Hermann und Dorothea - Goethe Johann Wolfgang (лучшие книги читать онлайн бесплатно без регистрации .TXT) 📗
Terpsichore
Hermann
Als nun der wohlgebildete Sohn ins Zimmer hereintrat,
Schaute der Prediger ihm mit scharfen Blicken entgegen
Und betrachtete seine Gestalt und sein ganzes Benehmen
Mit dem Auge des Forschers, der leicht die Mienen entratselt,
Lachelte dann und sprach zu ihm mit traulichen Worten:
«Kommt Ihr doch als ein veranderter Mensch! Ich habe noch niemals
Euch so munter gesehn und Eure Blicke so lebhaft.
Frohlich kommt Ihr und heiter; man sieht, Ihr habet die Gaben
Unter die Armen verteilt und ihren Segen empfangen.»
Ruhig erwiderte drauf der Sohn, mit ernstlichen Worten:
«Ob ich loblich gehandelt? ich wei? es nicht; aber mein Herz hat
Mich gehei?en zu tun, so wie ich genau nun erzahle.
Mutter, Ihr kramtet so lange, die alten Stucke zu suchen
Und zu wahlen; nur spat war erst das Bundel zusammen,
Auch der Wein und das Bier ward langsam, sorglich gepacket.
Als ich nun endlich vors Tor und auf die Stra?e hinauskam,
Stromte zuruck die Menge der Burger mit Weibern und Kindern,
Mir entgegen; denn fern war schon der Zug der Vertriebnen.
Schneller hielt ich mich dran und fuhr behende dem Dorf zu,
Wo sie, wie ich gehort, heut ubernachten und rasten.
Als ich nun meines Weges die neue Stra?e hinanfuhr,
Fiel mir ein Wagen ins Auge, von tuchtigen Baumen gefuget,
Von zwei Ochsen gezogen, den gro?ten und starksten des Auslands,
Nebenher aber ging mit starken Schritten ein Madchen,
Lenkte mit langem Stabe die beiden gewaltigen Tiere,
Trieb sie an und hielt sie zuruck, sie leitete kluglich.
Als mich das Madchen erblickte, so trat sie den Pferden gelassen
Naher und sagte zu mir: ›Nicht immer war es mit uns so
Jammervoll, als Ihr uns heut auf diesen Wegen erblicket.
Noch nicht bin ich gewohnt, vom Fremden die Gabe zu heischen,
Die er oft ungern gibt, um los zu werden den Armen;
Aber mich dranget die Not, zu reden. Hier auf dem Strohe
Liegt die erst entbundene Frau des reichen Besitzers,
Die ich mit Stieren und Wagen noch kaum, die Schwangre, gerettet.
Spat nur kommen wir nach, und kaum das Leben erhielt sie.
Nun liegt, neugeboren, das Kind ihr nackend im Arme,
Und mit wenigem nur vermogen die Unsern zu helfen,
Wenn wir im nachsten Dorf, wo wir heute zu rasten gedenken,
Auch sie finden, wiewohl ich furchte, sie sind schon voruber.
War' Euch irgend von Leinwand nur was Entbehrliches, wenn Ihr
Hier aus der Nachbarschaft seid, so spendet's gutig den Armen.‹
Also sprach sie, und matt erhob sich vom Strohe die bleiche
Wochnerin, schaute nach mir; ich aber sagte dagegen:
›Guten Menschen furwahr spricht oft ein himmlischer Geist zu,
Da? sie fuhlen die Not, die dem armen Bruder bevorsteht;
Denn so gab mir die Mutter, im Vorgefuhle von eurem
Jammer, ein Bundel, sogleich es der nackten Notdurft zu reichen.‹
Und ich loste die Knoten der Schnur und gab ihr den Schlafrock
Unsers Vaters dahin, und gab ihr Hemden und Leintuch.
Und sie dankte mit Freuden und rief: ›Der Gluckliche glaubt nicht,
Da? noch Wunder geschehn; denn nur im Elend erkennt man
Gottes Hand und Finger, der gute Menschen zum Guten
Leitet. Was er durch Euch an uns tut, tu er Euch selber.‹
Und ich sah die Wochnerin froh die verschiedene Leinwand,
Aber besonders den weichen Flanell des Schlafrocks befuhlen.
›Eilen wir‹, sagte zu ihr die Jungfrau, ›dem Dorf zu, in welchem
Unsre Gemeine schon rastet und diese Nacht durch sich aufhalt;
Dort besorg ich sogleich das Kinderzeug, alles und jedes.‹
Und sie gru?te mich noch und sprach den herzlichsten Dank aus,
Trieb die Ochsen; da ging der Wagen. Ich aber verweilte,
Hielt die Pferde noch an; denn Zwiespalt war mir im Herzen,
Ob ich mit eilenden Rossen das Dorf erreichte, die Speisen
Unter das ubrige Volk zu spenden, oder sogleich hier
Alles dem Madchen gabe, damit sie es weislich verteilte.
Und ich entschied mich gleich in meinem Herzen und fuhr ihr
Sachte nach und erreichte sie bald und sagte behende:
›Gutes Madchen, mir hat die Mutter nicht Leinwand alleine
Auf den Wagen gegeben, damit ich den Nackten bekleide,
Sondern sie fugte dazu noch Speis' und manches Getranke,
Und es ist mir genug davon im Kasten des Wagens.
Nun bin ich aber geneigt, auch diese Gaben in deine
Hand zu legen, und so erfull ich am besten den Auftrag;
Du verteilst sie mit Sinn, ich mu?te dem Zufall gehorchen.‹
Drauf versetzte das Madchen: ›Mit aller Treue verwend ich
Eure Gaben; der Durftige soll sich derselben erfreuen.‹
Also sprach sie. Ich offnete schnell die Kasten des Wagens,
Brachte die Schinken hervor, die schweren, brachte die Brote,
Flaschen Weines und Biers, und reicht' ihr alles und jedes.
Gerne hatt' ich noch mehr ihr gegeben; doch leer war der Kasten.
Alles packte sie drauf zu der Wochnerin Fu?en und zog so
Weiter; ich eilte zuruck mit meinen Pferden der Stadt zu.»
Als nun Hermann geendet, da nahm der gesprachige Nachbar
Gleich das Wort und rief:»O glucklich, wer in den Tagen
Dieser Flucht und Verwirrung in seinem Haus nur allein lebt,
Wem nicht Frau und Kinder zur Seite bange sich schmiegen!
Glucklich fuhl ich mich jetzt; ich mocht' um vieles nicht heute
Vater hei?en und nicht fur Frau und Kinder besorgt sein.
Ofters dacht' ich mir auch schon die Flucht und habe die besten
Sachen zusammengepa?t, das alte Geld und die Ketten
Meiner seligen Mutter, das alles noch heilig verwahrt liegt.
Freilich bliebe noch vieles zuruck, das so leicht nicht geschafft wird.
Selbst die Krauter und Wurzeln, mit vielem Flei?e gesammelt,
Mi?t' ich ungern, wenn auch der Wert der Ware nicht gro? ist.
Bleibt der Provisor zuruck, so geh ich getrostet von Hause.
Hab ich die Barschaft gerettet und meinen Korper, so hab ich
Alles gerettet; der einzelne Mann entfliehet am leichtsten.»
«Nachbar«, versetzte darauf der junge Hermann mit Nachdruck,
«Keinesweges denk ich wie Ihr und tadle die Rede.
Ist wohl der ein wurdiger Mann, der im Gluck und im Ungluck
Sich nur allein bedenkt und Leiden und Freuden zu teilen
Nicht verstehet und nicht dazu von Herzen bewegt wird?
Lieber mocht' ich als je mich heute zur Heirat entschlie?en;
Denn manch gutes Madchen bedarf des schutzenden Mannes
Und der Mann des erheiternden Weibs, wenn ihm Ungluck bevorsteht.»
Lachelnd sagte darauf der Vater:»So hor ich dich gerne!
Solch ein vernunftiges Wort hast du mir selten gesprochen.»
Aber es fiel sogleich die gute Mutter behend ein:
«Sohn, furwahr! du hast recht; wir Eltern gaben das Beispiel.
Denn wir haben uns nicht an frohlichen Tagen erwahlet,
Und uns knupfte vielmehr die traurigste Stunde zusammen.
Montag morgens — ich wei? es genau, denn Tages vorher war
Jener schreckliche Brand, der unser Stadtchen verzehrte -
Zwanzig Jahre sind's nun; es war ein Sonntag wie heute,
Hei? und trocken die Zeit und wenig Wasser im Orte.
Alle Leute waren, spazierend in festlichen Kleidern,
Auf den Dorfern verteilt und in den Schenken und Muhlen.
Und am Ende der Stadt begann das Feuer. Der Brand lief
Eilig die Stra?en hindurch, erzeugend sich selber den Zugwind.
Und es brannten die Scheunen der reich gesammelten Ernte,
Und es brannten die Stra?en bis zu dem Markt, und das Haus war
Meines Vaters hierneben verzehrt und dieses zugleich mit.
Wenig fluchteten wir. Ich sa?, die traurige Nacht durch,
Vor der Stadt auf dem Anger, die Kasten und Betten bewahrend;
Doch zuletzt befiel mich der Schlaf, und als nun des Morgens
Mich die Kuhlung erweckte, die vor der Sonne herabfallt,
Sah ich den Rauch und die Glut und die hohlen Mauern und Essen.
Da war beklemmt mein Herz; allein die Sonne ging wieder
Herrlicher auf als je und flo?te mir Mut in die Seele.
Da erhob ich mich eilend. Es trieb mich, die Statte zu sehen,
Wo die Wohnung gestanden, und ob sich die Huhner gerettet,
Die ich besonders geliebt; denn kindisch war mein Gemut noch.
Als ich nun uber die Trummer des Hauses und Hofes daherstieg,
Die noch rauchten, und so die Wohnung wust und zerstort sah,
Kamst du zur andern Seite herauf und durchsuchtest die Statte.
Dir war ein Pferd in dem Stalle verschuttet; die glimmenden Balken
Lagen daruber und Schutt, und nichts zu sehn war vom Tiere.
Also standen wir gegeneinander, bedenklich und traurig:
Denn die Wand war gefallen, die unsere Hofe geschieden.
Und du fa?test darauf mich bei der Hand an und sagtest:
›Lieschen, wie kommst du hieher? Geh weg! du verbrennest die Sohlen;
Denn der Schutt ist hei?, er sengt mir die starkeren Stiefeln.‹
Und du hobest mich auf und trugst mich heruber durch deinen
Hof weg. Da stand noch das Tor des Hauses mit seinem Gewolbe,
Wie es jetzt steht; es war allein von allem geblieben.
Und du setztest mich nieder und ku?test mich und ich verwehrt' es.
Aber du sagtest darauf mit freundlich bedeutenden Worten:
›Siehe, das Haus liegt nieder. Bleib hier, und hilf mir es bauen,
Und ich helfe dagegen auch deinem Vater an seinem.‹
Doch ich verstand dich nicht, bis du zum Vater die Mutter
Schicktest und schnell das Gelubd' der frohlichen Ehe vollbracht war.
Noch erinnr' ich mich heute des halbverbrannten Gebalkes
Freudig und sehe die Sonne noch immer so herrlich heraufgehn;
Denn mir gab der Tag den Gemahl, es haben die ersten
Zeiten der wilden Zerstorung den Sohn mir der Jugend gegeben.
Darum lob ich dich, Hermann, da? du mit reinem Vertrauen
Auch ein Madchen dir denkst in diesen traurigen Zeiten
Und es wagtest zu frein im Krieg und uber den Trummern.»
Da versetzte sogleich der Vater lebhaft und sagte:
«Die Gesinnung ist loblich, und wahr ist auch die Geschichte,
Mutterchen, die du erzahlst; denn so ist alles begegnet.
Aber besser ist besser. Nicht einen jeden betrifft es,
Anzufangen von vorn sein ganzes Leben und Wesen;
Nicht soll jeder sich qualen, wie wir und andere taten,
Oh, wie glucklich ist der, dem Vater und Mutter das Haus schon
Wohlbestellt ubergeben und der mit Gedeihen es ausziert!
Aller Anfang ist schwer, am schwersten der Anfang der Wirtschaft.
Mancherlei Dinge bedarf der Mensch, und alles wird taglich