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Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗

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»Ganz recht. Euch konnte ich nutzen. Ich will aber niemandem nutzen au?er denen, die es notig haben.«

»Da!« Greywolf zeigte mit ausgestrecktem Arm zum Belugabecken. »Die haben es notig! Ich konnte kotzen, wenn ich dich hier sehe. In trauter Eintracht mit Gefangenen! Ihr sperrt sie ein oder hetzt sie, das ist Mord auf Raten. Jedes Mal, wenn ihr rausfahrt mit euren Booten, totet ihr die Tiere ein bisschen mehr.« »Bist du eigentlich Vegetarier?« »Was?« Greywolf blinzelte verwirrt. »Ich frage mich au?erdem gerade, wem sie fur deine Jacke die Haut abgezogen haben.« Er ging weiter. Greywolf blieb einen Moment verblufft stehen, dann kam er Anawak mit gro?en Schritten hinterher.

»Das ist etwas anderes. Die Indianer haben immer in Einklang mit der Natur gelebt. Sie haben aus den Hauten der Tiere …«

»Erspar’s mir.«

»Es ist aber so.«

»Soll ich dir sagen, was dein Problem ist, Jack? Genau genommen hast du zwei. Erstens, du hangst dir das Mantelchen des Umweltschutzes um, aber stattdessen fuhrst du einen Stellvertreterkrieg fur Indianer, die ihre Angelegenheiten langst schon anders geregelt haben. Dein zweites Problem ist, dass du gar kein richtiger Indianer bist.«

Greywolf erbleichte. Anawak wusste, dass sein Gegenuber schon verschiedene Male wegen Korperverletzung vor Gericht gestanden hatte. Er fragte sich, wie weit er den Riesen wurde reizen konnen. Ein Schlag von Greywolf mit der flachen Hand war geeignet, jede Auseinandersetzung nachhaltig zu beenden.

»Warum erzahlst du eine solche Schei?e, Leon?«

»Du bist Halbindianer«, sagte Anawak. Er blieb vor dem Becken der Seeotter stehen und sah zu, wie die dunklen Korper torpedogleich durchs Wasser flitzten. Ihr Fell glanzte im fruhen Sonnenlicht. »Nein, nicht mal das. Du bist in etwa so indianisch wie ein sibirischer Eisbar. Das ist dein Problem, weil du nicht wei?t, wo du hingehorst, weil du nichts auf die Reihe kriegst, weil du glaubst, mit deinem Umweltgetue ein paar Leuten ans Bein pissen zu konnen, die du dafur verantwortlich machst. Lass mich da raus.«

Greywolf blinzelte in die Sonne.

»Ich kann dich nicht horen, Leon«, sagte er. »Warum hore ich keine Worte? Ich hore immer nur Mist. Gerausche. Geprassel, als wenn einer eine Schubkarre voller Kieselsteine auf ein Wellblechdach entleert.«

»Hugh!«

»Zum Teufel, wir sollten uns nicht streiten. Was will ich denn von dir? Nur ein bisschen Unterstutzung!«

»Ich kann dich nicht unterstutzen.«

»Schau, ich bin sogar so freundlich und komme, um unsere nachste Aktion anzukundigen. Ich musste das nicht tun.«

Anawak horchte auf. »Was habt ihr denn vor?«

»Tourist Watching.« Greywolf lachte schallend. Seine wei?en Zahne blitzten wie Elfenbein.

»Und was soll das sein?«

»Na ja, wir kommen raus und fotografieren deine Touristen. Wir bestaunen sie. Wir fahren ganz dicht ran und versuchen sie anzupacken. Sie sollen sich eine Vorstellung davon machen, wie es ist, begafft und betatscht zu werden.«

»Das kann ich verbieten lassen.«

»Das kannst du namlich nicht, weil dies ein freies Land ist. Wir lassen uns von niemandem vorschreiben, wann und wohin wir mit unseren Booten fahren. Verstehst du? Die Aktion ist vorbereitet und beschlossen, aber wenn du uns ein bisschen entgegenkommst, konnte ich daruber nachdenken, sie abzublasen.«

Anawak starrte ihn an. Dann wandte er sich ab und ging weiter. »Es kommen ohnehin keine Wale«, sagte er.

»Weil ihr sie vertrieben habt.«

»Nichts haben wir.«

»Ach richtig, der Mensch ist niemals schuld. Es liegt an den bloden Tieren. Standig schwimmen sie in herumfliegende Harpunen oder stellen sich in Positur, weil sie Fotos furs Familienalbum wollen. Aber ich horte, sie kommen wieder. Sind nicht in den letzten Tagen ein paar Buckelwale aufgekreuzt?«

»Ein paar.«

»Euer Geschaft durfte bald auf der Nase liegen. Willst du riskieren, dass wir die Umsatzkurve noch weiter runterfahren?«

»Leck mich, Jack.«

»He, das ist mein letztes Angebot.«

»Wie beruhigend.«

»Verdammt nochmal! Leon! Dann leg wenigstens irgendwo ein gutes Wort fur uns ein! Wir brauchen Geld. Wir finanzieren uns aus Spenden. — Leon! Bleib doch mal stehen. Es geht um eine gute Sache, willst du das denn nicht begreifen? Wir wollen doch beide dasselbe.«

»Wir wollen nicht dasselbe. Guten Tag, Jack.«

Anawak beschleunigte seinen Schritt. Am liebsten ware er gerannt, aber er wollte Greywolf nicht das Gefuhl geben, als laufe er vor ihm davon. Der Umweltschutzer blieb stehen.

»Du stures Aas!«, rief er ihm hinterher.

Anawak gab keine Antwort. Zielstrebig passierte er das Delphinarium und hielt auf den Ausgang zu. »Leon, wei?t du, was dein Problem ist? Ich bin vielleicht kein richtiger Indianer, aber deines ist, dass du einer bist!«

»Ich bin kein Indianer«, murmelte Anawak.

»Ach, Verzeihung!«, schrie Greywolf, als hatte er ihn gehort. »Du bist ja was ganz Besonderes. Warum bist du dann nicht da, wo du herkommst und wo man dich braucht?«

»Arschloch«, zischte Anawak. Er kochte vor Wut. Erst diese renitente Ziege und dann Jack Greywolf. Es hatte ein schoner Tag werden konnen, begonnen mit einem erfolgreich durchgefuhrten Test. Stattdessen fuhlte er sich ausgehohlt und unglucklich.

Wo du herkommst …

Was ma?te sich der hirnlose Muskelberg an? Woher nahm er die Frechheit, ihm seine Herkunft vorzuhalten?

Wo man dich braucht!

»Ich bin da, wo man mich braucht«, schnaubte Anawak.

Eine Frau ging an ihm vorbei und starrte ihn irritiert an. Anawak sah sich um. Er stand drau?en auf der Stra?e. Immer noch zitternd vor Wut ging er zu seinem Wagen, fuhr zur Anlegestelle nach Tsawwassen und nahm die Fahre zuruck nach Vancouver Island.

Tags darauf war er fruh auf den Beinen. Um sechs hatte er nicht mehr schlafen konnen, einige Minuten gegen die niedrige Decke der Koje gestarrt und beschlossen, zur Station zu gehen.

Rosa Wolken waren uber den Horizont gesponnen. Der Himmel begann sich langsam aufzuhellen. Im spiegelglatten Wasser zeichneten sich die umliegenden Berge, Stelzenhauser und Boote dunkel ab. In wenigen Stunden wurden sich die ersten Touristen einfinden. Anawak ging ans Ende des Stegs zu den Zodiacs, stutzte sich auf das holzerne Gelander und sah eine Weile hinaus. Er liebte die friedliche Stimmung, wenn die Natur vor den Menschen erwachte. Niemand ging einem auf die Nerven. Leute wie Stringers unertraglicher Freund lagen im Bett und hielten die Klappe. Wahrscheinlich schlief auch Alicia Delaware den Schlaf der Ignoranz.

Und Jack Greywolf.

Dessen Worte allerdings hallten in Anawak nach. Greywolf mochte ein ausgemachter Idiot sein, aber leider hatte er es wieder mal geschafft, den Finger in die Wunde zu legen.

Zwei kleine Kutter zogen vorbei. Anawak uberlegte, ob er Stringer anrufen und uberreden sollte, mit ihm rauszufahren. Es waren tatsachlich die ersten Buckelwale gesichtet worden. Offenbar trudelten sie mit enormer Verspatung ein, was einerseits erfreulich war, andererseits nicht erklarte, wo sie die ganze Zeit uber gesteckt hatten. Vielleicht gelang es, ein paar zu identifizieren. Stringer hatte ein gutes Auge, und au?erdem mochte er ihre Gesellschaft. Sie gehorte zu den wenigen Menschen, die Anawak nicht in den Ohren lagen mit seiner Herkunft: ob er Indianer sei. Oder doch eher Asiate. Oder sonst was.

Samantha Crowe hatte ihn danach gefragt. Seltsam, ihr hatte er moglicherweise mehr von sich erzahlt. Aber die SETI-Forscherin trat wohl in diesen Stunden den Ruckweg nach Hause an.

Du denkst zu viel nach, Leon.

Anawak beschloss, Stringer schlafen zu lassen und auf eigene Faust loszufahren. Er ging in die Station und verstaute einen akkubetriebenen Laptop zusammen mit Kamera und Feldstecher, Rekorder, Hydrophon und Kopfhorern sowie eine Stoppuhr in einer wasserfesten Tasche. Dann packte er einen Musliriegel und zwei Dosen Eistee mit hinein und brachte alles hinaus zur Blue Shark. Gemachlich lie? er das Boot durch die Lagune tuckern und beschleunigte erst, als die Hauser des Orts zuruckblieben. Der Bug des Zodiacs stellte sich hoch. Wind schlug ihm ins Gesicht und fegte die truben Gedanken aus seinem Kopf.

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