Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im ostlichen Mittelmeer - Kent Alexander (читать книги бесплатно полные версии TXT) 📗
Jetzt tauchte Gilchrists stangendurre Gestalt im langen, glanzenden Olmantel an der Achterdecksleiter auf. Er hatte wahrscheinlich vor seinem Kommandanten mehr Angst gehabt als vor den ersten Anzeichen eines Sturmes. Oder ihm hatte so viel daran gelegen, zu zeigen, da? er mit jeder Krise fertig wurde, da? er gewartet hatte, bis es viel zu spat war. Bolitho wischte sich das triefende Gesicht mit dem Armel ab. Augen und Mund brannten ihm vom Salzwasser. Als er wieder hochsah, war schon eine ganze Menge Leinwand verschwunden. Allerdings war das Vormarssegel nur noch halb an der Rah festgemacht. Am anderen Ende stand es wie ein gro?er Leinwandballon weg und fullte sich sto?end, als stake ein lebendiges Untier darin. Irgend etwas sauste vor den dahinjagenden Wolken vorbei und schlug mit dumpfem Krachen im Vorschiff auf.
Eine heisere Stimme schrie:»Bringt den Mann ins Krankenrevier!«Dann Leutnant Veitch:»Befehl belegt! Dem kann kein Arzt mehr helfen!»
Armer Teufel, dachte Bolitho. Kampfte da oben mit dem peitschenden Segel und mu?te sich so weit uber die gro?e, schwingende Rah vorbeugen, obwohl er sich nur mit den Fu?en festklammern konnte. Rechts und links von ihm seine Kameraden: fluchend, in die Nacht schreiend, zerrten sie an der nassen, harten Leinwand, bis die Fingernagel abbrachen und die Knochel bluteten. Ein Abrutschen, ein unvermuteter Windsto?, und er war gefallen.»An die Brassen! Klar bei Ruder!»
«Langsam aufkommen, wenn ich's sage!«fauchte Grubb.»Ganz vorsichtig, als wenn's ein Baby war!«»Ruder nach Luv!»
Wieder huschten unbestimmte Gestalten durch das nasse Dunkel, ein Midshipman mit blutender Hand, ein Matrose, der den linken Arm an den Leib pre?te, die Zahne vor Schmerzen gebleckt.
«Leebrassen — hol dicht!»
Schwerfallig tauchte die Lysander ihre siebzehnhundert Tonnen Eichenholz und Artillerie in einen Malstrom berstenden Schaumes.
Hoch oben schwankte das gereffte Marssegel, ein verkurztes, eisenhartes Rechteck, stohnten die Masten unter dem Druck des Windes.
Bolitho sah das alles, horte, wie sein Schiff und seine Matrosen kampften, um den Bug in den Wind zu bringen und das Schiff in Gewalt zu behalten. Fiel das Ruder aus oder wurde das Marssegel in Streifen zerrissen wie vorhin der Kluver, dann konnte es zu spat sein.
Doch das Ruder lag in Hartlage, die Rudergasten traten mit ihren blo?en Fu?en auf die nassen Planken, als marschierten sie bergauf, und der Zweidecker reagierte. Schaumend rauschte die See vom Luvlaufgang quer uber Deck, wirbelte an das gegenuberliegende Schanzkleid, ri? Manner und Geschirr mit. Eine ganze Menge Wasser wurde seinen Weg hinunter in den Schiffsraum finden. Die Pumpen mu?ten schon arbeiten, aber in dem allgemeinen Krach konnte Bolitho sie nicht horen. Vorrate wurden verderben; Trinkwasser, so kostbar wie Schie?pulver, wurde verunreinigt werden und nicht mehr zu genie?en sein.
Bolitho lie? die Netze los und lie? sich vom Wind das krangende Deck hinabsto?en, bis er beim Kompa? war.
«Schiff zeigt fast genau nach Nord, Sir!«brullte Grubb und sah einem wimmernden Mann nach, der vorbeigetragen wurde.»Sie mu?te sich halten konnen!»
«Sie mu?!«erwiderte Bolitho und sah, da? seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlten.»Wenn wir vor diesem Wind ablaufen, mussen wir so lange zuruckkreuzen, da? wir niemals rechtzeitig kommen!»
Grubb sah ihm nach und fragte dann den Steuermannsmaaten:»Was sagen Sie dazu, Mr. Plowman?»
Plowman hielt sich am Kompa?gehause fest; im schwachen Licht der Lampe schimmerte sein Olzeug wie nasse Seide.»Ich habe Mr. Gilchrist rechtzeitig gesagt, er soll >Alle Mann< pfeifen lassen. Hol ihn der Teufel, seinetwegen waren wir beinahe alle abgesoffen!»
Grubb verzog das Gesicht.»Dazu kann es immer noch kommen!»
Bolitho kampfte sich wieder zur Reling — da horte er einen Schrei:»Kopfe weg da unten! Die Vorbramrah geht stiften!»
Und ehe sich jemand ruhren oder etwas unternehmen konnte, schlug die Bramrah des Vormastes heftig nach Lee, hing qualende Sekunden lang still und sauste dann hinab wie ein abgebrochener Ast. Stage und Fallen, Spieren und Blocke kamen in knatterndem Gewirr hinterher; das Ganze blieb mit schmetterndem Krachen an Steuerbord unterhalb des Bugs hangen. Wie der Sto?zahn eines gespenstischen Nachtungeheuers leuchtete das aufgetauchte Vorbramsegel in der Finsternis.
Bolitho sah, wie Farquhar sich auf der Luvlaufbrucke nach vorn kampfte, bis auf die Haut durchna?t, eine Schulter blo? und blutig. Er sah alles so klar, als betrachte er eine Zeichnung und nicht ein Schiff, das um sein Uberleben kampfte.
Hatte Herrick das Schiff kommandiert, so ware das alles nicht passiert. Kein Leutnant hatte Angst gehabt, ihn rechtzeitig an Deck holen zu lassen; wie seine Fahigkeiten als Stratege und Kommodore-Stellvertreter auch sein mochten — jedenfalls war er ein erstklassiger Seemann.
«Zwanzig Mann nach vorn!«brullte Bolitho und rannte selbst an Farquhar vorbei zum Vorschiff. Allday war dicht hinter ihm — das wu?te er, ohne hinzusehen.
Pfeifen schrillten, Stimmen antworteten. Marine-Infanteristen und Matrosen, manche vollbekleidet, manche halbnackt, kampften sich durch Sturm und Gischt nach vorn, wo bereits der Bootsmann und einige altere Matrosen im Gewirr des Tauwerks arbeiteten.
Bolitho merkte, wie das Schiff sich hob und dann schwer in einen tiefen Wellentrog fiel, und er horte Schreckensgeschrei, weil die gebrochene Rah krachend gegen den Rumpf schlug.
Er sah, da? Pascoe schon da war, und rief:»Hast du da Aufsicht?»
Pascoe schuttelte den Kopf.»Mr. Yeo kappt das Treibgut, Sir!«Er duckte sich mit gekreuzten Armen wie ein Preisboxer, denn eine machtige Wasserwand sturzte uber den keuchenden Mannern zusammen.»Und Mr. Gilchrist fuhrt die Hauptabteilung am Kranbalken!»
Bolitho nickte zustimmend und sagte zu Allday:»Wir fassen mit zu. Achtern konnen wir doch nichts mehr tun.»
Er kletterte durch riesige Schlingen Tauwerks nach unten; innerhalb von Sekunden waren seine Hande und Schienbeine blutig.
Jemand sagte:»Zum Teufel, das is' ja der Kommodore, Jungs!«Und ein anderer murmelte:»Na, dann mu? es ja ziemlich schlimm stehen!»
Bolitho blickte uber Bord und sah die schaumende Bugwelle, wo die gebrochene Rah wieder und wieder wie ein Rammbock in den Schiffsrumpf krachte. In der Dunkelheit schimmerten die gesplitterten Bruchstellen des Holzes wie die Zahne eines hohnlachenden Mauls. Es schien hoffnungslos.
Er sah, wie Gilchrist mit fuchtelnden Armen auftauchte.
«Axte, Mr. Yeo! Lassen Sie die Rah ganz, aber kappen Sie die Taue, so schnell Sie konnen!»
Ein Mann versuchte, von seinem gefahrlichen Sitz auf dem Kranbalken wegzuklettern, doch Gilchrist packte ihn und zwang ihn, in das tobende Wasser unter dem machtigen Ankerstock hinunterzusehen.
«Wir retten das Schiff, oder wir saufen zusammen ab! Jetzt klarier' die Leine da, oder ich will morgen dein Ruckgrat sehen!»
Gilchrists Zorn, sein unbeabsichtigter Hinweis, da? es tatsachlich ein Morgen geben wurde, schien zu wirken. Keuchend und fluchend warfen sie sich in den Kampf gegen die gebrochenen Spieren; mit ihrer Wut hielten sie ihre Angst im Zaum und verschlossen die Ohren vor dem Heulen des Windes.
Bolitho arbeitete Schulter an Schulter mit namenlosen Gestalten und nutzte die Anstrengung, um seine Gedanken zu ordnen. Die Vormaststenge konnte ersetzt werden. Herrick hatte vor dem Auslaufen fur einen guten Vorrat an Reservespieren gesorgt. Wenn die Rah gerettet werden konnte, dann mu?te das Schiff in ein paar Tagen wieder seine normale Segelkraft haben, ruhigeres Wetter vorausgesetzt. Aber das wurde Zeit kosten und die Ankunft auf ihrer Position verzogern, die er so sorgfaltig ausgesucht hatte, um die Transportschiffe des Feindes abzufangen.
«Mr. Pascoe!«schrie Gilchrist.»Gehen Sie mit ein paar Mannern ein Stuck nach achtern und sichern Sie die Spiere!»