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Die geheime Reise der Mariposa - Michaelis Antonia (прочитать книгу TXT) 📗

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Jonathan lachte. »Nein. Du?«

Jose schuttelte den Kopf. »Bei einer hab ich’s mal versucht, die hat mich ausgelacht und gesagt, ich ware noch ein Kind. Aber wenn ich zuruckkomme nach Isabela – wenn ich auf der Isla Maldita war und mit den Amis geflogen bin –, dann ist das das Erste, was ich tun werde. Ein Madchen kussen. So eine mit ganz weichen Lippen, rot mussen sie sein und …«

Doch Jonathan erfuhr nicht, was die Lippen der Galapagosmadchen noch sein mussten, denn Jose war aufgesprungen und zeigte hinter sie. »Sie sind naher gekommen!«

Jonathan folgte seinem Blick. Die beiden Schiffe, die sie verfolgten, waren ein gutes Stuck herangeruckt. Sie hatten es aufgegeben, so zu tun, als wurden sie der Mariposa nicht folgen. Die Sonne zog die letzten Schlieren des Tageslichts mit sich hinter den Horizont. Ein Windsto? fegte durch die Stille, und ein Tropfen landete auf seinen Lippen, den nicht roten, nicht weichen Lippen. Er sah zum Himmel empor. Es war nicht nur die hereinbrechende Nacht, die ihn verdunkelte.

»Jose«, sagte er leise. »Ich wei?, warum sie naher kommen. Guck dir das da oben an.«

Jose nickte grimmig. Es war nicht nur Regen, den die Wolken heranbrachten. Sie trugen einen Sturm in sich, einen ausgewachsenen Sturm.

»Wer immer die dort sind«, sagte Jonathan und zeigte zu den Schiffen hinuber. »Was immer sie wollen. Sie haben sich ausgerechnet, dass nichts mehr ubrig bleibt, wenn dieser Sturm mit uns fertig ist.«

Und tatsachlich sah es so aus, als hatten die Skipper der beiden Schiffe es sich in den Kopf gesetzt, die Mariposa vor Einbruch des Sturms zu erreichen. Sie fuhren unter Motor, der kleine Segler voran. Hatten sie sich abgesprochen? Oder war es ein Wettrennen, das sie dort veranstalteten, ein Rennen, dessen Sieger zum Preis die Mariposa bekame und vielleicht die Karte einer mysteriosen unbewohnten Insel?

Die Boen legten die Mariposa auf die Seite, die Wellen wuchsen und hatten mit einem Mal Schaum vor dem Maul wie tollwutige Tiere. Von einem Moment auf den anderen warf der Pazifik seine Abendromantik ab, wie eine Schlangenhaut, und wurde zum Raubtier, vielzahnig, gierig. Es war jetzt so dunkel, dass man das Raubtier kaum noch sah, nur die Schaumkronen strahlten wei?, wie von innen beleuchtet. Jose pfluckte die Hecklaterne von der Reling, entzundete sie und machte sie mittschiffs am Kajutendach fest. »Rasch!«, befahl er. »Die Segel! Wir mussen die Segel runterholen. Stell sie in den Wind, ich mach das.«

Jonathan versuchte die Mariposa so zu steuern, dass der Wind von vorn kam, und die Segel begannen wild hin und her zu schlagen.

»Mierda!«, schrie Jose. »Es geht nicht!«

Jonathan sah, wie er sich geduckt an die Reling klammerte. »Bring sie zuruck auf Kurs! Ganz dicht am Wind! Ich muss erst nach vorn zum Mast, ehe mich der Baum erschlagt! Und mach den Motor an!«

Jonathan schob das Steuerruder herum, riss am Anlasser des Motors – nichts geschah. Die Mariposa schoss nur so vorwarts, stand auf ihrer Leekante wie auf einer Schlittschuhkufe … Wellen schwappten uber die Reling und sammelten sich im Boot. Die leeren Wasserkanister kullerten uber das Deck, einer wurde von einer Welle mitgenommen. Jonathan riss noch einmal am Anlasser. Diesmal gab der Motor ein unwilliges Gerausch von sich – und verstummte. Der Regen peitschte Jonathan ins Gesicht, er sah kaum noch, was er tat. Er spurte etwas Kleines, Weiches an seinem blo?en Fu?: Carmen. Jetzt sah er auch, dass sich Eduardo, Oskar und Kurt angstlich am Fu? der Treppe drangten, vor der Kajute. Es gelang ihm, das Ruder fur einen Moment festzuhaken, und er machte einen Satz nach vorn und offnete die Kajutentur, um die Tiere in Sicherheit zu bringen. Sie taumelten so panisch ins Dunkel, dass eines uber das andere fiel. Jonathan warf die Tur zu und kehrte zum Steuer zuruck. Jose hatte es inzwischen geschafft, die Fock einzurollen. Warum begann er mit der Fock? Jonathan sah, wie er das Tau um die eingerollte Fock wand, doch dann riss der Sturm es ihm aus der Hand und trug es uber Bord. Jose sah sich um und rief etwas. Ein Tau! Jose brauchte ein Seil. Irgendeines. Jonathan sah sich um. Jose hatte das Schiff aufgeraumt. Es gab keine losen Seile und Bandsel mehr, die am Mast hingen. Sie lagen alle ordentlich zusammengerollt unter Deck, aber gerade hatte Jonathan vergessen, wo. Er lie? das Steuer mit einer Hand los, loste seinen Gurtel und zog ihn aus den Schlaufen. Jose war schon ubers Kajutendach geklettert und streckte die Hand nach dem Gurtel aus.

»Das Gro?segel krieg ich nicht ab!«, rief Jose. »Das Fallsegel klemmt! Das Messer …«

Damit kletterte er zuruck nach vorn und sicherte die Fock. Alles, was Jonathan in der Zwischenzeit tun konnte, war, das Steuer festzuhalten und Angst zu haben. Die Nacht, die er allein an Deck verbracht hatte, war nichts gewesen im Vergleich zu dieser Nacht. Dies war vielleicht das Ende der Mariposa. Er hatte gesehen, dass auch Jose Angst hatte. Zwei weitere Kanister wurden uber Bord gerissen. Der Pazifik warf weitere Wellen ins Boot. Die Mariposa lief voll. Er drehte sich um und sah, dass das gro?ere Boot zuruckgeblieben war. Aber der andere Segler hatte ein gutes Stuck aufgeholt. Auch er stand beinahe senkrecht auf einer Kante, er jagte dahin wie die Delfine im Wasser. Aber er war geschmeidiger als die Mariposa. Leichter. Einfacher zu steuern. War es wirklich Waterweg, der dieses Boot segelte? Hatte auch er Angst? Er holte auf, langsam, aber sicher …

Jose war wieder da und nahm Jonathan das Steuer aus den Handen.

»Jetzt«, sagte er. »Jetzt stellen wir sie in den Wind und kappen endlich das Gro?fall.«

Jonathan deutete stumm auf den Segler hinter ihnen. »Das wurde ich nicht tun. Nicht, ehe du den Motor ankriegst. Sonst holt er uns ein.«

Jose fluchte. »Warum hast du den Motor nicht …?«

Jonathan schuttelte den Kopf. »Ich hab es nicht geschafft. Versuch du es.«

»Dann hol du das Messer. In der Kajute. Hinter den Dosen auf dem rechten Regal.«

Jonathan nickte. Als er die Kajutentur offnete, merkte er, wie seine gurtellose Hose rutschte. Es gab nichts, was jetzt gerade unwichtiger war als eine Hose, und doch schien es wie ein Symbol. Auch er verlor eine falsche Schlangenhaut, wie der Pazifik. Fur einen Moment fragte er sich, ob die Sachen, die er trug, dem Jonathan Smith gehort hatten, mit dessen Pass er unterwegs war. Er hatte ihn nicht gekannt. Waterweg hatte die Passe besorgt. Waterweg, der jetzt vielleicht hinter ihnen her war, im Auftrag eines wahnsinnigen Deutschlands. Waterweg, den er hasste.

Er dachte all diese Gedanken in einer einzigen Sekunde, wahrend er in die Kajute kletterte, um Joses Messer zu suchen. Die Tur fiel hinter ihm zu. Es war schwierig, den Halt auf dem schragen Boden nicht zu verlieren und gleichzeitig im Dunkeln zu tasten. Ein paar Dosen fielen vom Regal und er fluchte auf Deutsch.

In diesem Moment wurde es in der Kajute hell. Sein eigener Schatten fiel auf die Wand vor ihm.

»Sieh mal einer an«, sagte jemand hinter ihm auf Spanisch. »Na, sieh mal einer an.«

Er fuhr herum und blickte in ein altes, bartiges Gesicht. Hinter dem Mann gab es jetzt eine Offnung in der Wand, die Offnung zu einer verborgenen Koje. Jonathan sah Joses Mauser auf der schmalen, dreckigen Matratze liegen. Es war, als horte der Sturm fur einen Moment auf zu existieren. Die Nacht verschwand. Der ganze Pazifik war nicht mehr da. Es gab nur diesen winzigen Raum unter Deck und Jonathan und den fremden Mann.

Der Mann spielte mit der schwarzen Pistole. »Casaflora«, sagte er. »Juan Casaflora.«

»Jonathan Smith«, sagte Jonathan automatisch. »Sie sind … der Tote. Aber Sie sind nicht tot.«

Casaflora schuttelte den Kopf. »Und du bist nicht Jonathan«, sagte er.

Jonathan schwieg.

»Ich bin nicht so dumm«, fuhr Casaflora fort, »wie dein Freund da drau?en. Und jetzt, wo wir vielleicht alle zusammen untergehen, will ich die Wahrheit wissen.«

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