Strandwolfe: Richard Bolithos gefahrvoller Heimaturlaub - Kent Alexander (книги бесплатно без регистрации полные TXT) 📗
Der Kutter drehte jetzt langsam in den Wind, zugig verschwanden die Segel, wahrend die Besatzung ihn klarmachte zum Ankern. Die rote Flagge und ein Wimpel im Topp boten den einzigen Farbkontrast gegen den bleiernen Himmel. Bolitho hatte dasselbe erregende Gefuhl, das ihn immer erfullte, wenn er einen Teil seiner eigenen Welt sah, und mochte dieser auch noch so klein sein.
Mochte der Kutter auch plump und schwerfallig aussehen, ohne die schimmernden Geschutze und die stolzen Galionsfiguren gro?erer Kriegsschiffe, so war er doch Reprasentant des Konigs. Er sah den Anker ins Wasser klatschen, sah das ubliche Getummel an den Taljen der Davits beim Ausschwenken der
Jolle.
Uber das bewegte Wasser hinweg horten sie das Stimmengewirr und malten sich die Szene an Bord aus. In diesem Schiffskorper von siebzig Fu? Lange drangte sich wahrscheinlich eine Besatzung von sechzig Seelen, obwohl man sich schlecht vorstellen konnte, wie sie es fertigbrachten, auf solch engem Raum zu schlafen, zu essen und zu arbeiten. Diesen Platz mu?ten sie noch teilen mit Ankertross, Wasser, Proviant, Pulver und Munition. Das lie? jedem nur ein paar Quadratzoll fur seine eigene Bequemlichkeit.
Die Jolle war zu Wasser gelassen worden, und Bolitho sah das
Schimmern einer wei?en Kniehose unter blauem Rock, als der Kommandant einstieg, um an Land zu fahren. Nachdem das Schiff an seinem Tau entsprechend Wind und Stromung eingeschwoit war, konnte Bolitho den Namen auf dem uberhangenden Heck lesen: Avenger — der Racher. Der ermordete Zollner hatte das zu schatzen gewu?t, dachte er grimmig. Zuschauer hatten sich angesammelt, um den Ankommling in Augenschein zu nehmen, aber es waren nicht sehr viele. Die Kustenbewohner blieben bei einem Kriegsschiff immer etwas argwohnisch, auch wenn es nur klein war. Bolitho schritt nach vorn, als das Boot an der Treppe festmachte. Ein stammiger Seemann kam auf ihn zu und gru?te.»Mr. Midshipman Bolitho, Sir?«Dancer grinste.»Selbst in Zivil wirst du erkannt, Dick!«Der Seemann fugte hinzu:»Mein Kommandant wunscht Sie zu sprechen, Sir.»
Erstaunt gingen sie zur Anlegertreppe, wahrend der Dreispitz und die Schultern des Kommandanten der Avenger uber den nassen Steinstufen erschienen. Bolitho starrte ihn verblufft an.»Hugh!»
Sein Bruder musterte ihn ungeruhrt.»Aye, Richard. «Dann nickte er Dancer kurz zu und befahl seinem Bootssteurer:»Fahren Sie zum Schiff zuruck und sagen Sie Mr. Gloag, ich werde signalisieren, wenn ich das Boot brauche. «Bolitho betrachtete ihn verwirrt und mit gemischten Gefuhlen. Hugh diente seiner Meinung nach auf einer Fregatte. Er hatte sich verandert, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Die Linien um seinen Mund waren scharfer geworden, seine Stimme hatte den strengen Ton des Befehlsgewohnten, aber der Rest war unverandert. Das schwarze Haar war wie sein eigenes und wie das auf einigen Portrats im Hause uber dem Kragen adrett mit einer Schleife zusammengebunden. Hughs ruhige Augen wirkten angestrengt nach den langen Stunden der Seefahrt; er trug dieselbe uberhebliche Selbstsicherheit zur Schau, deretwegen sie sich schon fruher oft in die Haare geraten waren. Sie fielen nebeneinander in Schritt, Hugh drangte sich an den Zuschauern vorbei, ohne sie eines Blickes zu wurdigen. Unterwegs fragte er:»Geht es Mutter gut?«Die Worte klangen jedoch unbeteiligt, als seien seine Gedanken nicht bei der Sache.»Sie freut sich bestimmt sehr uber deinen Besuch, Hugh. Das wird eine wirkliche Weihnachtsuberraschung fur sie. «Hugh wandte sich an Dancer.»Ihr habt wohl allerhand erlebt auf der alten Gorgon?»
Bolitho verbarg ein Lacheln. Da war er wieder, der Stachel, diese Andeutung von Zweifel in der Frage.
Dancer nickte.»Sie haben davon gelesen, Sir?«»Einiges. «Hugh beschleunigte seinen Schritt.»Auch habe ich den Admiral in Plymouth gesehen und euren Kommandanten gesprochen. «Am breiten Eingangstor blieb er stehen, sein Blick prufte das Haus, als sahe er es zum erstenmal.»Ich kann es euch ebensogut schon jetzt sagen. Ihr seid meinem Kommando unterstellt, bis diese Angelegenheit hier geklart ist oder bis meine Fehlstellen an Bord aufgefullt sind.»
Bolitho starrte ihn an, wutend uber Hughs Schroffheit. Vor allem tat es ihm um Dancer leid.»Fehlstellen?»
Hugh musterte ihn kuhl.»Aye. Ich mu?te letzte Woche meinen Ersten Offizier und einige gute Leute an Bord einer Prise lassen. In der Marine sind Ersatzoffiziere und Seeleute knapp, wovon ihr naturlich nichts wi?t. An Afrikas Kusten mag die Sonne scheinen, hier aber herrscht eisige Wirklichkeit.«»Hast du uns angefordert?»
Hugh hob die Schultern.»Euer Kommandant hat mir gesagt, da? ihr beide hier seid. Verfugbarkeit und Ortskenntnis entschieden den Rest. Er billigte die Versetzung.»
Das frohe Gesicht seiner Mutter, als sie eintraten, versohnte Bolitho ein wenig.
Dancer sagte leise:»Es kann ganz lustig werden, Dick. Dein Bruder hat das Auftreten eines erfahrenen Offiziers. «Widerwillig stimmte Bolitho zu:»Das hat er, wei? Gott!«Dann sah er, da? Hugh seine Mutter ins angrenzende Zimmer fuhrte. Als sie wieder herauskam, lachelte sie nicht mehr.»Es tut mir so leid, Dick, und noch mehr fur dich, Martyn. «Dancer erwiderte mit fester Stimme:»Das durfen Sie nicht sagen, Madam. Wir sind beide gewohnt, Unerwartetes hinzunehmen.«»Trotzdem.»
Sie wandte sich um, als Hugh wieder eintrat, ein Glas Brandy in der Hand.
«Trotzdem, meine Lieben«, fuhr Hugh an ihrer Stelle fort,»ist es eine ernste Angelegenheit und lediglich die Spitze des Eisberges. Gott allein wei?, was dieser Tor Morgan vorhatte, als er umgebracht wurde; aber kein Zollner sollte Alleingange unternehmen. «Sein Blick heftete sich auf Bolitho.»Es geht um weit Schlimmeres als Schmuggel. Zuerst glaubten wir, es lage an dem schlechten Wetter. Wracks sind schlie?lich nichts Ungewohnliches an dieser Kuste.»
Bolitho frostelte es. Das war es also: Strandrauberei. Das schlimmste aller Verbrechen.
Sein Bruder fuhr in seinem knappen Ton fort:»Aber zu viele wertvolle Ladungen sind hier in letzter Zeit verlorengegangen:
Silber und Gold, Spirituosen und kostbare Gewurze. Genug, um eine ganze Stadt zu versorgen oder eine Armee zu finanzieren. «Er hob die Schultern, als sei er der Vertraulichkeiten mude.»Meine Aufgabe ist es, diese Morder zu finden und den Behorden zu ubergeben. Das Warum und Wozu ist nicht die Sache eines Offiziers des Konigs.»
Seine Mutter sagte heiser:»Aber Strandrauber! Wie konnen sie nur hilflose Seeleute anlocken und ausplundern…»
Hugh lachelte.»Sie sehen den Landadel unter den an
Privatstranden angetriebenen Wracks reiche Beute halten,
Mutter. Da geht die Vernunft schnell zum Teufel.»
Dancer protestierte:»Aber es ist ein ungeheurer Unterschied, ob ein Schiff durch Unfall strandet oder absichtlich ins Verderben gelockt wird, Sir!»
Hugh blickte weg.»Moglich. Aber nicht fur die Strandwolfe, diese Hyanen, die von Wracks leben.»
Dancer sagte:»Die Nachricht von Ihrer Ankunft wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten, Sir.»
Hugh nickte.»Ich werde ein paar Hande schmieren und Versprechungen machen. Einige werden mir Informationen zukommen lassen, nur damit die Avenger sonstwohin verschwindet.»
Bolitho sah seinen Freund an. Diese Seite der Marine war ihnen fremd: da? ein Kommandant gegen Bestechungsgelder Informationen sammelte und dann vollig frei und unabhangig seine Entscheidungen traf, ohne erst den Segen der Vorgesetzten abwarten zu mussen.
Die Tur flog auf, Nancy rannte durch den Raum und schlang ihre
Arme um des Bruders Hals.
«Hugh! Das ist ja wirklich ein Familientreffen!»
Hugh hielt sie von sich ab und musterte sie eingehend.
«Langsam! Du bist jetzt eine Lady — na, wenigstens beinahe.»
Schnell wurde er wieder dienstlich.»Wir laufen mit der Tide aus.
Ich schlage vor, Dick geht zum Hafen hinunter und ruft ein