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Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗

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Li lief zum Kontrollpult. Viel zu viel Zeit verloren, dachte sie. Ich hatte mich nicht mit Johanson auf diesen unsinnigen Disput einlassen durfen.

Sie lie? das Deepflight ein Stuck hoch fahren und uber den Pier schwenken, bis es dicht uber ihr hing. Sofort sah sie die beiden freien Schachte. Die Panzerbrecher steckten in ihren Halterungen, die zwei kleineren Torpedos waren entfernt worden, um Platz fur die giftgefullten Rohren zu schaffen. Ausgezeichnet! Damit verfugte das Deepflight immer noch uber eine stattliche Bewaffnung.

Schnell schob sie die Rohren in die Schachte und arretierte sie. Das System war perfekt durchgeplant.

Sobald sie abgeschossen wurden, etwa in die blaue Wolke, sorgte eine kleine Sprengkapsel dafur, dass der Giftstoff unter Hochdruck herausgespritzt wurde. Die Verteilung ubernahm das Wasser, den Rest besorgten — unfreiwillig — die Yrr selber. Das war das Beste an dem Plan: Rubins Programmierter Zelltod. Einmal infiziert, wurde das Kollektiv sich in einer wunderbaren Kettenreaktion selbst vernichten.

Rubin hatte gut gearbeitet.

Sie uberprufte ein letztes Mal die Arretierung, manovrierte das Deepflight zuruck uber die Schleuse und senkte es ab, bis es auf der Wasseroberflache dumpelte. Keine Zeit mehr, Neoprenkleidung anzulegen. Sie musste eben aufpassen. Uber die Steigleiter hastete sie nach unten, lief zum Boot und kletterte hinauf. Das Deepflight schaukelte. Ihr Blick fiel in die offene Pilotenrohre, und sie sah Johanson darin liegen, bewegungslos, mit dem Gesicht nach unten.

Dieser renitente Idiot. Warum hatte er nicht zur Seite kippen und in die Schleuse fallen konnen? Jetzt musste sie zu allem Uberfluss seine Leiche loswerden.

Plotzlich fuhlte sie ein gewisses Bedauern. Auf eine Weise hatte sie den Mann gemocht und bewundert.

Unter anderen Umstanden vielleicht …

Ein Rumpeln ging durch das Schiff.

Nein, es war zu spat, ihn zu entsorgen. Und eigentlich spielte es auch keine Rolle. Das Boot lie? sich ebenso gut vom Platz des Copiloten aus steuern. Die Funktionen waren ubertragbar. Unter Wasser konnte sie Johanson immer noch loswerden.

Irgendwo barst gerauschvoll Stahl.

Li kroch hastig in die Rohre und schloss die Hauben.

Simultan senkten sie sich herab und rasteten ein. Ihre Finger glitten uber die Armaturen. Leises Summen erfullte den Innenraum, Reihen von Lichtern und zwei kleine Monitore flammten auf. Alle Systeme waren in Bereitschaft. Ruhig lag das Deepflight uber dem schwarzgrunen Wasser der Gronlandischen See, bereit, durch den drei Meter dicken Schacht in die Tiefe zu sinken, und Li fuhlte sich von Euphorie durchdrungen. Sie hatte es doch noch geschafft!

Refugium

Johanson sa? am See.

Still lag er vor ihm, voller Sterne. Wie sehr hatte er sich gewunscht, noch einmal dorthin zuruckzukehren. Er blickte auf die Landschaft seiner Seele und war durchdrungen von Ehrfurcht und Gluck. Seltsam korperlos fuhlte er sich, ohne eine Empfindung von Kalte oder Warme. Etwas war anders als sonst. Ihm schien, als sei er selber der See, das kleine, dahinter liegende Haus, der verschwiegene, schwarze Wald ringsum, die Gerausche im Unterholz, der gescheckte Mond, alles. Er war all das, und alles war in ihm.

Tina Lund.

Wie jammerschade. Wie bedauerlich, dass sie nicht hier war. Er hatte ihr diese Ruhe gegonnt, den tiefen Frieden. Aber sie war tot. Gestorben in einer gewaltigen Auflehnung der Natur gegen den schimmelartigen Befall von Zivilisation, der sich die Kusten entlang zog. Einfach hinweggewischt, so wie alles hinweggewischt worden war, nur nicht dieses Bild auf seiner Netzhaut. Der See war ewig. Diese Nacht wurde kein Ende finden. Und dem Alleinsein wurde sich wohl tuendes Nichts anschlie?en, der finale Genuss des Egoisten.

Wollte er das? Wollte er wirklich allein sein?

Einerseits, warum nicht? Das Alleinsein hatte eine Reihe unschatzbarer Vorzuge. Man teilte die wertvolle Zeit mit sich selber. Man lauschte in sich hinein und bekam erstaunliche Dinge zu horen.

Andererseits, wo verlief die Grenze zur Einsamkeit?

Plotzlich verspurte er Furcht.

Die Furcht schmerzte. Sie fra? sich in seine Brust, raubte ihm den Atem. Mit einem Mal war ihm kalt. Er begann zu schlottern. Die Sterne im See blahten sich zu roten und grunen Lichtern und gaben ein elektronisches Summen ab. Das ganze Bild verschwamm zu etwas Glanzendem, Eckigem, und er sa? nicht mehr am See, war nicht mehr der See, sondern lag eingeengt in einem Tunnel, einem Rohr, einer Rohre.

Schlagartig kehrte sein Bewusstsein zuruck.

Du bist tot, dachte er.

Nein, ganz tot war er nicht. Aber er spurte, dass ihm nur noch wenige Sekunden blieben. Er lag im Innern des Tauchboots, das den Giftstoff in die Tiefe bringen sollte, um dem Verbrechen der Yrr, falls es eines war, mit einem noch gro?eren Verbrechen zu begegnen — einem Verbrechen an den Yrr und an der Menschheit.

Vor ihm blinkten keine Sterne, sondern die Armaturen des Deepflight. Sie waren in Betrieb. Er hob den Blick, schaute durch die glaserne Kuppel und sah, wie die Kante des Welldecks nach oben verschwand.

Sie waren in der Schleuse.

Mit unglaublicher Willensanstrengung schaffte er es, den Kopf zu drehen. In der Nachbarrohre erkannte er Lis schones Profil.

Li.

Judith Li hatte ihn erschossen.

Fast erschossen.

Das Boot sank tiefer. Vernietete Stahlplatten zogen vorbei. Gleich wurden sie drau?en sein. Nichts und niemand konnte Li dann noch hindern, ihre todliche Fracht ins Meer zu entlassen.

Es durfte nicht sein.

Der Schwei? brach ihm aus, als er seine Hande unter seinem Oberkorper hervorschob und die Finger streckte. Fast verlor er daruber die Besinnung. Dort waren die Konsolen. Er lag in der Rohre des Piloten. Li hatte die Kontrollen zu sich hinubergeschaltet. Sie steuerte das Boot vom Platz des Copiloten aus, aber das lie? sich andern.

Ein Tastendruck, und die Kontrolle lag wieder bei ihm.

Wo war die Umschaltfunktion?

Roscovitz’ Cheftechnikerin, Kate Ann Browning, hatte ihn geschult. Sie war sehr grundlich vorgegangen, und er hatte gut aufgepasst. Solche Dinge interessierten ihn. Das Deepflight verhie? den Beginn einer neuen Ara in der Tieftauchtechnik, und die Zukunft hatte Johanson seit eh und je interessiert. Er wusste, wo diese Funktion war! Er wusste auch, wozu die anderen Instrumente dienten, und was man tun musste, um den gewunschten Effekt zu erzielen. Er musste sich lediglich erinnern.

Erinnere dich.

Wie sterbende Spinnen krochen seine Finger uber die Tastatur, verschmiert von Blut. Seinem Blut.

Erinnere dich!

Dort. Die Funktion. Und daneben …

Viel konnte er nicht mehr tun. Das Leben stromte aus ihm heraus, aber ein letzter Rest Kraft verblieb ihm noch.

Es wurde reichen. Fahr zur Holle, Li!

Li

Judith Li starrte aus der Kuppel. Wenige Meter vor ihr erstreckte sich die Stahlwand der Schleuse. Das Boot sank gemachlich der offenen See entgegen. Einen Meter noch, vielleicht weniger, und sie wurde die Propeller starten. Dann steil nach unten seitlich wegziehen. Falls die Independence innerhalb der nachsten paar Minuten sank, wollte sie moglichst weit entfernt sein.

Wann wurde sie auf die ersten Yrr-Kollektive sto?en? Ein gro?eres Kollektiv konnte Probleme machen, das wusste sie, und sie hatte keine Vorstellung davon, wie gro? sie wurden. Vielleicht griffen auch Orcas an. In beiden Fallen wurde ihr die Bewaffnung den Weg frei schie?en. Kein Grund zur Sorge.

Sie musste auf die blaue Wolke warten. Der richtige Moment, das Gift abzuschie?en, lag unmittelbar vor der Verschmelzung.

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