Der Schwarm - Schatzing Frank (читать книги TXT) 📗
Vanderbilt nickte langsam. »Verstehe. Das hei?t, Sie wissen es nicht.«
Crowe grinste. »Nun, gestatten Sie mir eine Bemerkung im Hinblick auf Ihr T-Shirt, Mr. Vanderbilt. — Nur an der au?eren Erscheinung wird man ein intelligentes Wesen wahrscheinlich nicht als solches erkennen.«
Gelachter brandete rings um den Tisch auf und ebbte schnell wieder ab. Vanderbilt starrte sie an.
Dann grinste auch er. »Wo Sie Recht haben, sollen Sie Recht behalten«, sagte er.
Nachdem das Eis gebrochen war, kamen sie schnell voran. Crowe skizzierte die nachsten Schritte. Sie hatte das Konzept in den vergangenen Wochen zusammen mit Murray Shankar, Judith Li, Leon Anawak und einigen NASA-Leuten aus dem Boden gestampft. Es basierte auf den wenigen Versuchen zur Kontaktaufnahme mit au?erirdischen Lebensformen, die es bislang gegeben hatte.
»Der Weltraum macht es uns leicht«, erklarte Crowe. »Man kann im Mikrowellenbereich ungeheure Datenmengen gezielt verschicken. Licht ist gut sichtbar und reist mit 300000 Sekundenkilometern. Sie brauchen keine Drahte und Kabel. Unter Wasser ist alles anders, weil die Energie kurzwelliger Signale von den Molekulen absorbiert wird und langwellige Signale riesige Antennen erfordern wurden. Kommunikation via Licht funktioniert zwar, aber nicht auf gro?ere Distanzen. Bleibt die Akustik. Aber auch die birgt ein Problem, das wir Nachhall-Effekt nennen — akustische Signale werden an allen moglichen Stellen reflektiert, was Interferenzen zur Folge hat. Die Botschaft wird von sich selber uberlagert und unverstandlich. Um das zu vermeiden, bedienen wir uns eines speziellen Modems.«
»Das Prinzip haben wir den Meeressaugern abgeguckt«, sagte Anawak. »Delphine nutzen es, indem sie Nachhall und Interferenzen gewisserma?en austricksen: Sie singen.«
»Ich dachte, das tun nur Wale«, sagte Peak.
»Dass Wale singen, ist eine menschliche Interpretation«, erwiderte Anawak. »Sie haben moglicherweise nicht mal eine Vorstellung von Musik. Aber Sam meint etwas anderes. Singen hei?t in diesem Fall, dass die Tiere unablassig ihre Frequenz und ihr Obertonspektrum modulieren. Damit schlie?en sie nicht nur Interferenzen aus, sie erweitern auch erheblich das Potenzial zur Ubermittlung digitalisierter Information unter Wasser. Wir benutzen also ein Modem, das ebenfalls singt. Im Augenblick schaffen wir 30 KB bei einer Reichweite von drei Kilometern, das entspricht der halben Leistung einer ISDN-Leitung. Es reicht, um sogar Bilder in hoher Qualitat zu ubertragen.«
»Und was erzahlen wir denen?«, fragte Peak.
»Die Gesetze der Physik, der kosmische Code, liegen in Form von Mathematik vor«, sagte Crowe. »Kosmische Ordnung hat die Evolution von Bewusstsein ermoglicht und es in die Lage versetzt, seinerseits die Mathematik neu zu erschaffen, um auf kompakte und kreative Weise den eigenen Ursprung erklaren zu konnen. Mathematik ist die einzige universelle Sprache, die jedes intelligente Wesen versteht, das innerhalb der gultigen physikalischen Rahmenbedingungen existiert, und die werden wir benutzen.«
»Was wollen Sie tun? Mathematikaufgaben stellen?«
»Nein, Gedanken in Mathematik verpacken. 1974 haben wir ein hoch energiereiches irdisches Radiosignal gebundelt und in einen Kugelsternhaufen im Sternbild Herkules geschickt. Wir mussten einen Weg finden, die Botschaft so zu verschlusseln, dass sie auf einem fremden Planeten verstanden wird, und vielleicht waren wir ein bisschen ubereifrig — man muss schon sehr weit entwickelt sein, um den Code zu knacken. Aber mit mathematischen Methoden funktioniert es. Insgesamt verschickten wir 1679 Zeichen im Binarsystem, also Punkt und Strich wie beim Morsen. Jetzt wird’s vertrackt. Ein Mathematiker wei? die Zahl 1679 zu interpretieren, weil sie nur aus dem Produkt von 23 und 73 gebildet werden kann, beides Primzahlen, die nur durch l oder sich selbst geteilt werden konnen. Damit versteht der Empfanger schon mal die Basis menschlicher Zahlensysteme. Die Anordnung der 1679 Zeichen erfolgte in 73 Spalten zu je 23 Zeichen, und so weiter. Sie sehen, man kann viel unterbringen in ein bisschen Mathematik, und wenn Sie nun Punkt und Strich in Schwarz und Wei? umwandeln — oh Wunder! —, erhalten Sie ein Muster.«
Sie hielt ein Blatt mit einer Grafik hoch. Der Eindruck war der eines grob gepixelten Computerausdrucks. Manches wirkte abstrakt, anderes lie? deutliche Formen erkennen.
»Die obersten Zeilen geben Auskunft uber die Zahlen l bis 10 und damit uber unser Rechensystem. Darunter kommen die Ordnungszahlen chemischer Elemente: Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Phosphor. Sie sind von wesentlicher Bedeutung fur unseren Planeten und das irdische Leben. Danach geht’s weiter mit einer umfangreichen Aufschlusselung irdischer Biochemie, Formeln von Zuckern und Basen, Struktur der Doppelhelix, und so weiter. Der Umriss im unteren Drittel zeigt einen Menschen, direkt verbunden mit der DNA-Struktur, was Auskunfte uber die hiesige Evolution erteilt. Ein au?erirdischer Empfanger wird sich kaum mit irdischen Ma?einheiten auskennen, also haben wir die durchschnittliche Korpergro?e eines Menschen uber die Wellenlange der ubertragenen Radiosignale ausgedruckt.
Dann folgt noch eine Darstellung unseres Sonnensystems, und zum guten Schluss skizzierten wir Aussehen, Arbeitsweise und Gro?e des Arecibo-Teleskops, von dem das alles abgeschickt wurde.«
»Hubsche Einladung, eben mal herzufliegen und uns aufzufressen«, bemerkte Vanderbilt.
»Ja, damit hat uns Ihre Behorde schon immer in den Ohren gelegen. Und jedes Mal haben wir geantwortet, dass es dieser Einladung nicht bedarf. Seit Jahrzehnten werden Radiowellen in den Weltraum abgestrahlt. Unser gesamter Funkverkehr, auch der geheimdienstliche. Man muss diese Wellen nicht entziffern, um zu begreifen, dass sie nur von einer technischen Zivilisation stammen konnen.« Crowe legte das Diagramm aus der Hand. »Die Arecibo-Botschaft wird 26000 Jahre unterwegs sein, also erhalten wir die Antwort fruhestens in 52000 Jahren. Ich kann Sie beruhigen, diesmal geht’s schneller. Wir werden mehrstufig vorgehen. Unsere erste Botschaft wird einfach sein, tatsachlich nur zwei Mathematikaufgaben. Wenn die da unten Sportsgeist haben, antworten sie. Dieser erste Austausch hat die Funktion, die Existenz der Yrr nachzuweisen und festzustellen, ob ein Dialog uberhaupt zustande kommen kann.«
»Warum sollten sie antworten?«, fragte Greywolf. »Sie wissen doch schon alles uber uns.«
»Sie wissen vielleicht einiges, aber nicht unbedingt das Wichtigste, namlich dass wir intelligent sind.«
»Wie bitte?« Vanderbilt schuttelte den Kopf. »Die zerstoren unsere Schiffe! Also wissen sie, dass wir so was bauen konnen. Wie sollten sie an unserer Intelligenz zweifeln?«
»Dass wir technische Konstruktionen herstellen, ist kein Beweis fur Intelligenz. Werfen Sie einen Blick auf einen Termitenhugel — eine architektonische Glanzleistung.«
»Das ist was anderes.«
»Kommen Sie runter von Ihrem hohen Ross. Sollte es zutreffen, dass die Kultur der Yrr, wie Dr. Johanson sagt, einzig auf Biologie fu?t, mussen wir bezweifeln, dass sie uns gezielten und strukturierten Denkens uberhaupt fur fahig halten.«
»Sie meinen, die halten uns fur …« Vanderbilt verzog angewidert die Lippen. »Tiere?«
»Fur Schadlinge vielleicht.«
»Pilzbefall«, grinste Delaware. »Vielleicht haben wir es ja mit Kammerjagern zu tun.«
»Sehen Sie, ich habe mich der Muhe unterzogen, deren Denkstruktur zu ergrunden und daraus auf ihre Lebensweise zu schlie?en«, sagte Crowe. »Ich wei?, das ist alles furchtbar spekulativ, aber irgendwie mussen wir unsere Versuche der Kontaktaufnahme ja eingrenzen. Ich habe also daruber nachgedacht, warum den vielen kriegerischen Kontakten ihrerseits kein einziger diplomatischer vorausging. Es kann hei?en, dass sie keinen Wert auf Diplomatie legen. Es kann aber auch bedeuten, dass ihnen gar nicht erst der Gedanke gekommen ist. Gut, auch ein Heer roter Wanderameisen wurde mit einem Tier, uber das sie herfallen, keine diplomatischen Hoflichkeiten austauschen. Allerdings folgen Ameisen ausgeklugelten Instinkten. Die Yrr hingegen weisen sich durch planerisches Vorgehen aus, das von Erkenntnisfahigkeit gepragt ist. Sie entwickeln kreative Strategien. Wenn sie also intelligent und sich ihrer Intelligenz bewusst sind, scheint das keineswegs einherzugehen mit gangigen Vorstellungen von Moral und Ethik, Gut und Bose. In ihrer Logik ist es vielleicht nur konsequent, unsere Spezies mit aller Harte zu bekampfen. Und solange wir ihnen keinen Grund geben, diese Konsequenz zu uberdenken, werden sie es auch nicht tun.«