Iphigenie auf Tauris - Goethe Johann Wolfgang (книги бесплатно без онлайн .txt) 📗
Vom Stamm der Amazonen, sei geflohn,
Um einem gro?en Unheil zu entgehn.
Orest:
Es scheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft
Durch des Verbrechers Nahe, den der Fluch
Wie eine breite Nacht verfolgt und deckt.
Die fromme Blutgier lost den alten Brauch
Von seinen Fesseln los, uns zu verderben.
Der wilde Sinn des Konigs totet uns;
Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zurnt.
Pylades:
Wohl uns, da? es ein Weib ist! denn ein Mann,
Der beste selbst, gewohnet seinen Geist
An Grausamkeit und macht sich auch zuletzt
Aus dem, was er verabscheut, ein Gesetz,
Wird aus Gewohnheit hart und fast unkenntlich.
Allein ein Weib bleibt stet auf einem Sinn,
Den sie gefa?t. Du rechnest sicherer
Auf sie im Guten wie im Bosen. — Still!
Sie kommt; la? uns allein. Ich darf nicht gleich
Ihr unsre Namen nennen, unser Schicksal
Nicht ohne Ruckhalt ihr vertraun. Du gehst,
Und eh sie mit dir spricht, treff ich dich noch.
Zweiter Auftritt
Iphigenie. Pylades.
Iphigenie:
Woher du seist und kommst, o Fremdling, sprich!
Mir scheint es, da? ich eher einem Griechen
Als einem Skythen dich vergleichen soll.
Sie nimmt ihm die Ketten ab.
Gefahrlich ist die Freiheit, die ich gebe;
Die Gotter wenden ab, was euch bedroht!
Pylades:
O su?e Stimme! Vielwillkommner Ton
Der Muttersprach in einem fremden Lande!
Des vaterlichen Hafens blaue Berge
Seh ich Gefangner neu willkommen wieder
Vor meinen Augen. La? dir diese Freude
Versichern, da? auch ich ein Grieche bin!
Vergessen hab ich einen Augenblick,
Wie sehr ich dein bedarf, und meinen Geist
Der herrlichen Erscheinung zugewendet.
O sage, wenn dir ein Verhangnis nicht
Die Lippe schlie?t, aus welchem unsrer Stamme
Du deine gottergleiche Herkunft zahlst.
Iphigenie:
Die Priesterin, von ihrer Gottin selbst
Gewahlet und geheiligt, spricht mit dir.
Das la? dir gnugen; sage, wer du seist
Und welch unselig waltendes Geschick
Mit dem Gefahrten dich hierhergebracht.
Pylades:
Leicht kann ich dir erzahlen, welch ein Ubel
Mit lastender Gesellschaft uns verfolgt.
O konntest du der Hoffnung frohen Blick
Uns auch so leicht, du Gottliche, gewahren!
Aus Kreta sind wir, Sohne des Adrasts:
Ich bin der jungste, Cephalus genannt,
Und er Laodamas, der alteste
Des Hauses. Zwischen uns stand rauh und wild
Ein mittlerer und trennte schon im Spiel
Der ersten Jugend Einigkeit und Lust.
Gelassen folgten wir der Mutter Worten,
Solang des Vaters Kraft vor Troja stritt;
Doch als er beutereich zurucke kam
Und kurz darauf verschied, da trennte bald
Der Streit um Reich und Erbe die Geschwister.
Ich neigte mich zum altsten. Er erschlug
Den Bruder Um der Blutschuld willen treibt
Die Furie gewaltig ihn umher.
Doch diesem wilden Ufer sendet uns
Apoll, der Delphische, mit Hoffnung zu.
Im Tempel seiner Schwester hie? er uns
Der Hulfe segensvolle Hand erwarten.
Gefangen sind wir und hierhergebracht
Und dir als Opfer dargestellt. Du wei?t's.
Iphigenie:
Fiel Troja? Teurer Mann, versichr es mir.
Pylades:
Es liegt. O sichre du uns Rettung zu!
Beschleunige die Hulfe, die ein Gott
Versprach. Erbarme meines Bruders dich.
O sag ihm bald ein gutes, holdes Wort;
Doch schone seiner, wenn du mit ihm sprichst,
Das bitt ich eifrig: denn es wird gar leicht
Durch Freud und Schmerz und durch Erinnerung
Sein Innerstes ergriffen und zerruttet.
Ein fieberhafter Wahnsinn fallt ihn an,
Und seine schone freie Seele wird
Den Furien zum Raube hingegeben.
Iphigenie:
So gro? dein Ungluck ist, beschwor ich dich:
Vergi? es, bis du mir genuggetan.
Pylades:
Die hohe Stadt, die zehen lange Jahre
Dem ganzen Heer der Griechen widerstand,
Liegt nun im Schutte, steigt nicht wieder auf.
Doch manche Graber unsrer Besten hei?en
Uns an das Ufer der Barbaren denken.
Achill liegt dort mit seinem schonen Freunde.
Iphigenie:
So seid ihr Gotterbilder auch zu Staub!
Pylades:
Auch Palamedes, Ajax Telamons,
Sie sahn des Vaterlandes Tag nicht wieder.
Iphigenie:
Er schweigt von meinem Vater, nennt ihn nicht
Mit den Erschlagnen. Ja! er lebt mir noch!
Ich werd ihn sehn. O hoffe, liebes Herz!
Pylades:
Doch selig sind die Tausende, die starben
Den bittersu?en Tod von Feindes Hand!
Denn wuste Schrecken und ein traurig Ende
Hat den Ruckkehrenden statt des Triumphs
Ein feindlich aufgebrachter Gott bereitet.
Kommt denn der Menschen Stimme nicht zu euch?
So weit sie reicht, tragt sie den Ruf umher
Von unerhorten Taten, die geschahn.
So ist der Jammer, der Mykenens Hallen
Mit immer wiederholten Seufzern fullt,
Dir ein Geheimnis? — Klytamnestra hat
Mit Hulf Agisthens den Gemahl beruckt,
Am Tage seiner Ruckkehr ihn ermordet! —
Ja, du verehrest dieses Konigs Haus!
Ich seh es, deine Brust bekampft vergebens
Das unerwartet ungeheure Wort.
Bist du die Tochter eines Freundes? bist
Du nachbarlich in dieser Stadt geboren?
Verbirg es nicht und rechne mir's nicht zu,
Da? ich der erste diese Greuel melde.
Iphigenie:
Sag an, wie ward die schwere Tat vollbracht?
Pylades:
Am Tage seiner Ankunft, da der Konig,
Vom Bad erquickt und ruhig, sein Gewand
Aus der Gemahlin Hand verlangend, stieg,
Warf die Verderbliche ein faltenreich
Und kunstlich sich verwirrendes Gewebe
Ihm auf die Schultern, um das edle Haupt;
Und da er wie von einem Netze sich
Vergebens zu entwickeln strebte, schlug
Agisth ihn, der Verrater, und verhullt
Ging zu den Toten dieser gro?e Furst.
Iphigenie:
Und welchen Lohn erhielt der Mitverschworne?
Pylades:
Ein Reich und Bette, das er schon besa?.
Iphigenie:
So trieb zur Schandtat eine bose Lust?
Pylades:
Und einer alten Rache tief Gefuhl.
Iphigenie:
Und wie beleidigte der Konig sie?
Pylades:
Mit schwerer Tat, die, wenn Entschuldigung
Des Mordes ware, sie entschuldigte.
Nach Aulis lockt' er sie und brachte dort,
Als eine Gottheit sich der Griechen Fahrt
Mit ungestumen Winden widersetzte,
Die altste Tochter, Iphigenien,
Vor den Altar Dianens, und sie fiel,
Ein blutig Opfer, fur der Griechen Heil.
Dies, sagt man, hat ihr einen Widerwillen
So tief ins Herz gepragt, da? sie dem Werben
Agisthens sich ergab und den Gemahl
Mit Netzen des Verderbens selbst umschlang.
Iphigenie sich verhullend:
Es ist genug. Du wirst mich wiedersehn.
Pylades allein:
Von dem Geschick des Konigshauses scheint
Sie tief geruhrt. Wer sie auch immer sei,
So hat sie selbst den Konig wohl gekannt
Und ist, zu unserm Gluck, aus hohem Hause
Hierher verkauft. Nur stille, liebes Herz,
Und la? dem Stern der Hoffnung, der uns blinkt,
Mit frohem Mut uns klug entgegensteuern.