Der Piratenfurst: Fregattenkapitan Bolitho in der Java-See - Kent Alexander (прочитать книгу .TXT) 📗
Herrick brullte:»Unter Deck mit dieser Schlampe! Oder ich lasse sie uber Bord schmei?en!«Er sah, wie der Midshipman vor Staunen uber dieses Schauspiel die Augen aufri?, und sagte grob:»Mr. Penn, verschwinden Sie gefalligst!»
Soames grinste, was selten vorkam.»Verletzt das Ihre Gefuhle, Mr. Herrick?»
Der zuckte die Schultern.»Ich wei?, es ist Brauch, den Matrosen im Hafen Weiber und Schnaps zu gestatten. «Er mu?te an seine Schwester denken, die an ihren verdammten Rollstuhl gefesselt war. Was hatte er darum gegeben, wenn sie so hatte laufen konnen wie diese Hafenhure von Portsmouth.»Aber es ekelt mich jedesmal an.»
Soames seufzte.»Sonst wurde die Halfte dieser Bande desertieren, ob sie unterschrieben haben oder nicht. Wenn der Rum knapp wird, ist es mit der Anziehungskraft von Madras schnell vorbei.»
«Um auf Ihre Frage von vorhin zuruckzukommen«, sagte Herrick.»Matrosen, die auf solche Weise an Bord kommen, machen eine Menge boses Blut. Ein fauler Apfel kann das ganze Fa? verderben.»
Soames sah ihn starr an.»Mir scheint, auf diesem Schiff sind die meisten Apfel jetzt schon faul. Die Freiwilligen laufen wahrscheinlich nur ihren Glaubigern davon — oder vielleicht sogar dem Henker. Und welche sind dabei, die wollen blo? sehen, was sie stehlen konnen, wenn sie erst einmal ein paar Meilen von der Obrigkeit entfernt sind.»
«Captain Bolitho ist Obrigkeit genug, Mr. Soames«, entgegnete Herrick.
«Ach so, Sie sind ja schon mit ihm gefahren. Da gab's doch eine Meuterei?»
«Nicht seinetwegen«, erwiderte Herrick mit argerlichem Blick.»Seien Sie so gut und sorgen Sie dafur, da? die neuen Leute Essen und Arbeitskleidung fassen. «Er erkannte Widerstreben im Blick des Zweiten und fuhr fort:»Das ist auch ein Punkt, den der Captain so haben will. Ich kann Ihnen nur raten, sich auf seine Wunsche einzustellen. Dann werden Sie ein leichteres Leben haben.»
Soames ging, und Herrick entspannte sich etwas. In Zukunft durfte er sich nicht so leicht uber Soames argern. Aber jede
Kritik an Bolitho, offen oder versteckt, ging ihm unter die Haut. Bolitho war das Sinnbild fur alles, was Herrick einmal sein wollte. Da? er den einen oder anderen von Bolithos verborgenen Fehlern kannte, vertiefte nur seine Loyalitat. Nachdenklich schuttelte er den Kopf. Es war sogar mehr als Loyalitat.
Er spahte uber die Finknetze zum Land hinuber, auf die regennassen, bleiern glitzernden Mauern der Festung. Jenseits von Portsmouth Point war in dem Dreckwetter kaum noch etwas vom Land zu sehen. Gut, da? es endlich losging. Dann kam zu seinem regularen Sold noch die Seezulage, und die wurde eine Hilfe fur seine Angehorigen sein. In Westindien hatten sie unter Bolitho gutes Prisengeld verdient, und mit seinem Anteil hatte er ein paar Anschaffungen gemacht, die ihnen das Leben etwas erleichterten, bis er zuruckkehrte. Aber wann wurde das sein? In zwei Jahren? Besser, man dachte gar nicht daruber nach.
Gekrummt kam ein Schiffsjunge durch den Regen zum unbemannten Steuerrad gerannt, drehte die Sanduhr um und wartete darauf, da? Herrick glaste. Es war Zeit, die diensttuende Wache unter Deck zu schicken. Herrick verzog das Gesicht. In der Offiziersmesse wurde es auch nicht viel gemutlicher sein als im Mannschaftslogis. Soames wurde stumm vor sich hin bruten. Davy wurde ihn mit irgendwelchen scharfzungigen Redensarten anzuzapfen versuchen. Giles Bellairs, der Hauptmann der Seesoldaten, wurde inzwischen schon leicht angetrunken sein, denn er wu?te, da? sein bulliger Sergeant mit der kleinen Abteilung ganz gut allein fertig wurde. Triphook wurde vermutlich in Berechnungen uber die Dienstkleidung der Neuen vertieft sein. Typisch fur den Zahlmeister: Er konnte die bevorstehende Reise Meile fur Meile in Salzfleisch, Speck, eisenhartem Schiffszwieback, Zitronensaft gegen Skorbut, Bier und Schnaps (zur Aufbesserung des Trinkwassers, das bald genug von allerlei Lebewesen wimmeln wurde) und all den tausend Kleinigkeiten, fur die er verantwortlich war, in aller Seelenruhe vorausplanen. Aber eine Garnitur Dienstkleidung fur Manner, die noch eigene Fetzen auf dem Leib trugen, das war zu viel fur seine Wertbegriffe. Doch er wurde es schon noch lernen, wenn Bolitho das Schiff erst einmal zum Leben erweckt hatte. Rufe kamen von Land her, und Midshipman Penn piepste angstlich:»Pardon, Sir, aber ich furchte, der Schiffsarzt ist in Schwierigkeiten.»
Herrick runzelte die Stirn, Der Schiffsarzt hie? Charles Whitmarsh: ein Mann von Kultur, aber mit Problemen. Nach Herricks Erfahrungen waren die meisten Schiffsarzte blo?e Schlachter. Wer sonst wurde zur See gehen und sich nach einer Seeschlacht mit blutigen, zerfetzten, schreienden, sterbenden Mannern befassen wollen? In Friedenszeiten mochte das anders sein. Aber Whitmarsh war leider ein Saufer. Dort unten in dem dumpelnden Dingi bemuhten sich der Bootsmannsmaat und zwei Matrosen, dem Arzt einen doppelten Palstek umzulegen, damit er besser an Bord kam. Er war ein gro?er, kraftiger Mann, fast so gro? wie Soames, und sein Gesicht gluhte in dem grauen Licht so rot wie die Uniform eines Seesoldaten.
«Lassen Sie ein Frachtnetz abfieren, Mr. Penn«, befahl Herrick unwillig.»Nicht sehr gentlemanlike, aber das Gestrampel da unten ist auch nicht gerade vornehm.»
Schlie?lich war Whitmarsh auf dem Geschutzdeck gelandet, mit wirren Haaren und dem strahlenden Grinsen des Betrunkenen. Einer seiner Sanitatsgasten und zwei Seesoldaten schalten ihn aus dem Netz und schafften ihn unter Deck. Jetzt wurde er in seinem kleinen Lazarett ein paar Stunden schlafen und dann wieder von vorn mit Trinken anfangen.
«Ist er krank, Sir?«fragte Penn angstlich.
Herrick sah den Knaben ernsthaft an.»Ein bi?chen blau, mein Junge. Aber einen Arm oder ein Bein abschneiden, das konnte er wohl noch. «Er tippte Penn auf die Schulter.»Gehen Sie unter Deck. Ihre Ablosung mu? gleich kommen.»
Er blickte hinter dem Davoneilenden her und mu?te wieder grinsen. Nur schwer konnte er sich vorstellen, da? er selbst einmal wie Penn gewesen war: unsicher, angstlich und voll knabenhafter Illusionen, die eine nach der anderen durch das, was er sah und horte, verloren gingen.
Da rief ein Seesoldat:»Wachtboot legt im Bootshafen ab,
Sir!»
«Schon«, nickte Herrick. Das hie?: Order fur die Undine. Seine Blicke schweiften uber das Schiff, zwischen die hohen, in der Dunung dippenden Masten, uber das straffe Gewirr der Takelage und die sauber gerefften Segel bis zum Bugspriet, unter dem die Gallionsfigur, eine vollbusige Seejungfrau, blicklos in die Ferne starrte. Es hie? auch, da? Bolitho zuruckkommen wurde. Und zwar heute.
Mehr brauchte Thomas Herrick nicht zu wissen.
II Anker auf!
Richard Bolitho stand im Windschutz der Steinmauer des Bootshafens und spahte durch den eiskalten Regen. Es war Nachmittag, aber der Himmel hing so voll niedriger Wolken, da? man glauben konnte, es sei schon Abend.
Er war mude und steif von der langen Fahrt in der Postkutsche, bei der er sich zu allem anderen noch uber seine beiden Reisegefahrten geargert hatte: Kaufleute aus der Londoner City. Bei jedem Pferdewechsel oder auch sonst in einem der zahlreichen Wirtshauser an der Chaussee nach Portsmouth hatten sie sich eine Erfrischung genehmigt und waren dabei immer lauter und vergnugter geworden. Sie wollten mit einem Postschiff nach Frankreich, um dort neue Geschaftsverbindungen anzuknupfen und, wenn sie Gluck hatten, ihre Handelsbeziehungen ein gutes Stuck zu erweitern. Fur Bolitho war das immer noch schwer zu verstehen. Noch vor einem Jahr war der Armelkanal die einzige Barriere zwischen seinem Land und dem Feind gewesen: der letzte Festungsgraben, wie eine Zeitung es ausgedruckt hatte. Manner vom Schlage seiner beiden Mitpassagiere schienen das inzwischen vergessen zu haben. Fur sie war der Kanal nur noch ein argerliches Hindernis, das ihre Geschaftsreisen unbequemer und zeitraubender machte.