurden. Abgesehen davon gab es nur eine Zufahrt, eine sichere, und das war der Weg, den Keen nachts gewahlt hatte. Aber wenn der Feind dort einen Durchbruch versuchte, wurde ihm der alte Crok-ker mit seinen gluhenden Kugeln tuchtig einheizen.
Sonnenlicht flo? die Hange herunter und ubergo? die Hafeneinfahrt mit Gold. Im Teleskop sah Bolitho das Wachboot dort langsam entlangrudern, befehligt von einem Midshipman, der im Heck stand und wahrscheinlich seine befristete Freiheit geno?.
Lemoine sagte:»Da ist sie, Sir!»
Das fremde Schiff rundete das Vorland, seine Segel verloren den Wind, als es wendete, fullten sich aber gleich wieder auf dem neuen Bug: ein gro?es, gut gefuhrtes Fahrzeug.»Indienfahrer, Sir«, meldete sich wieder Lemoine.»Ich kenne ihn, es ist die Royal James. Vor einigen Monaten lag sie in Antigua.»
Aus den Schie?scharten beugten sich neugierige Manner, andere liefen unten auf der Pier nach vorn, um den Ankommling besser sehen zu konnen.
Bolitho kam zu einem Entschlu?.»Ich kehre aufs Flaggschiff zuruck, Mr. Lemoine. Sie werden hier ja allein fertig. «Er war schon die halbe Treppe hinabgelaufen, ehe der Leutnant antworten konnte.
Die Mannschaft der Barkasse sprang auf, als Bolitho durchs Tor eilte.»Zum Schiff, Allday«, befahl er.
Er ignorierte ihre Uberraschung und versuchte sich daruber klar zu werden, was ihn so beunruhigte. Wenn der Verfolger nicht noch durch einen Zufallstreffer in seinem Rigg Schaden anrichtete, sollte der Indienfahrer sicher den Hafen erreichen konnen. Bei diesem starken Sudost mu?te sich das feindliche Schiff gut von der Leekuste freihalten — oder sich dem Kugelhagel der Kanonen stellen. Und jetzt, bei vollem Tageslicht, konnte Crocker eigentlich nicht danebenschie?en.
Die Riemen der Barkasse hoben und senkten sich in schnellem Gleichtakt, bis das Boot ubers glatte Wasser zu fliegen schien.
Plotzlich packte Bolitho Alldays Arm.»Kursanderung! Aufs Vorland zuhalten!«Als Allday zogerte, schuttelte er ihn und rief aus:»Ich mu? blind gewesen sein! Dabei hat Lemoine mich unwissentlich darauf gebracht: Heute ist St. Damianstag!»
Allday legte Ruder, so da? die Barkasse einen Bogen beschrieb, aber dennoch kam kein einziger der langen Riemen aus dem Takt.
«Aye, Sir, wenn Sie's sagen?»
Er halt mich fur verruckt, dachte Bolitho und erlauterte hastig:»Aber trotz des Feiertags ist noch kein einziges Boot von der Missionsinsel gekommen!»
Immer noch starrte Allday ihn an.
Bolitho blickte sich nach dem Wachboot um, aber das stand zu nahe an Land, dicht vor der Hafeneinfahrt, und jeder Mann im Boot hatte nur Augen fur die Royal James, die jetzt gleich um den Landvorsprung brausen mu?te.
Bolitho hieb sich mit der Faust in die andere Handflache. Er hatte es gleich sehen mussen!
«Ist die Mannschaft bewaffnet?«fragte er Allday.
Der nickte und kniff die Augen vor der blendenden Sonne zusammen.»Jawohl, Sir, mit Entermessern und drei Pistolen.»
Er warf Bolitho einen Seitenblick zu, gespannt, was nun bevorstand, wagte aber vor seinen Untergebenen nicht danach zu fragen.
«Dann mu? das reichen. «Bolitho deutete auf einen winzigen Sandstrand.»Setz uns dort auf.»
Als die Rudergasten ihre Riemen in der Schwebe hielten und das Boot lautlos in den Schutz der hohen Steilkuste glitt, wirkte die Szenerie ungemein friedlich.
«Alle von Bord!«Bolitho kletterte hinaus und spurte, wie die Stromung die Beine unter ihm wegziehen wollte, als er zum Strand watete. Entermesser und drei Pistolen — wogegen? Er befahl:»Schickt einen Mann aus, er soll die Patrouille von der Landspitze herbeiholen. Aber sich dabei nicht blicken lassen.»
Allday lie? ihn nicht aus den Augen.»Ist das ein Uberfall, Sir?«fragte er nervos.
Aus dem Haufchen Waffen im Sand suchte sich Bolitho eine Pistole und ein schweres Entermesser heraus. Ausgerechnet diesmal war er unbewaffnet an Land gegangen.
«Es geht um die Mission. Irgend etwas stimmt dort nicht.»
Auch die Manner bewaffneten sich und folgten ihm gehorsam den Steilhang hinauf. Auf dem Bergrucken empfing sie starker Wind, der ihnen Sand ins Gesicht peitschte; der Bewuchs, der von weitem so einladend aussah, bestand nur aus zahem Unkraut und niedrigen Strauchern.
Auf dem Missionsinselchen drangten sich die wenigen Gebaude dicht zusammen; der Strand war leer, alles wirkte vollig verlassen. Nicht einmal Rauch zeugte von Herdfeuer oder anderweitigem Leben.
Bolitho horte schwache Hochrufe, halb verweht vom Wind, als riefen irgendwo spielende Kinder. Er hielt inne und warf einen Blick uber die Hafeneinfahrt zur alten Festung hinuber, deren Flagge munter auswehte. Die Hochrufe kamen wahrscheinlich vom Wachboot, denn der machtige Indienfahrer ragte plotzlich uber dem Vorland auf und hielt zielstrebig auf den sicheren Hafen zu.
Er hatte ein gro?es Boot im Schlepp, doch an Deck zeigten sich kaum Leute; auch enterte niemand auf, um die Segel zu kurzen, sobald das Schiff den Ankerplatz erreicht hatte. In diesem Augenblick glitt das Wachboot in Sicht; der Midshipman hob schon seine Flustertute an die Lippen, um den Neuankommling anzupreien.