Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
»Nebenan«, sagte Johanson.
Olsen lehnte sich durch die offene Verbindungstur ins Nebenburo und orderte lautstark einen Kaffee. Dann setzte er sich und lie? weiterhin seine Blicke schweifen. Die Sekretarin kam herein, stellte knallend einen Becher auf den Schreibtisch und bedachte Olsen mit einem vernichtenden Blick, bevor sie wieder nach nebenan ging.
»Was hat sie denn?«, wunderte sich Olsen.
»Ich hole mir den Kaffee immer selber«, sagte Johanson. »Die Kanne steht gleich nebenan, Milch, Zucker, Tassen.«
»Empfindlich, die Dame, was? Tut mir Leid. Ich bringe ihr kommende Woche selbst gebackene Kekse mit. Meine Frau backt tolle Kekse.« Olsen schlurfte vernehmlich. »Du hast tatsachlich keine Nachrichten gehort, was?«
»Doch, im Auto auf der Hinfahrt.«
»Vor zehn Minuten kam eine Sondermeldung auf CNN. Du wei?t ja, ich hab den kleinen Fernseher im Buro, er lauft den ganzen Tag.« Olsen beugte sich vor. Das Licht der Deckenbeleuchtung spiegelte sich in seiner beginnenden Glatze. »Vor Japan ist ein Gastanker in die Luft geflogen und gesunken. Zur gleichen Zeit sind in der Malakkastra?e zwei Containerschiffe und eine Fregatte kollidiert. Eines der Containerschiffe sinkt, das andere ist manovrierunfahig, und auf der Fregatte brennt es. Eine Militarfregatte. Es hat eine Explosion gegeben.«
»Meine Gute.«
»Und das am fruhen Morgen, was?«
Johanson warmte die Hande an seinem Becher.
»Was die Malakkastra?e angeht, wundert mich nichts«, sagte er. »Erstaunlich, dass da nicht noch mehr passiert.«
»Ja, aber es ist doch ein irrer Zufall, oder?«
Drei Meerengen konkurrierten um den Titel der meistbefahrenen Wasserstra?e der Welt, der Armelkanal, die Stra?e von Gibraltar und die Malakkastra?e, die Teil des Seewegs von Europa nach Sudostasien und Japan war. Das Problem der Welthandelsschifffahrt bestand unter anderem in der Bedeutung solcher Meerengen. Allein in der Malakkastra?e verkehrten an einem einzigen Tag rund 600 gro?e Tanker und Frachtschiffe. An manchen Tagen konnte es geschehen, dass bis zu 2000 Schiffe das Gewasser zwischen Malaysia und Sumatra passierten, das zwar 400 Kilometer lang, an seiner schmalsten Stelle aber nur siebenundzwanzig Kilometer breit war. Indien und Malaysia insistierten darauf, die Tankerkapitane sollten auf die weiter sudlich gelegene Stra?e von Lombok ausweichen, stie?en indes auf taube Ohren. Der Umweg verringerte den Profit. So blieb es dabei, dass sich rund funfzehn Prozent des gesamten Welthandels durch die Malakkastra?e und die benachbarten Meerengen drangte.
»Wei? man denn, was da passiert ist?«
»Nein. Kam ja erst vor wenigen Minuten.«
»Schrecklich.« Johanson trank einen Schluck. »Was ist das uberhaupt fur eine Geschichte mit den verschwundenen Booten?«
»Was? Das wei?t du auch nicht?«
»Ich wurde sonst kaum fragen«, sagte Johanson etwas gereizt.
Olsen beugte sich vor und senkte die Stimme.
»Offenbar verschwinden seit langerem Schwimmer und kleine Fischerboote vor Sudamerika. Pazifikseite. Es ist kaum daruber berichtet worden, jedenfalls nicht in Europa. Angefangen hat das Ganze wohl in Peru. Erst verschwand ein Fischer, und sie fanden das Boot Tage spater. Es trieb auf hoher See, ein Binsenboot, nichts Gro?es. Sie dachten, er sei vielleicht von einer Welle ins Meer gespult worden, aber seit Wochen ist das Wetter in der Region ganz manierlich. Danach passierten solche Dinge am laufenden Band. Schlie?lich verschwand ein kleiner Trawler.«
»Warum hat man nichts davon gehort, um Himmels willen?«
Olsen breitete die Hande aus. »Weil man so was da nicht gerne an die gro?e Glocke hangt. Der Tourismus ist zu wichtig. Au?erdem findet es weit weg in Gegenden statt, wo viele braune Menschen mit schwarzen Haaren leben, die fur uns alle gleich aussehen.«
»Uber die Quallen haben sie auch berichtet. Das ist auch weit weg.«
»Ich bitte dich! Das ist ja wohl ein Unterschied. Da sind aufrechte amerikanische Touristen gestorben und ein Deutscher und was wei? ich. Jetzt ist vor Chile eine norwegische Familie verschwunden. Sie sind mit einem Fischerboot rausgeschippert unter Leitung des ortsansassigen Veranstalters. Hochseeangeln. Zack, weg! Norweger, Herrgott, wertvolle blonde Menschen, daruber muss man doch berichten.«
»Schon gut, ich hab’s kapiert.« Johanson lehnte sich zuruck. »Und es sind keine Funkspruche durchgegeben worden?«
»Nein, Sherlock Holmes. Einige Male SOS. Das war’s. Bei den meisten der verschwundenen Boote erschopfte sich die bordeigene Hightech im Au?enborder.«
»Kein Sturm?«
»Herrgott, nein! Nichts, was Boote kentern lasst.«
»Und was passiert da vor Westkanada?«
»Diese Schiffe, die angeblich kollidiert sind? Keine Ahnung. Irgendwer meinte, sie seien mit einem ubellaunigen Wal zusammengerasselt. Was wei? ich? Die Welt ist mysterios und grausam, und du bist auch ein bisschen ratselhaft mit deinen Fragen. Gib mir noch einen Kaffee … nein, warte, ich hole mir selber einen.«
Olsen setzte sich in Johansons Buro fest wie Hausschwamm. Als er endlich genug Kaffee getrunken hatte und ging, sah Johanson auf die Uhr. Bis zur Vorlesung blieben ihm noch wenige Minuten.
Er rief Lund an.
»Skaugen hat Kontakt zu anderen Explorationsgesellschaften aufgenommen«, sagte sie. »Weltweit. Er will wissen, ob sie mit ahnlichen Phanomenen konfrontiert werden.«
»Mit Wurmern?«
»Genau. Er vermutet ubrigens, dass die Asiaten mindestens so viel uber die Viecher wissen wie wir.«
»Wieso das?«
»Erinnere dich deiner Worte. Asien versucht sich im Abbau von Methanhydraten. Hat dir das nicht dein Mann in Kiel erzahlt? Skaugen hat diesen Firmen auf den Zahn gefuhlt.«
An sich keine schlechte Idee, dachte Johanson. Skaugen hatte eins und eins zusammengezahlt. Wenn die Polychaten tatsachlich so wild auf Hydrat waren, mussten sie vor allem dort aufgefallen sein, wo der Mensch seinerseits wild auf Methan war. Andererseits …
»Die Asiaten werden es Skaugen kaum auf die Nase binden«, sagte er. »Sie werden es ebenso halten wie er.«
Lund schwieg einen Moment. »Du meinst, Skaugen wurde es denen auch nicht sagen?«
»Vielleicht nicht in der Tragweite. Und nicht im Augenblick.«
»Was ware die Alternative?«
»Na ja.« Johanson suchte nach den geeigneten Worten. »Ich will euch nichts unterstellen, aber nehmen wir mal an, jemand kommt auf die Idee, den Bau einer Unterwasserfabrik zu forcieren, obwohl da irgendwelches unbekanntes Zeugs rumkrabbelt.«
»Tun wir nicht.«
»Nur angenommen.«
»Du hast doch gehort, Skaugen ist deinem Rat gefolgt.«
»Das ehrt ihn. Aber hier geht es um Geld, oder? Man konnte sich auf den Standpunkt stellen und sagen: Wurmer? Wissen wir nichts von. Haben wir nie gesehen.«
»Und trotzdem bauen?«
»Es muss ja nichts passieren. Und wenn doch — ich meine, man kann jemanden fur technische Mangel haftbar machen, aber doch nicht fur Methan fressendes Viehzeug. Wer will hinterher nachweisen, dass man im Vorfeld je auf Wurmer gesto?en ist?«
»Statoil wurde so was nicht vertuschen.«
»Lassen wir euch mal beiseite. Fur die Japaner beispielsweise ware ein funktionierender Methanexport einem Olboom gleichzusetzen. Mehr als das! Sie wurden unermesslich reich werden. Glaubst du, die Asiaten spielen in der Sache mit offenen Karten?«
Lund zogerte. »Nein.«
»Und ihr?«
»Das hilft uns jetzt nicht weiter. Wir mussen es von denen erfahren, bevor sie es von uns erfahren. Wir brauchen unabhangige Beobachter. Leute, die man nicht mit Statoil in Verbindung bringt. Zum Beispiel …« Sie schien zu uberlegen. Dann sagte sie: »Konntest du dich nicht ein bisschen umhoren?«
»Was, ich? Bei Olgesellschaften?«
»Nein, bei Instituten, Universitaten, bei Leuten wie bei deinen Kielern. Wird nicht weltweit in Sachen Methanhydrate geforscht?«
»Schon, aber …«
»Und bei Biologen. Meeresbiologen! Hobbytauchern! Wei?t du was?«, rief sie begeistert. »Vielleicht ubernimmst du einfach diesen ganzen Part. Vielleicht richten wir ein Ressort fur dich ein. Ja, das ist gut, ich rufe Skaugen an und bitte ihn um ein Budget! Wir konnten …«