Der Brander: Admiral Bolitho im Kampf um die Karibik - Kent Alexander (читать книги txt) 📗
Bolitho trat aus dem Schatten der Poop nach vorn zur Querreling. Rund um ihn gingen halbnackte Seeleute ihrer Arbeit nach, die auf einem Kriegsschiff nie ein Ende fand, und warfen ihrem Admiral neugierige Blicke zu. Sie konnten sich nur schwer an die Anwesenheit eines Flaggoffiziers gewohnen und verstanden schon gar nicht, da? er sich nicht seinem Rang entsprechend kleidete. Wie die anderen Offiziere trug Bolitho lediglich ein Hemd, offen bis zur Brust, und Breeches. Nur zu gern hatte er auch diese abgelegt, um sich bei der Hitze Erleichterung zu verschaffen. Aber das ware denn doch zu weit gegangen.
Er blickte nach oben und studierte ein Segel nach dem anderen. Im Augenblick standen alle voll, trotzdem konnten sie jederzeit wieder kraftlos einfallen — wie die meiste Zeit, seit sie Boston verlassen hatten.
Daran dachte Bolitho nicht gern zuruck. Warum hatte Nancy geschrieben und nicht Belinda? Traf zu, was Keen gesagt hatte, oder sollte der Brief ihn nur auf noch schlechtere Nachrichten vorbereiten?
Belinda war also krank. Es konnte auch ein Ubel aus ihrer Zeit in Indien sein, wo sie ihren kranken ersten Mann bis zu seinem Tode gepflegt hatte.
Bolitho wanderte auf den wei?gescheuerten Decksplanken auf und ab, die in den 21 Jahren, die das Schiff schon auf dem Buckel hatte, von Tausenden nackter Fu?e geglattet worden waren.
Gewaltsam verdrangte er Falmouth aus seinen Gedanken, aber statt dessen fiel ihm sein Neffe ein.
Bolitho hatte alles darum gegeben, noch in Boston bleiben zu konnen, um auf weitere Nachrichten von Belinda zu warten und darauf, da? Adam an Bord zuruckkehrte. Ihm die Reise nach Newburyport zu erlauben, war ohnehin ein Fehler gewesen. Vielleicht hatte Keen auch in diesem Punkt recht gehabt, genau wie Browne. Er hatte nicht einen so nahen Verwandten zu seinem Adjutanten machen durfen.
Keen trat zu ihm an die Reling.»Der Wind steht durch, Sir«, meinte er.
Acht Tage — die langsten Tage, an die Keen sich erinnern konnte — hatte er das Schiff nach Suden gequalt und jeden Fetzen Tuch gesetzt, um wenigstens einen Knoten mehr Fahrt herauszuholen. Trotzdem hatten sie nur jammerliche Etmale [8] erzielt, und er glaubte zu spuren, da? Quantock ihn standig mit dem fruheren Kommandanten verglich. Das Mi?vergnugen seines Ersten scherte Keen wenig, mehr bekummerte ihn schon der Umstand, da? Bolitho kein einziges Wort der Kritik geau?ert hatte. Aber auch er mu?te wissen, da? der Wind in dieser Weltgegend ein unzuverlassiger Geselle war und einen meist gerade dann in Stich lie?, wenn man ihn am dringendsten brauchte.
Bolitho blickte zum Verklicker auf, der unlustig flappte.
«Also morgen, Val.»
«Aye, Sir. Mr. Knocker hat mir versichert, da? wir um Mittag auf der Hohe von San Felipe stehen, wenn der Wind so bleibt. «Keens Stimme horte man die Erleichterung an.
Bolitho blickte hinaus auf die schwach bewegte See, aus der ab und zu eine Gischtfeder wuchs, die ein springender Fisch aufwarf. Wie Keen hatte er die See- und Landkarten von San Felipe so eingehend studiert, da? er sie auch geschlossenen Auges vor sich sah: funfzig Meilen lang, aber hochstens zwanzig Meilen breit, wurde die Insel von einem erloschenen Vulkan beherrscht und wies an ihrer Sudseite einen weitlaufigen Naturhafen auf. Gefahrliche Riffe verwehrten die Zufahrt von Norden her, und ein weiterer Korallengurtel schutzte die kleine Nebeninsel auf der gegenuberliegenden Seite. Ein gro?artiges Versteck, auch ohne die alte Festung, die die Einfahrt nach Rodney's Harbour beherrschte. An Su?wasser bestand kein Mangel, und die reiche Ernte an Zuckerrohr und Kaffeebohnen erhohte noch den Wert der Insel. Wieder ertappte sich Bolitho bei dem Gedanken, da? er Gouverneur Rivers' Meinung teilte: Es war widersinnig, die Insel den Franzosen zuruckzugeben.
Keen sagte gerade:»Bei dieser Windrichtung werde ich den Hafen von Sudost ansteuern, Sir. Bin froh, da? wir nicht im Dunkeln einlaufen mussen.»
Das klang beilaufig, aber Bolitho horte doch Keens Sorge um sein Schiff heraus. In den Gewassern um San Felipe verkehrten Briggs und Schoner, aber ein Linienschiff, auch wenn es nur ein kleiner 64er war, brauchte mehr Platz zum Manovrieren.
«Ich mochte so bald wie moglich an Land gehen und beim Gouverneur vorsprechen«, sagte Bolitho.»Wir wissen, da? Duncan einen Wortwechsel mit ihm hatte.»
Auf dem Seitendeck sah Bolitho Midshipman Evans am Segelmacher und seinen Gehilfen vorbeihasten; der Junge wandte sich um und starrte zum Achterdeck zuruck, dann lief er so schnell er konnte weiter und verschwand im nachsten Niedergang.
«Heute nacht ist wieder einer von den Verwundeten der Sparrow-hawk gestorben, Sir«, berichtete Keen.
Bolitho nickte. Noch ein Opfer. Die Segelmacher wurden es in eine alte Hangematte einnahen, damit es bei Sonnenuntergang bestattet werden konnte.
«Midshipman Evans soll sich bei meinem Sekretar melden«, wies er Keen an.»Die Arbeit fur mich wird ihn ablenken.»
Damit wandte er sich um und marschierte auf und ab, bis ihm das Hemd klitschna? am Leib klebte.
«An Deck!»
Keen blickte in die Takelage auf, mu?te aber die Augen vor der grellen Sonne beschatten.
Aus dem Krahennest im Gro?mast sang der Ausguckposten:»Land in Lee voraus!»
Mit einem Grinsen wandte sich Keen dem Master zu.»Gut gemacht, Mr. Knocker. Wir bleiben auf diesem Bug, bis wir die Hafeneinfahrt anliegen konnen.»
Knocker grunzte nur; sein hageres Monchsgesicht verriet weder Genugtuung noch Arger.
«Ich lasse den Toten wahrend der Hundewache uber Bord gehen, Sir. «Quantock konnte sich trotz seiner Gro?e und Unbeholfenheit manchmal so lautlos bewegen wie eine Katze.
Keen fuhr herum und bemuhte sich, die Abneigung gegen seinen Stellvertreter zu unterdrucken.
«Wir werden ihn mit den gebotenen Ehren bestatten, Mr. Quantock. Lassen Sie die Freiwache in der Abenddammerung nach achtern purren.»
Der Leutnant zuckte mit den Schultern.»Wenn Sie meinen, Sir? Schlie?lich war er nicht einer von uns.»
Keen sah, wie Yovell den kleinen Midshipman in die Achterkajute fuhrte, und sagte scharf:»Er war ein Mensch, Mr. Quantock!»
Als die Nacht uber die Kimm kroch und das langsam dahinziehende Schiff einzuhullen begann, erwies die Achates ihrem Toten die letzte Ehre.
Bolitho hatte seine Uniform angelegt und stand neben Keen, der im Licht einer Windlaterne einige Satze aus der Bibel verlas, obwohl er sie wahrscheinlich auswendig kannte. Bolitho sah, da? der Bootsmannsgehilfe, der die Laterne hielt, jener Mann von der alten Lysan-der war, mit dem er Erinnerungen uber die Schlacht von Abukir ausgetauscht hatte.
Am nachtlichen Horizont war die Insel bereits verschwunden. Den ganzen Tag war sie langsam uber die scharfe, dunkelblaue Kimm gestiegen, hatte an Kontur und Breite zugenommen, als wachse sie ihnen entgegen.
«Machen Sie weiter, Mr. Rooke«, sagte Keen.
Bolitho horte den Toten von der Grating rutschen und mit lautem Klatschen neben der Bordwand aufschlagen; von einer Kanonenkugel beschwert, trat er nun seine letzte Reise zum Meeresgrund an.
Ein Schauder uberlief Bolitho, und er fuhlte wieder den stechenden Schmerz in seiner alten Schenkelwunde.
Ein Seesoldat faltete bereits die Nationalflagge zusammen, die den Toten bedeckt hatte; die Freiwache schlurfte in ihr Logis. Der wachhabende Offizier hatte es eilig, abgelost zu werden und ebenfalls in die Messe zu seinen Kameraden zu kommen. Das gewohnte Bordleben nahm seinen Fortgang — wie immer.
Aber Bolitho sah vor sich, wie das jammerliche Bundel Mensch achteraus langsam tiefer sank, und horte wieder die gefuhllosen Worte des Ersten und Keens wutende Zurechtweisung.
Nicht einer von uns.
Der nachste, dachte er bitter, wird einer von uns sein.
Der Himmel uber der Massachusetts Bay wirkte drohender, als ihn Adam wahrend ihrer langen Liegezeit jemals erlebt hatte.
8
Etmal = die von Mittag bis zum nachsten Mittag zuruckgelegte Strecke