Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander (читать книги полностью без сокращений бесплатно txt) 📗
Mackenzie, der dienstalteste Messesteward, begegnete ihm mit aufmunterndem Lacheln. Er hatte seinen Dienst als Toppsgast aufgeben mussen, als er aus der Takelage fiel und infolge eines dreifachen Beinbruches furs Leben zum Kruppel wurde. Mackenzie geno? es, von jedermann bemitleidet zu werden, und seine Verletzung hatte ihm immerhin zu einer so bequemen Stellung verhelfen, wie manch einer auf des Konigs Schiffen sie sich gewunscht hatte.
«Ich habe noch etwas Kaffee, Sir, kochend hei?!«Er hatte denselben weichen, schottischen Akzent wie Cairns. Bolitho schalte sich aus seinem Uberrock und reichte diesen samt seinem Hut dem Schiffsjungen Logan, der den Messestewards half.
«Nehme ich gern, danke.»
Die Offiziersmesse, die sich am Heck uber die ganze Schiffsbreite erstreckte, war voll ziehender Rauchschwaden und roch nach dem ihr eigentumlichen Gemisch von Wein und Kase. Die gro?en Heckfenster ganz achtern waren schon in Dunkelheit getaucht, nur beim Uberholen sah man gelegentlich ein Licht auftauchen wie einen verirrten Stern.
Kleine Kabinen saumten die Seiten, Verschlagen ahnlich, kaum mehr als Schutzwande, die man abri?, wenn das Schiff gefechtsklar gemacht wurde: winzige Schutzhafen der Privatsphare, die des Eigners Koje, Seekiste und ein bi?chen Platz zum Aufhangen der Garderobe enthielten. Au?er den Arrestzellen waren dies die einzigen Raume des Schiffes, in denen man einmal fur sich allem sein konntet
Direkt daruber, in einer Kabine, die in ihrer Gro?e etwa dem Gesamtraum der ubrigen Offizierskabinen entsprach, lag das Reich des Kommandanten. Im selben Deck waren auch der Erste Offizier und der Navigationsoffizier untergebracht, damit sie in der Nahe des Achterdecks und des Ruders logierten.
Aber hier in der Messe verbrachten sie alle gemeinsam ihre wachfreie Zeit, diskutierten ihre Probleme, ihre Hoffnungen, ihre Befurchtungen, nahmen ihre Mahlzeiten ein und tranken ihren
Wein: die sechs Wachoffiziere, zwei Marineinfanterieoffiziere, der Navigationsoffizier, der Zahlmeister und der Arzt. Die Messe war sicherlich sehr eng fur so viele Menschen, aber verglichen mit den Quartieren unter der Wasserlinie, in denen die Kadetten, Fahnriche, Deckoffiziere und Spezialisten wohnten — ganz zu schweigen von der Unterbringung der gemeinen Seeleute und Seesoldaten — war sie geradezu luxurios.
Dalyell, der Funfte Offizier, sa? mit gekreuzten Beinen, die Fu?e auf einem kleinen Fa?, unter den Heckfenstern. In einer Hand hielt er eine lange Tonpfeife.
«George Probyn war wohl wieder blau, Dick?»
Bolitho grinste.»Es wird allmahlich zur Gewohnheit.»
Sparke, der Zweite Offizier, ein Mann mit strengem Gesicht und einer munzgro?en Narbe auf der Wange, sagte:»Ich wurde ihn vor den Captain bringen, wenn ich hier der Senior ware. «Er wandte sich wieder seinem zerlesenen Zeitungsblatt zu und fuhr dann heftig fort:»Diese verdammten Rebellen scheinen zu machen, was sie wollen! Zwei weitere Transporte uberfallen, genau vor den Nasen unserer Fregatten, eine Brigg aus dem Hafen verschleppt, durch eins ihrer verdammten Kaperschiffe! Wir gehen viel zu sanft mit ihnen um!»
Bolitho setzte sich und streckte die Beine aus, dankbar, nicht mehr dem kalten Wind ausgesetzt zu sein, obgleich er wu?te, da? die Illusion von Warme bald wieder schwinden wurde.
Sein Kopf sackte vornuber, und als Mackenzie den Kaffee brachte, mu?te er ihn an der Schulter wachrutteln.
In geselligem Schweigen entspannten sich hier die Offiziere der Trojan und taten, wozu sie Lust hatten. Einige lasen, andere schrieben nach Hause — Briefe, die moglicherweise den Empfanger nie erreichten.
Bolitho trank den Kaffee und bemuhte sich, den Schmerz in seiner Stirn zu ignorieren. Gedankenversunken strich er sich die widerspenstige Stirnlocke vom rechten Auge. Das schwarze Haar verdeckte eine blauliche Narbe, die Ursache seines Kopfschmerzes. Er hatte sie sich wahrend seiner Zeit auf der Destiny geholt. Oft kam es wieder uber ihn, in Augenblicken wie diesem: die Illusion von Sicherheit, dann das plotzliche Getrappel von Fu?en, das
Schlagen und Hacken von Waffen. Der heftige Schmerz, das Blut, die jahe Nacht.
Es klopfte an die au?ere Tur, und kurz darauf sagte Mackenzie zu Sparke, dem dienstaltesten anwesenden Offizier:»Verzeihung, Sir, der Fahnrich der Wache ist hier.»
Dieser stapfte so vorsichtig in die Messe, als schritte er uber kostbare Seidenteppiche.
Sparke fragte kurz angebunden:»Was gibt es, Mr. Forbes?»
«Der Erste Offizier bittet alle Offiziere um zwei Glasen* in die Kommandantenkabine.»
«Ist gut. «Sparke wartete, bis die Tur geschlossen war.»Jetzt werden wir's erfahren, meine Herren. Vielleicht gibt es Wichtiges fur uns zu tun.»
Anders als Cairns konnte der Zweite Offizier das plotzliche Aufleuchten seiner Augen nicht verbergen: dies bedeutete Beforderung, Prisengeld oder auch nur die Aussicht auf eigenen Einsatz, anstatt immer nur von anderen daruber zu horen.
Er sah Bolitho an.»Ich rate Ihnen, ein reines Hemd anzuziehen. Der Captain scheint Sie besonders im Auge zu haben.»
Bolitho streifte beim Aufstehen mit dem Kopf den Decksbalken. Zwei Jahre war er jetzt an Bord, aber au?er bei einem Essen in der Kajute zur Feier der Wiederindienststellung des Schiffes in Bristol hatte er die soziale Barriere zum Kommandanten nie uberschritten: einem strengen, verschlossenen Mann, der trotzdem eine geradezu unheimliche Kenntnis von allem zu besitzen schien, was sich in den verschiedenen Decks seines Schiffes abspielte.
Dalyell klopfte sorgfaltig seine Pfeife aus und bemerkte:
«Vielleicht mag er dich wirklich, Dick.»
Raye, der Leutnant der Marineinfanterie, gahnte.
«Ich glaube nicht, da? er uberhaupt menschlicher Regungen fahig ist.»
Sparke eilte in seine Kabine, es widerstrebte ihm, in die Kritik an der Obrigkeit hineingezogen zu werden.»Er ist der Kommandant, er bedarf keiner menschlichen Regungen«, stellte er abschlie?end
fest.
Kapitan zur See Gilbert Brice Pears las die letzte Eintragung im
* in diesem Fall neun Uhr abends
Logbuch und setzte dann seine Unterschrift darunter, die von Teakle, seinem Sekretar, hastig getrocknet wurde.
Drau?en, au?erhalb der Heckfenster, schienen Hafen und Stadt weit entfernt und ohne die geringste Verbindung zu dieser geraumigen, hell erleuchteten Kajute. Sie war geschmackvoll mobliert, und im angrenzenden Speiseraum war schon zum Abendessen gedeckt. Foley, der Kommandantensteward, stand, adrett in blauem Jackett und wei?er Hose bereit, seinen Herrn zu bedienen.
Kapitan Pears lehnte sich im Sessel zuruck und betrachtete die Kabine, jedoch ohne sie wirklich zu sehen. Nach zwei Jahren kannte er sie genau.
Er war zweiundvierzig Jahre alt, wirkte aber alter. Untersetzt, ja sogar vierschrotig, war er genauso machtig und beeindruckend wie die Trojan selbst.
Er hatte Gerede unter seinen Offizieren gehort, das schon fast auf Unzufriedenheit hinauslief. Der Krieg — als solcher mu?te er jetzt wohl angesehen werden — schien sie zu ubergehen. Pears war jedoch Realist und wu?te, da? die Zeit noch kommen wurde, da er und sein Schiff so eingesetzt werden wurden, wie es beabsichtigt gewesen war, als Trojans stattlicher Kiel vor genau neun Jahren zum ersten Mal Salzwasser gekostet hatte. Kaperschiffe und Sto?truppunternehmen waren eine Sache, wenn aber die Franzosen offen in den Konflikt eingriffen und ihre Linienschiffe in diesen Gewassern operierten, war dies etwas ganz anderes; die Trojan und ihre schweren Schwesterschiffe konnten dann ihren wahren Wert zeigen.
Er blickte auf, als der vor der Kajutstur Posten stehende Seesoldat die Hacken zusammenknallte; einen Augenblick spater trat der Erste Offizier ein.
«Ich habe in der Messe Bescheid sagen lassen, Sir. Alle Offiziere werden punktlich hier sein.»
«Gut.»
Pears brauchte seinen Steward kaum anzusehen, und schon war dieser bei ihm und schenkte zwei gro?e Glaser Bordeaux ein.