Clavigo - Goethe Johann Wolfgang (читаем книги бесплатно TXT) 📗
Funfter Akt
Strasse vor dem Hause Guilberts. Nacht
Das Haus ist offen. Vor der Tur stehen drei in schwarze Mantel gehullte Manner mit Fackeln. Clavigo, in einen Mantel gewickelt, den Degen unterm Arm, kommt. Ein Bedienter geht voraus mit einer Fackel.
Clavigo.
Ich sagte dir's, du solltest diese Stra?e meiden.
Bedienter.
Wir hatten einen gar gro?en Umweg nehmen mussen, und Sie eilen so. Es ist nicht
weit von hier, wo Don Carlos sich aufhalt.
Clavigo.
Fackeln dort?
Bedienter.
Eine Leiche. Kommen Sie, mein Herr.
Clavigo.
Mariens Wohnung! Eine Leiche! Mir fahrt ein Todesschauer durch alle Glieder. Geh, frag, wen sie begraben?
Bedienter geht zu den Mannern.
Wen begrabt ihr?
Die Manner.
Marien Beaumarchais.
Clavigo setzt sich auf einen Stein und verhullt sich.
Bedienter kommt zuruck.
Sie begraben Marien Beaumarchais.
Clavigo aufspringend.
Mu?test du's wiederholen, Verrater! Das Donnerwort wiederholen, das mir alles Mark aus meinen Gebeinen schlagt!
Bedienter.
Stille, mein Herr, kommen Sie! Bedenken Sie die Gefahr, in der Sie schweben!
Clavigo.
Geh in die Holle! ich bleibe.
Bedienter.
O Carlos! O da? ich dich fande, Carlos! Er ist au?er sich!
Ab.
Clavigo. In der Ferne die Leichenmanner.
Clavigo.
Tot! Marie tot! Die Fackeln dort! ihre traurigen Begleiter! — Es ist ein Zauberspiel, ein Nachtgesicht, das mich erschreckt, das mir einen Spiegel vorhalt, darin ich das Ende meiner Verratereien ahndungsweise erkennen soll. — Noch ist es Zeit! Noch! — Ich bebe, mein Herz zerflie?t in Schauer! Nein! Nein! du sollst nicht sterben. Ich komme! Ich komme! — Verschwindet, Geister der Nacht, die ihr so euch mit angstlichen Schrecknissen mir in Weg stellt —
Er geht auf sie los.
Verschwindet! — Sie stehen! Ha! sie sehen sich nach mir um! Weh! Weh mir! es sind Menschen wie ich. — Es ist wahr — Wahr? — Kannst du's fassen? — Sie ist tot — Es ergreift mich mit allem Schauer der Nacht das Gefuhl: sie ist tot! Da liegt sie, die Blume, zu deinen Fu?en — und du — Erbarm dich meiner, Gott im Himmel, ich habe sie nicht getotet! — Verbergt euch, Sterne, schaut nicht hernieder, ihr, die ihr so oft den Missetater saht in dem Gefuhl des innigsten Glucks diese Schwelle verlassen, durch eben diese Stra?e mit Saitenspiel und Gesang in goldnen Phantasieen hinschweben, und sein am heimlichen Gegitter lauschendes Madchen mit wonnevollen Erwartungen entzunden! — und du fullst nun das Haus mit Wehklagen und Jammer! und diesen Schauplatz deines Gluckes mit Grabgesang! — Marie! Marie! nimm mich mit dir! nimm mich mit dir!
Eine traurige Musik tont einige Laute von innen.
Sie beginnen den Weg zum Grabe! — Haltet, haltet! schlie?t den Sarg nicht! La?t mich sie noch einmal sehen!
Er geht auf's Haus los.
Ha! wem, wem wag ich's unters Gesicht zu treten? wem in seinem entsetzlichen Schmerzen zu begegnen? — Ihren Freunden? Ihrem Bruder? dem wutender Jammer den Busen fullt!
Die Musik geht wieder an.
Sie ruft mir! sie ruft mir! Ich komme! — Welche Angst umgibt mich! Welches Beben halt mich zuruck!
Die Musik fangt zum dritten Male an und fahrt fort. Die Fackeln bewegen sich vor der Ture, es treten noch drei andere zu ihnen, die sich in Ordnung reihen, um den Leichenzug einzufassen, der aus dem Hause kommt. Sechs tragen die Bahre, darauf der bedeckte Sarg steht.
Guilbert, Buenco, in tiefer Trauer.
Clavigo hervortretend.
Haltet!
Guilbert.
Welche Stimme!
Clavigo.
Haltet!
Die Trager stehn.
Buenco.
Wer untersteht sich, den ehrwurdigen Zug zu storen?
Clavigo.
Setzt nieder!
Guilbert.
Ha!
Buenco.
Elender! Ist deiner Schandtaten kein Ende? Ist dein Opfer im Sarge nicht sicher vor dir?
Clavigo.
La?t! macht mich nicht rasend! die Unglucklichen sind gefahrlich! Ich mu? sie sehen!
Er wirft das Tuch ab. Marie liegt wei? gekleidet und mit gefalteten Handen im Sarge. Clavigo tritt zuruck und verbirgt sein Gesicht.
Buenco.
Willst du sie erwecken, um sie wieder zu toten?
Clavigo.
Armer Spotter — Marie!
Er fallt vor dem Sarge nieder.
Beaumarchais kommt.
Beaumarchais.
Buenco hat mich verlassen. Sie ist nicht tot, sagen sie, ich mu? sehen, trotz dem Teufel! Ich mu? sie sehen. Fackeln! Leiche!
Er rennt auf sie los, erblickt den Sarg und fallt sprachlos druber hin; man hebt
ihn auf, er ist wie ohnmachtig. Guilbert halt ihn.
Clavigo der an der andern Seite des Sargs aufsteht.
Marie! Marie!
Beaumarchais auffahrend.
Das ist seine Stimme. Wer ruft Marie? Wie mit dem Klang der Stimme sich eine gluhende Wut in meine Adern go?!
Clavigo.
Ich bin's.
Beaumarchais wild hinsehend und nach dem Degen greifend. Guilbert halt ihn.
Clavigo.
Ich furchte deine gluhenden Augen nicht, nicht die Spitze deines Degens! Sieh hierher, dieses geschlossene Auge, diese gefalteten Hande!
Beaumarchais.
Zeigst du mir das?
Er rei?t sich los, dringt auf Clavigo ein, der zieht, sie fechten, Beaumarchais sto?t ihm den Degen in die Brust.
Clavigo sinkend.
Ich danke dir, Bruder! Du vermahlst uns.
Er sinkt auf den Sarg.
Beaumarchais ihn wegrei?end.
Weg von dieser Heiligen, Verdammter!
Clavigo.
Weh!
Die Trager halten ihn.
Beaumarchais.
Blut! Blick auf, Marie, blick auf deinen Brautschmuck, und dann schlie? deine Augen auf ewig. Sieh, wie ich deine Ruhestatte geweiht habe mit dem Blute deines Morders! Schon! Herrlich!
Sophie kommt.
Sophie.
Bruder! Gott! was gibt's?
Beaumarchais.
Tritt naher, Liebe, und schau! Ich hoffte, ihr Brautbette mit Rosen zu bestreuen — sieh die Rosen, mit denen ich sie ziere auf ihrem Wege zum Himmel.
Sophie.
Wir sind verloren!
Clavigo.
Rette dich, Unbesonnener! rette dich, eh der Tag anbricht. Gott, der dich zum Racher sandte, geleite dich! — Sophie — vergib mir! — Bruder — Freunde, vergebt mir!
Beaumarchais.
Wie sein flie?endes Blut all die gluhende Rache meines Herzens ausloscht! wie mit seinem wegfliehenden Leben meine Wut abschwindet!
Auf ihn losgehend.
Stirb, ich vergebe dir!
Clavigo.
Deine Hand! und deine, Sophie! Und Eure!
Buenco zaudert.
Sophie.
Gib sie ihm, Buenco!
Clavigo.
Ich danke dir! du bist die alte! Ich danke euch! Und wenn du noch hier diese Statte umschwebst, Geist meiner Geliebten, schau herab, sieh diese himmlische Gute, sprich deinen Segen dazu, und vergib mir auch! — Ich komme! ich komme! — Rette dich, mein Bruder! Sagt mir, vergab sie mir? Wie starb sie?
Sophie.
Ihr letztes Wort war dein unglucklicher Name. Sie schied weg ohne Abschied von uns.
Clavigo.
Ich will ihr nach, und ihr den eurigen bringen.
Carlos. Ein Bedienter.
Carlos.
Clavigo? Morder!
Clavigo.
Hor mich, Carlos! Du siehest hier die Opfer deiner Klugheit — Und nun, um des Blutes willen, in dem mein Leben unaufhaltsam dahinflie?t! rette meinen Bruder! —
Carlos.
Mein Freund! Ihr steht da? Lauft nach Wundarzten!
Bedienter ab.
Clavigo.
Es ist vergebens. Rette! rette den unglucklichen Bruder! — Deine Hand dadrauf! Sie haben mir vergeben, und so vergeb ich dir. Du begleitest ihn bis an die Grenze, und — ah!
Carlos , mit dem Fu?e stampfend.
Clavigo! Clavigo!
Clavigo, sich dem Sarge nahernd, auf den sie ihn niederlassen.
Marie! deine Hand!
Er entfaltet ihre Hande, und fa?t die rechte.
Sophie zu Beaumarchais.
Fort, Unglucklicher! fort!
Clavigo.
Ich hab ihre Hand! Ihre kalte Totenhand! Du bist die Meinige — Und noch diesen Brautigamsku?. Ah!
Sophie.
Er stirbt. Rette dich, Bruder!
Beaumarchais fallt Sophien um den Hals.
Sophie umarmt ihn, indem sie zugleich eine Bewegung macht, ihn zu entfernen.