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Clavigo - Goethe Johann Wolfgang (читаем книги бесплатно TXT) 📗

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Vierter Akt

Clavigos Wohnung

Carlos allein.

Es ist loblich, da? man dem Menschen, der durch Verschwendung oder andere Torheiten zeigt, da? sein Verstand sich verschoben hat, von Amts wegen Vormunder setzt. Tut das die Obrigkeit, die sich doch sonst nicht viel um uns bekummert, wie sollten wir's nicht an einem Freunde tun? Clavigo, du bist in ubeln Umstanden! Noch hoff' ich! Und wenn du nur noch halbweg lenksam bist wie sonst, so ist's eben noch Zeit, dich vor einer Torheit zu bewahren, die bei deinem lebhaften, empfindlichen Charakter das Elend deines Lebens machen und dich vor der Zeit ins Grab bringen mu?. Er kommt.

Clavigo nachdenkend.

Clavigo.

Guten Tag, Carlos.

Carlos.

Ein schwermutiges, gepre?tes: Guten Tag! Kommst du in dem Humor von deiner Braut?

Clavigo.

Es ist ein Engel! Es sind vortreffliche Menschen!

Carlos.

Ihr werdet doch mit der Hochzeit nicht so sehr eilen, da? man sich noch ein Kleid dazu kann sticken lassen?

Clavigo.

Scherz oder Ernst, bei unserer Hochzeit werden keine gestickten Kleider paradieren.

Carlos.

Ich glaub's wohl.

Clavigo.

Das Vergnugen an uns selbst, die freundschaftliche Harmonie sollen der Prunk dieser Feierlichkeit sein.

Carlos.

Ihr werdet eine stille, kleine Hochzeit machen?

Clavigo.

Wie Menschen, die fuhlen, da? ihr Gluck ganz in ihnen selbst beruht.

Carlos.

In den Umstanden ist es recht gut.

Clavigo.

Umstanden! Was meinst du mit den Umstanden?

Carlos.

Wie die Sache nun steht und liegt und sich verhalt.

Clavigo.

Hore, Carlos, ich kann den Ton des Ruckhalts an Freunden nicht ausstehen. Ich wei?, du bist nicht fur diese Heirat; demungeachtet, wenn du etwas dagegen zu sagen hast, sagen willst: so sag's geradezu! Wie steht denn die Sache? wie verhalt sie sich?

Carlos.

Es kommen einem im Leben mehr unerwartete, wunderbare Dinge vor, und es ware schlimm, wenn alles im Gleise ginge. Man hatte nichts, sich zu verwundern, nichts, die Kopfe zusammenzusto?en, nichts in Gesellschaft zu verschneiden.

Clavigo.

Aufsehn wird's machen.

Carlos.

Des Clavigo Hochzeit! das versteht sich. Wie manches Madchen in Madrid harrt auf dich, hofft auf dich, und wenn du ihnen nun diesen Streich spielst?

Clavigo.

Das ist nun nicht anders.

Carlos.

Sonderbar ist's. Ich habe wenig Manner gekannt, die so gro?en und allgemeinen Eindruck auf die Weiber machten als du. Unter allen Standen gibt's gute Kinder, die sich mit Planen und Aussichten beschaftigen, dich habhaft zu werden. Die eine bringt ihre Schonheit in Anschlag, die ihren Reichtum, ihren Stand, ihren Witz, ihre Verwandte. Was macht man mir nicht um deinetwillen fur Komplimente! Denn wahrlich, weder meine Stumpfnase, noch mein Krauskopf, noch meine bekannte Verachtung der Weibe, kann mir so was zuziehen.

Clavigo.

Du spottest.

Carlos.

Wenn ich nicht schon Vorschlage, Antrage in Handen gehabt hatte, geschrieben von eignen zartlichen, kritzlichen Pfotchen, so unorthographisch, als ein originaler Liebesbrief eines Madchens nur sein kann. Wie manche hubsche Duenna ist mir bei der Gelegenheit unter die Finger gekommen!

Clavigo.

Und du sagtest mir von allen dem nichts?

Carlos.

Weil ich dich mit leeren Grillen nicht beschaftigen wollte, und niemals raten konnte, da? du mit einer einzigen Ernst gemacht hattest. O Clavigo, ich habe dein Schicksal im Herzen getragen wie mein eigenes! Ich habe keinen Freund als dich; die Menschen sind mir alle unertraglich, und du fangest auch an, mir unertraglich zu werden.

Clavigo.

Ich bitte dich, sei ruhig!

Carlos.

Brenn einem das Haus ab, daran er zehen Jahre gebauet hat, und schick ihm einen Beichtvater, der ihm die christliche Geduld empfiehlt! — Man soll sich fur niemand interessieren als fur sich selbst; die Menschen sind nicht wert —

Clavigo.

Kommen deine feindseligen Grillen wieder?

Carlos.

Wenn ich aufs neue ganz drein versinke, wer ist schuld dran als du? Ich sagte zu mir: Was soll ihm jetzt die vorteilhafteste Heirat? ihm, der es fur einen gewohnlichen Menschen weit genug gebracht hatte; aber mit seinem Geist, mit seinen Gaben ist es unverantwortlich — ist es unmoglich, da? er bleibt, was er ist. — Ich machte meine Projekte. Es gibt so wenig Menschen, die so unternehmend und biegsam, so geistvoll und flei?ig zugleich sind. Er ist in alle Facher gerecht; als Archivarius kann er sich schnell die wichtigsten Kenntnisse erwerben, er wird sich notwendig machen, und la?t eine Veranderung vorgehn, so ist er Minister.

Clavigo.

Ich gestehe dir, das waren oft auch meine Traume!

Carlos.

Traume! So gewi? ich den Turm erreiche und erklettere, wenn ich drauf losgehe, mit dem festen Vorsatze, nicht abzulassen, bis ich ihn erstiegen habe, so gewi? hattest du auch alle Schwierigkeiten uberwunden. Und hernach war mir fur das ubrige nicht bang gewesen. Du hast kein Vermogen von Hause, desto besser; das hatte dich auf die Erwerbung eifriger, auf die Erhaltung aufmerksamer gemacht. Und wer am Zoll sitzt, ohne reich zu werden, ist ein Pinsel. Und dann seh ich nicht, warum das Land dem Minister nicht so gut Abgaben schuldig ist als dem Konig. Dieser gibt seinen Namen her und jener die Krafte. Wenn ich denn mit allem dem fertig war, dann sah ich mich erst nach einer Partie fur dich um. Ich sah manch stolzes Haus, das die Augen uber deine Abkunft zugeblinkt hatte, manches der reichsten, das dir gern den Aufwand deines Standes verschafft haben wurde, nur an der Herrlichkeit des zweiten Konigs teilnehmen zu durfen — und nun —

Clavigo.

Du bist ungerecht, du setzest meinen gegenwartigen Zustand zu tief herab. Und glaubst du denn, da? ich mich nicht weiter treiben, nicht auch noch machtigere Schritte tun kann?

Carlos.

Lieber Freund, brich du einer Pflanze das Herz aus, sie mag hernach treiben und treiben, unzahlige Nebenscho?linge — es gibt vielleicht einen starken Busch, aber der stolze konigliche Wuchs des ersten Schusses ist dahin. Und denke nur nicht, da? man diese Heirat bei Hofe gleichgultig ansehen wird. Hast du vergessen, was fur Manner dir den Umgang, die Verbindung mit Marien mi?rieten? Hast du vergessen, wer dir den klugen Gedanken eingab, sie zu verlassen? Soll ich dir sie an den Fingern herzahlen?

Clavigo.

Der Gedanke hat mich auch schon gepeinigt, da? so wenige diesen Schritt billigen werden.

Carlos.

Keiner! Und deine hohen Freunde sollten nicht aufgebracht sein, da? du, ohne sie zu fragen, ohne ihren Rat, dich so geradezu hingegeben hast, wie ein unbesonnener Knabe auf dem Markt sein Geld gegen wurmstichige Nusse wegwirft?

Clavigo.

Das ist unartig, Carlos, und ubertrieben.

Carlos.

Nicht um einen Zug. Denn da? einer aus Leidenschaft einen seltsamen Streich macht, das la? ich gelten. Ein Kammermadchen zu heiraten, weil sie schon ist wie ein Engel! gut, der Mensch wird getadelt, und doch beneiden ihn die Leute.

Clavigo.

Die Leute, immer die Leute.

Carlos.

Du wei?t, ich frage nicht angstlich nach andrer Beifall, doch das ist ewig wahr: wer nichts fur andere tut, tut nichts fur sich; und wenn die Menschen dich nicht bewundern, oder beneiden, bist du auch nicht glucklich.

Clavigo.

Die Welt urteilt nach dem Scheine. O! wer Mariens Herz besitzt, ist zu beneiden!

Carlos.

Was die Sache ist, scheint sie auch. Aber freilich dacht ich, da? das verborgene Qualitaten sein mussen, die dein Gluck beneidenswert machen; denn was man mit seinen Augen sieht, mit seinem Menschenverstande begreifen kann —

Clavigo.

Du willst mich zugrunde richten.

Carlos.

Wie ist das zugegangen? wird man in der Stadt fragen. Wie ist das zugegangen? fragt man bei Hofe. Um Gottes willen, wie ist das zugegangen? Sie ist arm, ohne Stand; hatte Clavigo nicht einmal ein Abenteuer mit ihr gehabt, man wu?te gar nicht, da? sie in der Welt ist. Sie soll artig sein, angenehm, witzig! — Wer wird darum eine Frau nehmen? Das vergeht so in den ersten Zeiten des Ehestands. Ach! sagt einer, sie soll schon sein, reizend, ausnehmend schon. — Da ist's zu begreifen, sagt ein anderer —

Clavigo wird verwirrt, ihm entfahrt ein tiefer Seufzer.

Ach!

Carlos.

Schon? O! sagt die eine, es geht an! Ich hab sie in sechs Jahren nicht gesehn, da kann sich schon was verandern, sagt eine andere. Man mu? doch achtgeben, er wird sie bald produzieren, sagt die dritte. Man fragt, man guckt, man geht zu Gefallen, man wartet, man ist ungeduldig, erinnert sich immer des stolzen Clavigo, der sich nie offentlich sehn lie?, ohne eine stattliche, herrliche, hochaugige Spanierin im Triumph aufzufuhren, deren volle Brust, ihre gluhenden Wangen, ihre hei?en Augen die Welt ringsumher zu fragen schienen: bin ich nicht meines Begleiters wert? und die in ihrem Ubermut den seidnen Schlepprock so weit hinten aus in Wind segeln lie? als moglich, um ihre Erscheinung ansehnlicher und wurdiger zu machen. — Und nun erscheint der Herr — und allen Leuten versagt das Wort im Munde — kommt angezogen mit seiner trippelnden, kleinen, hohlaugigen Franzosin, der die Auszehrung aus allen Gliedern spricht, wenn sie gleich ihre Totenfarbe mit Wei? und Rot uberpinselt hat. O Bruder, ich werde rasend, ich laufe davon, wenn mich nun die Leute zu packen kriegen und fragen und quastionieren und nicht begreifen konnen —

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